Review

Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides (2011, Rob Marshall)

„It's not the destination so much as the journey, they say.“

Nachdem die Reise ans Ende der Welt die Piratenblase von Disney in künstlerischer Hinsicht trotz einer Menge lustigem Klamauk zum Platzen gebracht hat, entschloss man sich vier Jahre später dazu, mit der nächsten Fortsetzung der beliebten Abenteuerfilmreihe ganz neue Ansätze auszuprobieren. Anstelle des ausgedienten Gore Verbinski übernahm dieses Mal der unverbrauchte Rob Marshall das Regiezepter, und mit diesem Wechsel löste sich das Projekt von all dem im zweiten und dritten Teil der Saga aufgestauten verkorksten Fantasy-Ballast und der unvorteilhaft überfüllten Besetzungsliste. Das Ergebnis fühlt sich an wie ein Befreiungsschlag und setzte wie im Titel versprochen rundum frische Gezeiten in Gang.

Auffallend ist zunächst einmal vor allem der dramaturgische Rahmen der Geschichte. On Stranger Tides fühlt sich in nahezu jeder Hinsicht mehrere Nummern „kleiner“ an als das gross aufgeblähte und überladene Vorgängerepos. Anstelle von schicksalsbelasteten Kriegen zwischen Meeresgöttern, Dämonenhorden und staatlich organisierten Piratenarmeen dreht sich in dieser vierten der nicht ganz realitätsnahen Karibikreisen alles um eine sehr simpel aufgerollte Schatzsuche mit mehreren rivalisierenden Parteien. Die verworrenen und bedeutungsschwangeren Elegien um Flüche, Schicksale und Teufelspakte aus den Vorgängern werden zu Gunsten der deutlich bodenständigeren Involvierung von spanischen und britischen Kolonialpionieren fallengelassen, statt frontalem Klamauk gibt es wieder mehr Witz und Charme. Zudem werden die Fantasy-Elemente generell deutlich zurückgeschraubt und ihre Fantasie hat endlich wieder grössere Priorität als die reine Menge. Die einstige Flut an Verweisen und Eigenzitaten muss einigen wenigen kleineren Anspielungen weichen, wie zum Beispiel der sympathisch kurzen Erwähnung des in den beiden Vorgängern viel zu sehr ausgeschlachteten „Parlay“, der Szene mit Josh Gibbs und seinem Schwein oder der Rückkehr der Herren Gillette und Groves. Auf einige längst zum Klischee gewordene Merkmale wie etwa die ehemals obligatorische grosse Seeschlacht wird in dieser Form komplett verzichtet. Die Summe all dieser Elemente und Details beweist, dass On Stranger Tides um Einiges stärker an den Auftakt der Piratenchronik angelehnt ist, als an die beiden zusammenhängenden Sequels, und trotzdem einige Dinge völlig neu macht.

Der Dreh- und Ankerpunkt dieser mannigfaltigen Herangehensweise ist kein Geringerer als Rob Marshall. Die Erzählung ist zwar durchaus simpel und zielgerichtet, doch zum einen war Simplizität schon in Curse of the Black Pearl eine unverzichtbare Zutat des Erfolgsrezeptes und in den beiden Nachfolgern eine zu oft schmerzlich vernachlässigte Komponente, zum anderen manövriert Marshall sich die meiste Zeit gradlinig aber abwechslungsreich durch seine Schatzsuche. Alleine die unterschiedlichen Parteien, ihre Beziehungen untereinander und die wechselnden Allianzen wurden hier weitaus unkomplizierter und zugleich bzw. damit besser gelöst als noch in At World’s End. Die dramaturgische Simplifizierung schafft zugleich Raum für visuelle Schauwerte und Stimmungserzeugung. Zwei Dinge, auf die Marshall Grossen Wert legt, während er die filmischen Bauteile einfallsreich um die Haupthandlung herum arrangiert. Leuchtende Farben, pompöse Schlösser, exotische Urwälder und eine geradezu märchenhafte Reisedestination wecken einerseits Erinnerungen an den ersten Teil und schaffen sich andererseits in ihrer fantasievollen Aufbereitung und Umsetzung einen ganz eigenen Stil, ohne vom Kern der Geschichte abzulenken. On Stranger Tides ist ein zweckdienliches Fest für die Augen und die atmosphärischen Sternstunden nicht gerade rar gesät. Besonders herausragend ist in dieser Hinsicht die gesamte Sequenz mit der Treibjagd auf die neu eingeführten Meerjungfrauen. Wie Marshall das Szenario atmosphärisch langsam aufwickelt und schliesslich in eine so ungewöhnliche Actionszene überleiten lässt ist im wahrsten Sinne des Wortes: magisch.

