Review

Einen dialoglastigen Historienfilm erwartet man nicht unbedingt von einem Regisseur, der bisher mehr durch das Prinzip "Effekte über Inhalt" aufgefallen ist - und so sieht das Karriereschicksal von Roland Emmerich, unserem Hollywood-Schwaben nun mal aus.
Der Mann, der schon in den 80ern mit kleinen Inlandsbudgets den großen Popcornblockbustern solange nacheiferte, bis er sie dann mit Erfolg in den Staaten umsetzen durfte, ist nun mal ein Arbeiter auf der großen Skala, immer tolle Effekte, große Zerstörungen, Riesenaufläufe und Besetzungen, die sich mittels Großbudget so richtig austoben konnte.

Daß Emmerich dabei auch ein Faible für die Historie hat, ließ sich schon im Jahr 2000 anhand des Mel-Gibson-Vehikels "The Patriot" erahnen, der zwar nicht wirklich gut, aber immerhin zielgruppenorientiert daher kam und (natürlich) prachtvoll aussah. Zehn Jahre später haben sich Emmerichs Destruktionsorgien ein wenig tot gelaufen, das Metier beherrschen jetzt jüngere und noch gröber gestrickte Jungregisseure auf Videoclipbasis besser.
Darum sollte man auch nicht vorschnell abwinken, wenn Emmerich sich mittels "Anonymus" an einem Sujet versucht, daß man eher von Miramax in den 90ern erwartet hätte - was ein Wunder, schließlich ist es damals auch entstanden, nur um in der Bugwelle des Erfolgs von "Shakespeare in Love" begraben zu werden. Romantik verkaufte sich mit Komödie zusammen wohl besser als ein spekulativer Historienfilm über eine der größten Kreativlügen der Geschichte der Literatur, der den Genius des Barden William Shakespeare in Frage stellt und seinen Werke einem Adeligen zuschreibt, der sich des guten Will als Strohmann bediente, um Gehör und Ansprache bezüglich seiner Regierungskritik zu finden.

Die Folgen waren zu erwarten: "Sakrileg!!!" schrie es allenthalben aus dem Literaturkanon und nicht nur aus Stratford-upon-Avon und Emmerich wurde zum Mittelpunkt und Ziel einer kleinen Hexenjagd, weil er diese Verunglimpfung zugelassen hatte. Dabei ist die Idee hinter diesem Film, daß nämlich der Earl of Oxford, Edward de Vere, die Werke Shakespeares verfaßt habe, weil er im Gegensatz zu dem Mann aus Stratford über die nötige Gesinnung, Bildung, Ausbildung und Wortgewandtheit verfügte, um die literarische Klasse und Produktivität über 10 Jahre aufrecht zu erhalten, diese Idee ist nicht neu, sondern eine Theorie, die genauso gut oder schlüssig ist, wie zu glauben, daß ein Mann, über den bis heute nichts bekannt ist und selbst dessen Portrait angezweifelt wurde, all diese Bühnenwerke und Sonette von höchster Qualität erschuf.
Nichts Neues also eigentlich, aber bisher noch nicht so sehr breitgetreten, wie andere historische Ereignisse, aber trotzdem nicht wirklich skandalös.

Wirklich sensationelle Enthüllungen sollte man sich von Emmerichs Film natürlich nicht erwarten, John Orloffs Skript nach seinem eigenen Buch enthält so manche künstlerische Freiheit und auch sehr viele historische Fehler (wie etwa den Tod von Schriftstellerkollege/rivale Christopher Marlowe, der zeitlich wesentlich früher verortet war), so daß man den Film als semi-fiktive Spielerei akzeptieren sollte, diese jedoch mit Stil und Verve umgesetzt.
Wo der emmerich-kundige Zuschauer jetzt allerdings Action erwartet, bekommt er von seinem Stammregisseur neben einer erlesenen Bilderflut aus dem späten 16.Jahrhundert über zwei Stunden politisch-dramaturgisch motivierte Dialoge zu hören, sein "Anonymus" ist ein reines Dialogdrama, das nur sehr selten mal etwa Actionorientiertes serviert, dessen Qualitäten jedoch in den soapig-skandalösen Enthüllungen über die Intrigen, Winkelzüge und Erbfolgen des englischen Königshofes liegen. Wer da mit wem paktiert oder gegen wen intrigiert, wer wen geschwängert und mit wem Inzest getrieben und wer letztendlich alles Anspruch auf den Thron hätte, macht den eigentlich Reiz aus und verlangt ein wenig Aufmerksamkeit, bis man nämlich durch die Vielzahl der Figuren und Beziehungen untereinander innerhalb von drei Zeitebenen durchgestiegen ist.

