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Nicholas Winding Refn war schon immer eher ein Bilderstürmer als ein Geschichtenerzähler, mit „Drive“ kann er aber auch diejenigen abholen, die mit seinen früheren Filmen nicht so zurechtkamen.
Der Held ist ein namenloser jungen Mann (Ryan Gosling), wie seine Kollegen in „Driver“ und „Faster“ nur als Driver in den Credits bezeichnet. Jeder seiner Tätigkeiten hat mit Autos zu tun: Tagsüber arbeitet er als Mechaniker und Stuntfahrer, nachts als Fluchtwagenfahrer – wie bereits in der Auftaktsequenz zu sehen. Doch statt (erwarteter) quietschender Reifen und Blechschäden gibt es ein ruhiges, actionarmes und trotzdem schweißtreibendes Katz-und-Maus-Spiel von Kriminellen und Polente, bei dem das Untertauchen und Verschwinden im Verkehr wichtiger als das schnelle Fahren ist.
Der schweigsame Profi lässt sich jedoch tatsächlich erwärmen, von seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und deren Kind. Tatsächlich schaltet „Drive“ nach der Auftaktsequenz noch mal zwei, drei Gänge runter, wird gar zur Romanze, die vollkommen im 80er-Jahre-Chic des Films, dem entsprechenden Soundtrack und Refns Gespür für Bilder badet – am schönsten zu sehen in der Szene mit dem Picknick, das der Fahrer mit seinen neuen Vertrauten in einem der berühmten Kanäle L.A.s während einer Trockenphase abhält.

Doch dann kommt Standard (Oscar Isaacs), der Mann Irenes aus dem Knast frei. Ganz Gentleman zieht der Driver sich zurück, wird weniger zum Rivalen Standards den zu einem Freund – und lässt sich von diesem zu einem jener berühmten letzten Jobs anheuern…
Auch wenn man es anfangs nicht vermuten mag: „Drive“ ist Ryan Goslings Rückkehr zu dem Rollentypus des soziopathischen Gewalttäters, ähnlich wie er ihn schon in „Mord nach Plan“ verkörperte. Doch war er dort noch eine Fiesling, so inszeniert Refn ihn hier als (Anti)Helden, dessen ehrbares Motiv die romantische Liebe ist. Seine Gewaltausbrüche sind daher so krass, da davor und danach direkt wieder nett lächelnd und distanziert ist. Refn inszenierte diese und andere Gewaltspitzen mit einer Splatterästhetik, die einen krassen Bruch zu den sonst so poppigen Optik des Films abgibt, und dank seines Geschicks wirken diese Szenen, die allesamt in der zweiten Hälfte vorkommen – auch wenn die erste davon immer noch die überraschendste ist.
Ryan Gosling spielt den absolut sympathischen Typen, der dem Zuschauer immer ein wenig unheimlicher wird, eingängig, kann aber auf einen famosen Supportcast bauen. Carey Mulligan gibt die damsel in distress mehr als überzeugend, Oscar Isaac ist so famos, da sein Charakter sich den klassischen Schemata verweigert: Auch er sieht den Fahrer nicht als Rivalen, scheint sogar damit einverstanden, dass Irene sich eventuell für ihn entscheidet – er ist nicht der laute Frauenschläger, den man erwarten würde. Ron Perlman und Albert Brooks spielen sich die Bälle als Mafiosi zu: Perlman als der lauter simpel gestrickter Brutalo, Brooks in einer noch fordernderen Rolle als eigentlich müder Killer, der dennoch so weitermacht wie bisher. Etwas üppiger hätten die Auftritte von Bryan Cranston sein können, dank „Breaking Bad“ gerade voll im Aufwind, der als väterlicher Mentor brilliert.

„Drive“ spielt dabei mit den Konventionen des Actionkinos, bedient sie gleichzeitig und verweigert sich ihnen. Es gibt eine einzige Verfolgungsjagd im klassischen Sinne, die aber weitaus weniger auf Schauwerte ausgelegt ist als z.B. die der „The Fast and the Furious“-Reihe, trotz eines formschönen Zeitlupencrashs am Schluss. Schusswechsel und Nahkämpfe sind kurz und blutig, wobei der Driver nur ein einziges Mal eine Schusswaffe ergreift, die eines toten Gegners, sonst mit Messern, bloßen Händen oder sogar Gardinenstangen tötet – was seinen sonst so introvertierten, nett lächelnden Charakter noch zwiespältiger erscheinen lässt. Dabei deutet Refn die dunkle Seite des Fahrers kurz vor seinem ersten Ausbruch an, etwa wenn ein Knasti mit ihm in der Öffentlichkeit über einen früheren Job plaudern will und der Fahrer in ruhigem Ton übelste Gewalt androht.
Bei all der Begeisterung für den Stilwillen und die Stimmung des Films muss man allerdings anmerken, dass Refn immer noch nicht zum Geschichtenerzähler mutiert ist. Der Plot könnte auch aus den erwähnten Vorbilder der späten 70er und frühen 80er sein, Neues wird man nicht unbedingt finden, dafür kennt man zu viele Varianten der Stoffe – die, in denen Helden überleben, die, in denen sie sterben, die, in denen sie gewinnen, die, in denen sie verlieren. Man fragt sich bei „Drive“ nur welche man davon zu sehen bekommt.

Doch trotz des Rückgriffs auf bekannte Motive ist „Drive“ trotzdem ein wirklich gelungener Retrofilm: Refns famose Inszenierung kann sich hier auf den nötigen Unterbau durch überzeugende, ambivalente Figuren verlassen, die wie immer schönen Bilder involvieren den Zuschauer in diesem Film auch emotional – so einfach und doch so schön kann Kino sein.

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