Eva (Tilda Swinton) ist Ehefrau und Mutter in einer US-Kleinstadt. In Rückblicken lässt sie ihr Leben, vor allem ihre Rolle als Mutter, Revue passieren. Schnell wird klar, dass ihr Sohn Kevin ein Problemkind war und dass sich das Mutter-Sohn-Verhältnis schon früh überaus holprig gestaltete. So dauerte es überaus lange bis Kevin sauber war. Lange weigerte er sich auch zu sprechen und legte eine unverständliche Antipathie gegenüber seiner Mutter an den Tag. Eva, da Vater Franklin (John C. Reilly) arbeitete allein mit der Erziehung betraut, bekam als Erste Zweifel, ob mit Kevin alles in Ordnung sei. Dennoch war sie sich ihrer Sache nicht sicher, prallte ihre Meinung doch auf die des unautoritären Franklin, der mit Kevin einwandfrei auskam und dessen Andersartigkeit nicht zu spüren bekam. Kevins Pathologie steigert sich. Als Zuschauer wird man lange im Dunkeln darüber gelassen, was passiert ist. Doch irgendetwas muss passiert sein, warum Eva gegenwärtig dem Hass der ganzen Gemeindeausgesetzt ist.
Die britische Regisseurin Lynne Ramsay knallt mit WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN allen Pädagogen und Waldorfkindergärtnerinnen ein blutiges Stück Fleisch vor den Latz, an dem man erstmal ordentlich zu kauen hat. Was tun, wenn mein Kind mich nicht mag? Liegt das Problem beim Kind oder vielleicht doch an mir? Der Film behandelt das Thema aus der elterlichen, vornehmlich der mütterlichen Sicht, beschreibt die Hilflosigkeit und Unsicherheit in der man schwebt, wenn es mit dem Kind Probleme gibt.
Einfach bravourös und atemberaubend mimt die maskenhafte Tilda Swinton (die Weiße Hexe aus NARNIA, die Blondine in LIMITS OF CONTROL) die zerbrochene Eva, die auf die Scherben ihres Lebens blickt. Ebenso gut, aber weitaus weniger gewichtig die Rolle des ignoranten Franklin, der die Probleme mit Phrasen wie „So sind Jungs nun mal!“ abtut, gut gespielt von John C. Reilly (STIEFBRÜDER, GOTT DES GEMETZELS).
Doch der Film spinnt den Faden weiter: Wie geht man als Elternteil damit um, wenn sich herausstellt, dass das eigene Kind psychisch krank ist? Wie, wenn es zu Kriminalität und Gewalt neigt? Wie viel Schuld trifft einen als Vater oder Mutter? Wie viel ist genetisch bedingt, wie viel Erziehung, wie viel äußere Einflüsse?
Der Stoff hätte auch gut Verwendung in einem Horrorfilm finden und über die Inkarnation Satans handeln können. So schwankt die Rolle des Satansbratens Kevin hier zumindest zu Beginn noch zwischen lustig und tragisch, bevor sich im Showdown entpuppt, was den ganzen Film über als Schwelbrand vor sich hin glimmt. Knallige Rot-Töne deuten den ganzen Film über das drohende Unheil an. Brutal ist hier aber das, was man nicht sieht, z.B. wo das Meerschweinchen abgeblieben ist und wie Kevins Schwester ihr Auge verliert. Der Film tut gut daran, nicht allzu viel zu zeigen und viele Fragen offen zu lassen, und erzeugt bösen Terror im Kopf des Zuschauers.
Ein Film, über den nicht zu viel verraten und man sich im Vorfeld nicht allzu schlau machen sollte, um sich den Überraschungseffekt nicht zu versauen. Ein Film über ein schwieriges und brandaktuelles Thema. Die Ursprünge mangelnder Empathie bei Jugendlichen beinahe komplett im Dunkeln belassend und stillschweigend akzeptierend, fragt sich der Film allein, wie mit dieser neu vorherrschenden Gefühlskälte umzugehen ist. In betörenden wie verstörenden Bildern erzählt und von einer ungemein ausdrucksstarken Tilda Swnton getragen.
Fazit:
100% realer Horror. Viel fieser als Damien!