Shakespeare selbst ist dabei nur Nebendarsteller, ein ebenso mittelmäßiger, wie geiler Karriereopportunist, der im richtigen Moment seinen Namen unter ein autorenloses Stück setzt, um fortan als ruhmgeiler Erpresser von der schicksalhaften Konstellation zu profitieren. Am anderen Ende sitzt Edward de Vere, eine gequälte Künstlerseele, der sich den Frust und die Leiden eines langen traurigen Lebens und einer verlorenen Liebe, voller Rückschläge und Zwänge nur durch das Verfassen von Stücken und Versen erträglich machen kann (einmal erklärt er sich als fast wahnsinnig, sollte er nicht die Worte in ihm nicht niederschreiben können). Eloquent, ruhig und von beißendem Witz sieht er in der Aufführung seiner Theaterstücke die Möglichkeit seine Stimme über den König und seine direkten Ratgeber und Hofschranzen zu erheben - was er als Adeliger offiziell aber nicht darf. Also beauftragt er den noch erfolglosen Autor Ben Jonson damit, seine Stücke aufzuführen und dadurch ein ruhmreicher Autor zu werden - doch der bald im Mittelstück des Triptychons gefangene Jonson zögert aufgrund seiner angegriffenen künstlerischen Autorität zu lange, bis ihm der Parasit Shakespeare den möglichen Ruhm klaut, den er sich mit seiner eigenen Poesie und Prosa jedoch lieber selbst erarbeitet hätte. Gleichzeitig bewundert er die Werke de Veres, so daß ihn die Ausbeutung durch den Deppen Shakespeare im Laufe der Zeit fast zerreißt. Und auch de Vere treibt der Erfolg seiner Werke eher weiter in die Depression, da er nie den Ruhm für seine Verse erringen wird, jedoch ständig vorgelebt bekommt, was er hätte leisten können.

Wie man also sieht eine klassische Tragödie, die gegen Ende noch hochpolitische (und tatsächlich so geschehene) Ereignisse in Gang setzt und in der der sonst locker agierende Rhys Ifans alle Register würdevollen Könnens zieht, falls ihm Vanessa Redgrave als semi-senile Königin Elizabeth (ihre Tochter Joely spielt übrigens die jüngere Variante ihrer selbst) nicht die Schau stiehlt.
"Anonymus" ist der seltene Fall, daß Schauspielerkino und ein raffinierter Plot Hand in Hand gehen, allerdings ist es schwer, selbst für so eine bunte und abwechslungsreiche Kinophantasie ein Publikum zu gewinnen, daß sich heutzutage eher wortlastigen Filmen widmet, noch dazu über zwei Stunden lang.
In den Vereinigten Staaten war das selbst im Nischenkino nicht nötig, dafür setzt Emmerich im Arthausbereich wohl immer noch zu sehr auf die große Skala (das optisch per PC zum Leben erweckte 16.Jahrhundert ist allerdings superb) und zu wenig auf die leisen Töne, um sich damit die erzählerischen Freiheiten zu kaschieren, die gegen den kontroversen Gehalt arbeiten.
Trotzdem ist "Anonymus" ganz und gar kein Flop, sondern eher Kino der alten Schule in prachtvolle moderne Bilder umgesetzt und wenn auch etwas schwer im Abgang und wenig erheiternd oder aufhellend, dennoch prall gefüllt mit Handlung, Figuren, Wendungen und Überraschungen. Qualität liegt also auch in den (wie Shakespeare in "Hamlet" schrieb - oder auch nicht) "Words...Words...Words..." (7/10)

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