Die Kuh ist noch nicht ausgemolken...
Einsteigen zur vierten Rundfahrten der Piraten aus der Karibik (auch wenn es letztendlich immer alle Briten sind). Orlando Bloom hat sich verabschiedet, Keira Knightley besucht ihn alle Jubeljahre mal, was also bleibt für eine Neuerwärmung des prachtverzierten Piratenthemas ist die metrosexuelle Komponente in Gestalt von Johnny Depps Captain Jack Sparrow.
Der hat selbstverständlich in der ersten Trilogie den weltweiten Erfolg zu verantworten, wenn er halb angesüffelt und halb schwule Ballerina über die Planken schwankte, Oneline inclusive. Doch ohne den dramaturgisch-herzzerreißenden Unterbau muß "La Capitaine" jetzt den vierten "Pirates"-Film, den offensichtlichen Stapellauf einer zweiten Trilogie (wenn es gut läuft) allein tragen, bzw. darauf hoffen, das sich die neuen Nebendarsteller relativ schnell neben ihm profilieren können.
Machen wir es schmerzhaft, aber kurz: Captain Jack ist der Mann für die geordnet-chaotischen Kurzauftritte mit patentiertem Charme, aber es ist eine ganz andere Sache, wenn auf der fragilen Rätselfigur ein ganzer Plot lastet.
Und das tut er, was zu einem gewissen Teil auch an den zwar sorgfältig ausgesuchten, aber nicht wirklich hundertprozentig überzeugenden Nebendarstellern liegt. Sofern sie nicht schon erfahren genug sind, sich selbst behaupten zu können.
So fällt das Spiel dann auch den alten Kameraden Geoffrey Rush (als Barbossa) und Kevin McNally (als Gibbs) am leichtesten, so sehr, daß Rush sogar eine Szene nach der anderen klaut, in der Depp mit ihm gemeinsam eingesetzt ist.
An diesem Punkt hört die hohe Qualität dann aber auch schon auf: Penélope Cruz sieht zwar als neue Frauenrolle Nr.1 herzzerreißend exotisch aus, macht aber nicht den Eindruck, als wäre ein solider Swashbuckler ihr ureigenstes Element, sondern eher, als würde sie brav tun, was man ihr sagt. Von sexueller Ausstrahlung oder Chemie zwischen den Hauptdarstellern ist leider nur wenig zu spüren.
Noch wenig gibt es für den Bloom-Ersatz zu gewinnen, obwohl der Ex-Elb schon auf der "Black Pearl" nicht eben die unersetzlichste Figur schien. Sam Claflins Figur eines Geistlichen (daß er Philip heißt, bleibt praktisch bis kurz vor Schluß ziemlich unbeachtet) ist so unbedeutend in der Handlung, daß sie nur integriert wurde, weil die Aufgabe - sich in eine Meerjungfrau vergucken und ihr dann das Leben retten - irgendwie zu keinem anderen männlichen Charakter gepaßt hätte.
Claflin bleibt so blaß wie seine Rolle geschrieben ist, Herzschmerz mit brachialer Gewalt und Partnerin Astrid Berges-Frisbey (über den Namen sollte man einen Film drehen!) als fischschwänziger Love Interest steht ihm in Transparenz leider in nichts nach. Wenn die Figuren am Ende in den Tiefen der See verschwinden, hat wohl kaum jemand im Publikum die Neigung, ihr weiteres Schicksal in einer Fortsetzung wieder aufzunehmen.
Ein wenig schade ist es um Charaktermimen Ian McShane als der legendäre "Blackbeard", der leider das Problem hat, sich in einem Kapitänstrio bewegen zu müssen und gegen Davy Jones diabolische Abgründigkeit aus den Teilen 2 und 3 ziemlich abzustinken. Der Finsterling hat kaum Gelegenheit, um wirklich infernalisch zu glänzen, teilt stoisch ein paar Boshaftigkeiten aus und befindet sich drehbuchgemäß eh von Seite 1 an in der Defensive, ein Fehler, den das Skript nie ausmerzen kann.
Womit wir auch schon bei dem Hauptschwachpunkt dieses leicht überproduzierten, aber perfekt visualisierten Films wären: groß, größer, am größten! Zwar hat man die Laufzeit ein wenig zurückgeschraubt und damit die dramaturgischen Durststrecken etwas verkürzt, was man aber nicht vollbracht hat, ist, das Geschehen zu entkomplizieren.
