"To drive and die in L.A."
Es gehört schon eine ordentliche Portion Mumm dazu, in einem Film, der sich um einen passionierten Geschwindigkeitsjunkie dreht, auf Entschleunigung und Langsamkeit zu setzen. Nicolas Winding Refn heißt der Mutige, der sich in seiner ersten Hollywoodproduktion über einen namenloser Stuntfahrer mehr als eine Stunde Zeit lässt, um Figuren und Geschichte zu entwickeln. Erzählduktus, Tempo und Charakterzeichnung erinnern dabei frappierend an die Hochphase des lakonischen Thrillers, als Steve McQueen und Clint Eastwood den wortkargen Großstadt-Soziopathen salonfähig machten.
Ein solch - zumindest äußerlich- emotional verkrüppelter Schweiger ist auch der Driver. Sein einziger Lebensinhalt sind Autos. Tagsüber arbeitet er als Mechaniker in einer Werkstatt, jagt aufgetunte Boliden über die Rennstrecke, oder verdingt sich in Hollywood als Stuntfahrer. Nachts dagegen lässt er den dunklen Seiten seines Charakters freien Lauf, wenn Adrenalinrausch und kriminelle Energie fusionieren und er als Fluchtfahrer durchs nächtliche Los Angeles braust. Ob legal, oder illegal, hinter dem Steuer ist der Driver stets hochkonzentriert, hochprofessionell und eiskalt.
Ryan Gosling umgibt diesen einsamen Profi mit der Aura des Geheimnisvollen, Unnahbaren und Unberechenbaren und beweist damit erneut seine besondere Begabung für zwielichtige Figuren. Mit reduzierter Mimik und schüchternen Blicken verleiht er ihm zusätzlich etwas Unscheinbares, Sanftes, was die Gewalteruption im letzten Filmdrittel umso krasser erscheinen lässt.
Um den Charakter allerdings in seiner vollen Bandbreite auszuloten, muss erst eine Frau in sein bis dato übersichtliches und wohl organisiertes Leben treten. Die Kellnerin Irene (Carey Mulligan) bringt sowohl die zartesten wie auch die brutalsten Seiten des Drivers zum Vorschein. Refn gelingt das Kunsstück, die Liebesgeschichte fast ohne Worte, oder gar Sexszenen zu entwickeln. Die Gefühlswelt der beiden Verliebten zeigt sich lediglich durch kleine Gesten, tiefe Blicke oder ein spontanes Lächeln. Der Driver baut zudem eine innige Beziehung zu Irenes kleinem Sohn auf. Kurze Zeit scheint es, als habe er nicht nur einen neuen Sinn, sondern auch einen menschlichen Ruhepol in seinem rastlosen und kargen Leben gefunden. Als Irenes Ehemann unerwartet aus dem Gefängnis entlassen wird, wird diese Idylle allerdings jäh zerstört.
Der Driver beschließt seinen Rivalen bei einem Raubüberfall (eine Hypothek seiner Strafzeit) zu unterstützen, um Irenes Familienglück zu schützen. Erstmals vermischt er damit Emotion und Profession und gerät so in eine Gewaltspirale, die alles um ihn herum in den Abgrund zu reißen droht.
Drive mag narrativ und figurentechnisch an die 1970er Jahre erinnern, visuell dagegen beschwört Refn den kühlen Neon-Chic der Folgedekade. Refn ist in den 80er Jahren aufgewachsen (Jahrgang 1970) und hat da ganz offensichtlich William Friedkins To live and die in L.A., oder die frühen Werke Michael Manns (v.a. Miami Vice) aufgesogen.
Das beginnt bereits bei den neonbunten Anfangscredits und setzt sich mit der Bebilderung der urbanen Straßenlandschaft fort. So zeichnet er das nächtliche L.A. mit einer fluoreszierenden, knallbunten Farbpalette und unterlegt diese klare 80er-Reminiszenz mit einem kongenialen Retro-Synthie-Pop-Sound. Selten sind Score und Bildsprache zu einer derart atmosphärischen Einheit verschmolzen und haben die Stimmung eines Films so überzeugend geprägt. Die New-Wave-artigen Klänge und Songs symbolisieren durchgängig den Gemütszustand des Drivers, ob Coolness, Sanftmut, Tatkraft, Getriebensein oder Resignation.
Drive mag auf manche artifiziell oder überstilisiert wirken, trotzdem wird es schwer sein, sich dem sogartigen Bann dieses Films zu entziehen. Er ist zugleich, schön, berührend, trist, schockierend und brutal. Beinahe jede Szene ist ein ebenso trockenes wie wuchtiges Statement, das die audiovisuelle Karte gewinnbringend ausspielt und ganz auf neumodische Mätzchen verzichtet, ohne altmodisch, wehmütig, oder zitierend zu wirken.
Ein lässiges Neo-Noir-Meisterstück, aus dem die Liebe zu uramerikanischen Mythen (u.a. Hollywood, Autos, urbane Einsamkeit) und Genrefilmen (u.a. Bullit, The Driver) spricht. Vielleicht eine verträumte, europäische Sicht der Dinge, nichts desto trotz eine überaus faszinierende und frische. Den dänischen Regisseur Nicolas Winding Refn sollte man jedenfalls unbedingt öfter hinter das Steuer eines Hollywoodfilms lassen. Dermaßen überzeugend das Rennen zu machen und dabei bewusst den Fuß vom Gas zu nehmen, ist definitiv keine Glückssache, das ist gekonnt.