Nicht nur in den grundlegenden Ideen und in der visuellen Umsetzung, sondern auch in der Besetzung und den Figuren hat sich Disney getraut, viele der letzten Endes abgenutzten alten Zöpfe aus dem Original und den beiden Nachschlägen aufzugeben und frischen Wind auszuprobieren. Johnny Depp ist natürlich wieder Mal Jack Sparrow, und weder seine Darstellung noch der Charakter an sich haben sich gross verändert. Natürlich hat sich die damalige Einzigartigkeit des schrägen Piraten längst abgenutzt, Depp lässt es sich aber trotzdem nicht nehmen, eine souveräne und meistens auch wieder etwas zurückhaltendere Darbietung abzuliefern, die hier insgesamt auch besser reinpasst als in die Teile zwei und drei. Etwas andersartig und im ersten Moment auch befremdlich aufgezogen ist die Rolle des Seebären Hector Barbossa. Geoffrey Rush spielt aber erneut mit grossem Enthusiasmus und Charisma auf, und der Film zeigt anhand der Figur auch mehr als deutlich, wie Sparrow und Hector als verstrittene Buddys funktionieren können, ohne die diesbezüglichen Zirkuseskapaden des dritten Kinoabenteuers wieder aufzugleisen. Unter den Neuzugängen sticht besonders Pirat Blackbeard positiv hervor. Marshall und der Darsteller Ian McShane bauen die Figur des verkommenen Seeräubers wiederum sorgfältig und stimmungsvoll auf (angefangen in der sehr schönen Szene der sich verschwörenden Meuterer) und gönnen ihm im Anschluss einen köstlich finsteren und dramatischen Erstauftritt, der von der Inszenierung ebenfalls atmosphärisch akzentuiert wird. Überzeugend im Handlungsverlauf und der generellen Ideenflut verankert ist auch der nette und charmante Subplot um den Missionar und die Meerjungfrau, die hier die totgelaufenen Turteltauben Bloom und Knightley mehr als nur kompensieren. Àstrid Bergès-Frisbey wird mit ihrem faszinierenden Gesicht und dem herzzerreissend traurigen Blick so schillernd in Szene gesetzt, dass sie nicht nur den Priester verzaubert. Für die kleine Rolle des Neuzuganges Stephen Graham gilt dasselbe, was für das meiste am Film gilt: Frischer Wind und mal etwas Neues.

Natürlich gibt es auch so einiges an Stranger Tides, was nicht ganz so gut funktioniert, glücklicherweise aber auch selten wirklich negativ ins Gewicht fällt. Nach der tollen Einführung der Blackbeard-Figur hätte ich mir gerne gewünscht, dass McShanes Rolle etwas mehr Gewicht und mehr Leinwandzeit erhält, da die Figur in der zweiten Hälfte doch nur so halb ausgeschöpft wird. Penélope Cruz, in nicht gerade wenigen Szenen auch ersetzt durch ihre noch besser aussehende Schwester Monica, sorgt mit ihrer heissblütigen Darbietung für Unterhaltung, ihre Rolle bleibt aber etwas blass, hier hätte ich mir einige zusätzliche Konturen und etwas mehr Handlungsrelevanz erhofft. Hin und wieder entgleist auch mal wieder der Humor des Films in Klamauk, und die erste halbe Stunde der Laufzeit ist generell ziemlich schwach, gerade im Vergleich zu dem, was in den folgenden drei Vierteln geboten wird. In diesem Teil des Abenteuers werden lächerlich überzogene Actionsequenzen und einfallslose Komik uninspiriert aneinandergereiht und mit den unlustigen Gastauftritten von Keith Richards und Judi Dench noch weiter verschandelt. Erst mit dem Auftritt von der Cruz und dem daraus folgenden Fechtkampf kommen Feuer und Inspiration in den Film – und bleiben dann aber auch ziemlich lange. Insgesamt können diese Mängel den Spass aber nur sehr bedingt trüben. Unterm Strich ist Stranger Tides eine fabelhafte Rückbesinnung und zugleich Neuinterpretation, voll mit frischem Wind, eigenen Ideen und einer oftmals richtig magischen visuellen Bildgestaltung. Eine viel zu oft verschmähte Fortsetzung, die den Spagat zwischen Abkehr und Adaption meistert.

Wertung: 8 / 10

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