Die Quelle der ewigen Jugend, Barbossa und die Engländer, Blackbeard, Jack und seine Holde, das junge Liebespärchen, die Nebenfiguren und noch ein paar spanische Spielverderber: spätestens wenn man sich auf die Schiffsjagd macht, überschlagen sich die Handlungsstränge in extrem gewollter Spiellust, ungeachtet ihrer Unterhaltungsqualität.
Das geht soweit, daß nach gut zwei Stunden das Ende praktisch locker-leicht herbeigesehnt wird, aber ausgerechnet in Reichweite der Quelle plötzlich eine Wendung nach der nächsten den Plot immer wieder verzögert, bis das Publikum fast die Geduld verliert. Dazu kommt, daß das komplette Finale nach einer Variante des Indianer-Jones-Klassikers um den letzten Kreuzzug schnuppert, was jetzt nicht eben innovativ wirkt.
Wie die gesamte Produktion ein wenig nach einem Reboot der Serie riecht: alles auf Anfang, wir fangen also wieder mit unserem Ausstellungsstück an. Die ersten 20 Minuten in London, inclusive Richard Griffiths ("Mr.Dursley" aus den Potter-Filmen) wenig majestätischem Comedy-Auftritt und einem Cameo von Judy Dench, haben da noch den größten Verve, nachdem die spanischen Verfolger sich als Erste auf die Fährte gemacht hatten. Doch das Skript läßt die Iberer dann erstmal bis zum letzten Drittel aus dem Film verschwinden, stattdessen türmt man langsam aber sicher diverse Plotstränge übereinander, bis man praktisch fleht, daß diese doch jetzt endlich mal wieder entwirrt werden sollten.
Johnny Depp hat mit dieser Entschlackungskur die geringsten Probleme, bewährt tänzelt er durch den Film, macht sich über Jacks feminines Gehabe selbst noch lustig und amüsiert sich scheinbar am meisten über die eigenen Sprüche, was dann auch die Höhepunkte eines relativ aufgeblasenen Abenteuerfilms sind.
Aber das muß nicht unbedingt schlecht sein: als prachtvolle Familienunterhaltung funktioniert auch dieser Film ausgezeichnet, sofern man entweder ein absolut devoter Fan der Reihe ist oder eben noch keinen der Vorgänger gesehen hat. Kennt man die Reihe, hat sie geliebt oder (spätestens im dritten Teil) etwas durchlitten, fehlt der zündende Funke dann doch ein wenig. Der Originalität, dem frischen Witz, ist der Rang längst abgelaufen worden, was folgt, sind erwartbare dramaturgische Fallstricke und wenig von der Abgründigkeit der beiden Vorgänger, die zum Spaß auch noch etwas bleischwere schwarze Abgründigkeit hinzufügten.
Zwar gibt es hier Meerjungfrauen und Zombies, aber erstere waren z.B. in "Peter Pan" schon mal intimer abgründig und letztere haben wenig mehr zu tun, als die Peitsche zu schwingen und vor sich hin zu nuscheln.
Damit gerät "Fremde Gezeiten" zum leichtesten und zugänglichsten, ja übersichtlichsten Teil der Serie, aber auch zu dem mit der wenigsten inneren Geschlossenheit, die mittels der vielen agierenden Gruppen und Grüppchen kompensiert werden sollten.
Am Erfolg wird dieser Film dennoch wenig beschneiden, das Schicksal könnte erst einer eventuellen Fortsetzung dräuen, auf die auch hier alles ausgelegt ist. Kommt es dennoch dazu, dürfte sich Rob Marshall, der eher durch musikalische Dramen aufgedrängt hat, allerdings noch etwas steigern müssen, denn obwohl man merkt, daß er einen leichten Ton anstrebt, spürt man, wie sehr man darauf drängte, die bekannten Plotelemente aus der Erfolgstrilogie alle auch ja wieder ins Boot zu holen, koste es, was es wolle.
Die Seele der Serie hat es nicht gekostet, aber zu Begeisterungsstürmen reicht es auch nicht mehr. Aus "Fluch der Karibik" ist ein ganz normaler Blockbuster geworden - nicht weniger, aber leider auch nicht mehr...mehr. (6/10)