Ryan Goslings Charakter ist ein begnadeter Autofahrer und Schrauber, der zwischen Autostunts für Filmproduktionen, Reparaturen und bezahlten Fahrten für Kleinkriminelle ziellos durch die Großstadt heizt. Dies ändert sich, als er sich entschließt, einer jungen Familie von nebenan zu helfen, deren Familienoberhaupt einigen Gangsterbossen einen Gefallen schuldet. Aber leider wird hier nicht mit offenen Karten gespielt und der Driver gerät in ein mörderisches Komplott...
Nicolas Wending Refns „Drive“ aus dem Jahre 2011 hat sicherlich die Gemüter gespalten. Manche sahen in ihm einen neuen, modernisierten Taxi Driver, andere wollten ihn gar in moderne Männlichkeitsdebatten involvieren und „problematische Geschlechterrollen“ (gähn) am Machwerk nachweisen. So ein Schlamassel aber auch.
Wenn man den Driver, der den Film über namenlos bleibt, mal genauer unter die Lupe nimmt, ergibt sich tatsächlich ein interessantes Bild. Viele würden Goslings Charakter eine gewisse Abgedroschenheit vorwerfen, ist er doch emotionslos und eine Art fleischgewordener Leatherman, der alles kann und in den jeweiligen Themenfeldern auch noch brilliert, wie sonst keiner. Quasi eine Art Lone Ranger, nur halt neu und knallig. Dennoch wirkt er immer irgendwo menschlich, was vielleicht auch einfach dem gekonnten Schauspiel geschuldet ist, und verfällt nie in zu stumpfen Mono-Heroismus (falls das Sinn ergibt). Der Driver ist definitiv Mensch und das vielleicht sogar mehr als der klassische Actionheld der 80er oder der One Shot Action Hero aus dem Wilden Westen.
Als er in das äußerst komplexe Beziehungsdreieck gerät, muss man als erwachsener, gereifter Mensch, dem nicht die moderne Internetkultur aus jeder Pore trieft, ein Auge zudrücken. Letztendlich opfert er sich für eine Art unerreichbare Liebe, die aber prinzipiell immer durch nachvollziehbare Moralvorstellungen (Schutz von Schwächeren, Treue innerhalb der Ehe usw) verhindert wird. Die Frau ist hierbei eine eindimensional gute und liebe Figur – ganz im Sinne des modernen Feminismus – und der Driver ist der Good Guy, der zwar nicht reinhalten darf, aber trotzdem voll „Alpha“ ist und maximale Verantwortung übernimmt, obwohl er es nicht müsste. Wo hier die große Provokation liegt, erschließt sich diesem Reviewer nicht ganz, da man sich noch nicht mal getraut hat, einen (hier sicherlich nachvollziehbaren) Ehebruch zu inszenieren. Aber sei's drum.
Die eigentliche Actionstory setzt verhältnismäßig spät ein, was aber keineswegs schade ist, da wir so unseren Driver besser kennenlernen. Hier hat man interessante Einblicke in sein Arbeitsumfeld und bevorstehende Berufschancen. Die eigentliche Gangstergeschichte ist zunächst ein wenig undurchsichtig, dafür aber rasant. Die Gewaltspitzen sind wirklich sehr gewalttätig ausgefallen und man darf zerberstende Köpfe, Messerstechereien und vieles mehr begutachten. Da der rote Saft invasiv in die vorher abgesteckt wirkende kleine Welt hineinplatzt, wirkt das Ganze schon sehr intensiv und aufrüttelnd, auch wenn es sicherlich grausamere Beiträge in diesem Genre gegeben hat. Passend zum Selbstbild ist der Driver zu rohster Gewalt fähig und tritt vor den Augen seiner hohen Minne einem Auftragsmörder zigfach das Fressbrett ein oder haut einem Mafioso mit einem Hammer die Pfote kaputt.
Letztendlich unterstützt diese Widersprüchlichkeit einen gewissen nihilistischen Grundton, dem man „Drive“ ständig anmerkt. Der an sich omnipotente Held, moralrelativistisch und offensichtlich emotionslos, cruist ziellos und sinnbefreit durch eine verkommene Welt, in der er zwar perfekt funktioniert, aber durch die er sich doch nie so verunreinigen lässt, wie es die Bad Boys tun. Der einzige Lichtblick ist die strahlende Irene, die er zwar klarmachen KÖNNTE (er ist ja kein Versager), es aber nicht tut, weil wegen. Zu einem echten Antagonisten, der selbst authentisch im Schlamm wühlt, oder einem durchgehend negativen Frauenbild wie in „Taxi Driver“ konnte man sich nicht herablassen, schließlich geht Konfrontation im Jahre 2011 nur in festgelegten Bahnen.
Obwohl diese weichgespülte Negativität dem Zyniker einiges vermasseln könnte, ist „Drive“ alles andere als schlecht. Die Neonästhetik und der Synthwave-Score sind absolut gelungen und die Geschichte ist allgemein gut erzählt und innovativ. Die zweite Hälfte ist rasant und macht verdammt viel Spaß, einerseits, weil wir die Charaktere mittlerweile so gut kennen, andererseits wegen der Splattereinlagen. Vorher gibt’s gelungene Autoaction. Da sind die Wünsche doch eigentlich weitestgehend befriedigt, dürfte man meinen.
Fazit: Bei „Drive“ darf man getrost gespaltener Meinung sein. Die oberflächlichen Attribute – vor allem die Neonästhetik – funktionieren allesamt richtig gut und der Gewaltgrad ist angenehm hoch. Obendrein gibt’s eine spannende Geschichte und ordentlich Spannung. Alles richtig gemacht? Nun ja, jaein. Geht man tiefer, erkennt man Ungereimtheiten. Die Charaktere bleiben erstaunlich safe und die heraufbeschworene Negativität wird doch durch sehr einfache und oberflächliche Schmalzigkeiten direkt entwaffnet. Das ist sicherlich „Provokation“, die ganz artig die Mauern des modernen PC-Geheges nie überwindet. Und auch, wenn er ein grandioser Film hätte werden können, wenn man sich wirklich was getraut hätte, ist „Drive“ doch echt cool.