Charlie Chaplins vierter abendfüllender, weil rund 70-minütiger Spielfilm „Circus“ alias „Der Zirkus“ datiert mit seinem Erscheinungsjahr 1928 auf die bereits auslaufende Stummfilm-Ära. Alleskönner und Filmgenius Chaplin fungierte auch für diese Slapstick-Komödie als Produzent, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion und besorgte ferner den Schnitt der von Kameramann Roland Totheroh eingefangenen Bilder.
Der namen- und mittellose Tramp (Charlie Chaplin) bekommt es mit der Polizei zu tun, als er in einen Taschendiebstahl verwickelt wird, den er gar nicht begangen hat. Seine Flucht vor der Exekutive verschlägt ihn in einen Zirkus, über den der Direktor (Al Ernest Garcia, „Goldrausch“) mit strenger Hand herrscht. Doch ausgerechnet der Tramp ist es, der das Publikum zum Lachen bringt – wenn auch unfreiwillig. Daraufhin wird er vom Direktor engagiert, kann jedoch nicht auf Knopfdruck lustig sein wie ein klassischer Clown. Um ganz auf seine Tollpatschigkeit und unfreiwillige Komik zu setzen, wird ihm eine Tätigkeit als Requisiteur zugeteilt – mit Erfolg. Ohne es zu beabsichtigen, avanciert er zur Hauptattraktion des Zirkus, bekommt jedoch erst ein angemessenes Gehalt ausgezahlt, nachdem Merna (Merna Kennedy, „Der Jazzkönig“), Kunstreiterin und Stieftochter des Direktors, ihm die Augen geöffnet und sich für ihn eingesetzt hat. Der Tramp verliebt sich bis über beide Ohren in Merna, doch deren Herz schlägt für den neuen Seiltänzer Rex (Harry Crocker, „Die große Parade“) …
Chaplin erzählt in „Circus“ eine tragikomische Liebesgeschichte, die ans Herz geht, und kombiniert diese mit einer Handlung um Unterdrückung bis hin zu Gewalt hinter der heilen Fassade eines Zirkusbetriebs. Der Direktor ist ein fieses Ekel, der nicht einmal davor zurückschreckt, seine Stieftochter zu schlagen. Die zuweilen Stummfilm-typisch beschleunigt wiedergegebenen Slapstick-Einlagen sind – ebenso wie Chaplins akrobatische Leistungen auf dem Hochseil – auf höchstem Niveau und auch nach heutigem Humorempfinden noch immer urkomisch.
Als der Tramp den Lohn erhält, der ihm zusteht, scheint dies seinem Charakter nicht gutzutun und er bekommt einen kurzzeitigen Höhenflug, wird aber bald jäh auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Gegen Ende täuscht die Handlung ein dick aufgetragenes Happy End an, das der Tramp letztlich jedoch konterkariert. Auch für „Circus“ beschränkt sich Chaplin auf die allernötigsten Texttafeln und setzt stattdessen auf eine ausdrucksstarke Optik inklusive vieler Zirkusnummern und echter Wildtiere gar sowie eine visualisierte Imagination, die mit einem Spezialeffekt einhergeht. Die Filmmusik sollte ursprünglich im Jahre 1948 von Hanns Eisler nachgereicht werden, die damalige antiprogressive US-Cancel-Culture machte dem jedoch einen Strich durch die Rechnung. Für die Neuaufführung einer um Filmmusik ergänzten Fassung im Jahre 1969 schrieb Chaplin schließlich selbst die Musik und sang das Titelstück höchstpersönlich ein.
Allen unumstößlichen Qualitäten des Films zum Trotz stand er für Chaplin unter keinem guten Stern. Während der elfmonatigen Dreharbeiten ließen seine Ehefrau Lita Grey und er sich scheiden, was von einer Schlammschlacht begleitet wurde, die u.a. Chaplins Affäre mit „Circus“-Schauspielerin Merna Kennedy publik werden ließ und Chaplin in einen Nervenzusammenbruch trieb, weshalb er lange Zeit kaum ein Wort über seinen eigentlich so warmherzigen, groß- und dezent wehmütigen Film verlor. Davon unabhängig lohnt sich das Ansehen in jedem Falle!