Nicolas Winding Refn trifft mal wieder ins Schwarze! …Naja, was heißt eigentlich mal wieder!? Ich persönlich halte ja den ersten Teil vom PUSHER für seinen einzigen und bislang größten filmischen Strike. Der Rest – BLEEDER, BRONSON WALHALLA RISING – fand ich persönlich alles eher larifari und nicht vollends überzeugend. Doch nun kommt DRIVE, eine Mischung aus Gangsterfilm, Großstadt-Noir und Action.
Gleich im Intro, wenn der neonpinke Schriftzug eingeblendet wird, der poppig-düstere Electro-Song zu vernehmen ist und der Titelheld mit Skorpion auf der Nylonjacke erscheint, ist klar, dieser Film surft vom Style her so ein bisschen auf der Retro-Schiene. Und in der Tat fühlt man sich in manchen Szenen an Gangsterfilme wie SCARFACE und GOOD FELLAS erinnert. Die Ästhetik ähnelt sogar der aus dem Videospiel GTA. Wer sich jedoch High-Speed-Action im Stile von FAST & THE FURIOUS erwartet, der landet im Kiesbett. Geile Schlitten und rasante Straßenrennen werden zwar geboten, sind aber so licht gesät, dass sie nicht als Schwerpunkt betrachtet werden dürfen. Aber um was geht’s denn dann eigentlich?
Story:
Ein namenloser junger Mann hat ein Faible: schnelle Autos. Und dieses Faible lebt er. Tagsüber jobbt er in einer Werkstatt, nebenbei auch als Stuntfahrer an Filmsets, doch des Nachts schlüpft er in die Rolle des Fluchtwagenfahrers, wobei er seine Dienste jedem anbietet, der angemessen zahlt. Dem Zuschauer wird gleich bei der ersten Fluchtfahrt vermittelt: der Typ ist auf seinem Gebiet ein absoluter Profi. Trotz der Summen, die sich durch seine abendlichen Fahrten bereits auf seinem Konto tummeln dürften, führt der „Driver“ ein zurückgezogenes, bescheidenes Leben in einer Mietswohnung. Eines Tages lernt er seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan, SHAME, WALL STREET 2) kennen. Da ihr Ehemann im Knast sitzt, verbringt er mit ihr und ihrem kleinen Sohn etwas Zeit. Zwischen beiden knistert es, aber dabei bleibt es. Kurze Zeit später wird Careys Mann entlassen und hat mächtig Ärger an der Backe. Gangster wollen ihn zu einem letzten Job nötigen, worauf er sich nicht einlassen will. Zusammen mit dem „Driver“ geht er das Risiko schließlich doch ein. Beide tappen in eine böse Falle…
Inhaltliche Mängel ziehen sich durch die Filme von Refn wie ein roter Faden. Um was ging’s in THE PUSHER denn genau? Äh, der Dealer und sein Spezi sitzen rum, labern viel dichtes Zeug, ziehen sich ordentlich Dope rein und am Schluss verrecken alle – so oder so ähnlich war’s doch, glaube ich. Und auch bei DRIVE tut man sich mit der Handlung etwas schwer. Auf den ersten Blick versteht man gewisse Zusammenhänge nicht. Auch bleiben einige Charaktere etwas schlecht ausgeleuchtet, was aber meines Erachtens gar Absicht und Stilmittel sein könnte.
Refn stellt in DRIVE ein superbes Händchen für wirkungsstarke Szenen unter Beweis. Der ganze Film ist sehr unhektisch, lässig, ja: geschmeidig inszeniert. Man nimmt sich Zeit für Gesprächspausen. Zwischen „Driver“ und seiner Nachbarin Irene, die beide heimlich ineinander verliebt sind, gleiten sanfte Blicke hin und her. Hektische Schnitte sind selten. Zeitlupe kommt zum Einsatz. Lässigkeitsverstärkend wirkt auch der chillige Electro-Soundtrack. Besonders das Titellied “Night Call“ von Kavinsky feat. Lovefoxxx und “Under Your Spell” von Desire kann es einem antun.
Harscher Kontrast zur allgemeinen Gediegenheit des Films bilden die hitzigen Verfolgungsjagden und die oft unverhofft aufblitzende, sehr bildliche Gewalt. Sehr gut von Refn, dass die Gewalt nie Emotionen wie Weibergekreische oder dramatische Musik nach sich zieht. In einer Szene zertrümmert „Driver“ einem Typen in einem Striptease-Schuppen die Hand mit einem Hammer. Der Geschädigte schreit wie am Spieß, von Seiten der anwesenden Frauen kommt jedoch gar keine Reaktion, was den Effekt der Szene um einiges erhöht. Grob kann die Gewalt in DRIVE mit der von Kitano oder Cronenberg verglichen werden. Wegen dem Hammer werden natürlich auch Erinnerungen an OLDBOY wach.
Die Figur des „Drivers“ hat es verdient genauer unter die Lupe genommen zu werden. Er ist ein ordentlicher Typ, still, in sich gekehrt. Sein Gesicht ziert ein ausdrucksloses, fast maskenhaftes Babyface. Nur manchmal huscht ihm ein sanftes Lächeln über die Lippen. Er ist kein Mann großer Worte. Coole Sprüche sind ihm fremd. Dennoch ist er in Aktion so cool und abgeklärt wie James Bond oder Leam Niesen in 96 HOURS. Übertrieben ausgedrückt, denn Handkanten-Akrobatik beherrscht der Herr der schnellen Autos nicht. Vielmehr ist überraschend, wie knallhart und krass seine Gewaltausbrüche ausfallen und wie stumm und abgeklärt er damit umgeht.
In der Rolle des Fahrers steckt Ryan Gosling (HALF NELSON, BLUE VALENTINE, IDES OF MARCH) – ein Schauspieler, der mir bislang nur wenig bis kaum aufgefallen war. In weiteren Rollen finden sich der kongeniale, anscheinend in jeder Rolle brillierende Bryan Cranston (BREAKING BAD, MALCOLM MITTENDRIN), die bereits oben erwähnte Carey Mulligan und Ron Perlman (HELLBOY, DER NAME DER ROSE, ALIEN – DIE WIEDERGEBURT) als Fiesling.
Action: (+)(+)(-)(-)(-)
Soundtrack: (+)(+)(+)(+)(-)
Coolness: (+)(+)(+)(+)(+)
Unterm Strich liefert einem DRIVE tolle Unterhaltung ohne Spannungseinbrüche und perfekte Darsteller. Eine Independent-Produktion, die schon jetzt das Zeug zum Kultfilm hat und es sogar mit den großen Gangsterfilmen aufnehmen kann. Die inhaltlichen Mängel sind verschmerzbar, zumal DRIVE insgesamt schon ein überaus cooles Erlebnis darstellt.
Fazit:
Arthaus goes GTA – Schon jetzt einer der Mustsee’s im Kinojahr 2012.