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Es gibt in „Drive“ gleich zu Beginn eine bemerkenswerte und bezeichnende Szene: Da holt sich Ryan Gosling das Fahrzeug für seinen nächsten Auftrag ab, die Kamera fährt an einem Fuhrpark von legendären und protzigen Muscle-Cars aus Filmen wie „Bullitt“ und „Two-Lane Backtop“ entlang, bis sie schließlich bei einem Allerwelts-Mittelklassewagen stoppt – einem Chevy Impala aktueller Bauart. Äußerlich unscheinbar, doch unter der Oberfläche brodeln nach einem Umbau um die 300 PS: Horse Power unter der Haube gibt es tatsächlich auch abseits des „Fast and the Furious“-Prolloversums. Und Filme, in denen schnelle Autos eine gewichtige Rolle spielen, müssen heute nicht zwangsläufig zu CGI-Schnittstakkato verkommen.

Im Grunde genommen haben wir es hier mit einem simplen „Heist gone wrong“-Plot mit Rachemotiven zu tun, wobei der missglückte Coup eine Abwärtsspirale in Gang setzt, der sich keiner der Protagonisten entziehen kann. Bis es jedoch den ersten Toten gibt, ist „Drive“ großes Kino der leisen Töne. Man sieht es in der heutigen Kinolandschaft nicht mehr oft, dass sich ein in Trailern als Actionthriller beworbener Film eine gute Stunde Zeit lässt, um zur Sache zu kommen. Refn nimmt seine Figuren ernst, statt ihnen permanent halbdoofe Sprüche in den Mund zu legen. Auf diese Weise biedert er sich nicht beim Publikum, welches Genrekino ohne Augenzwinkern heutzutage zum Großteil nicht mehr gewohnt ist, an. „Drive“ ist vollkommen frei von Ironie, sehr dialogarm und vertraut zu Recht auf seine ausdruckstarken Bilder.

Refn bedient sich freilich des visuellen Stils von Vorbildern wie Michael Mann, ohne dass sein Film wie ein Plagiat aussieht. Den von Postern und Trailern erwarteten 80er-Retro-Galore gibt es nur im stimmungsvollen Vorspann und immer dann, wenn schwülstiger Synthie-Pop erklingt, der aber immer zur jeweiligen Szene passt. „Drive“ gibt sich dann vollkommen seiner melancholischen Stimmung hin, schwelgt in langen Einstellungen und ist optisch einfach ein Hochgenuss. Paradebeispiel ist die völlig entrückt wirkende und an das französische Cinema du Look der 80er erinnernde Szene in einer Garderobe, in welcher Gosling die Hand eines Auftraggebers mit einem Hammer bearbeitet.

Goslings Wandlung vom wortkargen Driver zum killenden Racheengel ist in diesem Zusammenhang jederzeit glaubwürdig, was auch ein Verdienst von Carey Mulligan ist, die zwar mimisch auf Sparflamme läuft, aber den bedächtigen Grundton des Films damit genau trifft. Ein paar Dackelblicke genügen, um nicht nur die Zuschauer, sondern auch den Driver innerlich weichzukochen, weshalb dieser seine Berufsdoktrin über Bord wirft und die Nähe der Frau sucht – eine Entscheidung, die fatale Auswirkungen haben wird. Bis dahin ist „Drive“ auch irgendwie ein Film für verträumte Romantiker, was man bei einem flüchtigen Blick auf die Inhaltsangabe eher nicht erwartet hätte.

Diskutabel ist sicherlich die zweite (schwächere) Filmhälfte, in welcher im Fünf-Minuten-Takt die Gewalt auf der Leinwand eskaliert, und die irgendwie doch noch ein minimales Zugeständnis an die Gorehounds unter den Zuschauern ist, die solange auf hektischen Aktionismus warten mussten. Immerhin: die Brutalität hämmert wie eine gnadenlose Dampframme über die Leinwand - „Woah, geil!“-Rufe aus dem Publikum sind demnach nicht zu erwarten, eher schon entsetzte Gesichter. Ob die letzte halbe Stunde bei einem zweiten Durchlauf aber immer noch so intensiv ist, wage ich zu bezweifeln.

Fest steht jedenfalls: Wer einen markigen Actionthriller moderner Bauart sehen will ist bei „Drive“ genauso an der falschen Adresse wie Freunde komplexer und innovativer Storylines. Fast alles funktioniert in diesem Fall über das Visuelle und die Ästhetik, und wer da gerade in der falschen Stimmung ist, oder einfach keinen Zugang findet, wird hier einen Gähner der langweiligeren Sorte vorfinden. Ich für meinen Teil fand Refns minimalistischen Stil bereits bei der noch konsequenteren und sträflich unterschätzten Arthouse-Schlachtplatte „Walhalla Rising“ bemerkenswert und kann „Drive“ zwar keine wirkliche Weiterentwicklung des Genrekinos attestierten, aber neben dem Wackelbilder-Schnittstakkato vieler aktueller Filme ist dies doch ein echtes Filetstück!

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