Eine junge, mittellose Mutter (Edna Purviance) wird mit ihrem kürzlich geborenen Sohn aus der städtischen Wohlfahrtsklinik entlassen. Sie muß jetzt selbst sehen, wie sie zurecht kommt, nicht zuletzt da das Baby "in Sünde" entstanden ist und vom Kindvater (Carl Miller) im Stich gelassen wurde. Die verzweifelte Frau faßt einen folgenschweren Entschluß. Mit einer kurzen Nachricht versehen ("Please love and care for this orphan child") legt sie ihr Kind in ein geparktes Luxusauto und geht widerstrebend davon. Kurz darauf wird der Wagen von zwei Dieben geklaut, die das weinende Baby schließlich in einem heruntergekommenen Stadtviertel neben einer Mülltonne "entsorgen". Auftritt vom Tramp (Charles Chaplin), der beim Morgenspaziergang in seiner legendären Art und Weise die Straße entlang "watschelt" und bald verwirrt vor dem Kind steht. Zwar will er den Kleinen raschest möglich wieder loswerden, aber als ihm ein Polizist auf die Pelle rückt, nimmt er ihn mit zu sich, in seine kleine, armselige Behausung. Dort zieht der Vater wider Willen sein Findelkind groß. Fünf Jahre später. Der Tramp und der kleine John (Jackie Coogan) halten sich mit diversen kleinen Gaunereien über Wasser. So schlägt der Bengel z. B. Fensterscheiben mit einem gezielten Steinwurf ein, und der "zufällig" vorbeikommende Tramp repariert sie gegen Bezahlung wieder. In der Zwischenzeit wurde aus der Mutter des Kindes eine gefeierte Opern-Diva, die keine Geldsorgen mehr plagen. Die Frau, die ihre Verzweiflungstat zutiefst bereut, engagiert sich nun wohltätig und kümmert sich um die armen Kinder im Elendsviertel. Dort leben auch ihr Sohn und der Tramp...
"A picture with a smile - and perhaps, a tear." So eröffnet Charlie bzw. Charles Chaplin (16.04.1889 – 25.12.1977) seinen ersten richtigen Film. Bis dahin hatte der geniale Komiker zwar schon viele erfolgreiche Kurzfilme geschaffen, doch mit The Kid vollzieht er den nächsten logischen Schritt. Daß solch ein unvergeßliches Meisterwerk dabei herauskommen würde, war wohl nicht abzusehen. Sicher, mit Kurzfilmen wie One A.M. (Ein Uhr nachts, 1916), The Rink (Die Rollschuhbahn, 1916) oder The Cure (Die Heilquelle, 1917) hat er bereits unzählige Menschen zum Lachen gebracht, aber mit The Kid gelang ihm eine unwiderstehliche und kongeniale Symbiose seines begnadeten komödiantischen Talents mit einer so einfachen wie herzerwärmenden Geschichte. Und er hat ein feines Auge für die Mißstände der Gesellschaft, baut harsche Sozialkritik in das Szenario ein, ohne es den Zuschauern mit einem Holzhammer einzubläuen. Daß der Film so großartig funktioniert, liegt auch an den tollen Darstellern. Chaplin ist in seiner Paraderolle ein Ereignis. Sein ganzes Gehabe, seine wunderbare Mimik und Gestik, seine liebenswerten Macken, der gelegentliche Blick in die Kamera... das ist Extraklasse. Edna Purviance (21.10.1895 – 11.01.1958), Chaplins Leading Lady in mehr als zwanzig seiner Regiearbeiten ab 1915, macht ihr Dilemma für den Zuschauer spürbar, ohne zu dick aufzutragen. Sie hat zwar Erfolg und ist berühmt, aber an ihrem Fehler hat sie nach wie vor schwer zu knabbern. Und Jackie Coogan (26.10.1914 – 01.03.1984) schafft das beachtenswerte Kunststück, nicht nur unglaublich natürlich zu agieren und zu keiner Sekunde zu nerven, sondern dem Publikum auch noch binnen kürzester Zeit ans Herz zu wachsen. Coogan überstand übrigens seinen Kinderstar-Status (nicht unbeschadet, aber er überstand ihn) und arbeitete bis in die frühen Achtziger-Jahre in Hollywood und fürs Fernsehen. Zum Beispiel war er in den Siebzigern als Onkel Fester in The Addams Family zu sehen. In kleinen aber nicht unwichtigen Rollen sind außerdem Tom Wilson, Charles Reisner, Henry Bergman sowie die zukünftige Mrs. Chaplin Lita Grey (in der wunderbar schrägen Traumszene gegen Ende) zu sehen.
Der Weg zum obligatorischen Happy End ist natürlich mit zahlreichen Hindernissen gespickt, die sowohl für Witz und Slapstick als auch für Dramatik und Action sorgen. Alleine die Sequenz, in der zwei kaltherzige Gutmenschen dem Ziehvater das kranke Kind - welches übrigens eine Art Mini-Me des Tramps ist - wegnehmen und in ein Waisenhaus bringen wollen, woraufhin Chaplin dem Wagen über die Dächer der Stadt hinterher eilt, um John zu retten, ist dermaßen atemberaubend, kraftvoll und hochemotional umgesetzt, daß man es kaum verhindern kann, daß die eine oder andere Träne die Wange herunterkullert. Und es gibt noch einige weitere magische Momente, die bereits für wohlige Gänsehaut sorgen, wenn man bloß an sie denkt. Aus heutiger Sicht wirken ein paar Szenen politisch sehr unkorrekt (z. B. überlegt der Tramp einen Moment lang, ob er das eben gefundene Baby in einen Abwasserkanal werfen soll; später stachelt er seinen fünfjährigen Sohn bei einer Rauferei an und gibt ihm Tipps), aber sie sprühen vor unwiderstehlichem Charme, weshalb man dem Gezeigten einfach nicht böse sein kann. Der von Chaplin selbst komponierte Score harmoniert außerdem prächtig mit den Bildern und verstärkt die emotionalen Momente beträchtlich. Mit The Kid ist dem Perfektionisten Charles Chaplin - er plante jede Sequenz sorgfältig bis ins letzte Detail und verbrauchte Unmengen an Filmmaterial - tatsächlich ein perfekter Film gelungen, der seine zu Tränen rührende, märchenhafte Geschichte mit der exakt richtigen Mischung aus Dramatik, Witz, Leidenschaft und Pathos erzählt. Wunderschön. Einfach nur wunderschön. Es ist kaum zu glauben, daß solch ein herzerwärmendes Meisterwerk in einer Zeit entstanden ist, die für Chaplin unglaublich schwierig gewesen sein muß (Schaffenskrise, Scheidung von Mildred Harris, Tod seines nur drei Tage alten Sohnes Norman Spencer). Im Jahre 1971 überarbeitete Chaplin seinen vielleicht persönlichsten und berührendsten Film noch einmal, fügte die exquisite, nicht mehr wegzudenkende Musikuntermalung hinzu und entfernte ein paar Szenen, die zu dick auftrugen.