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Regisseur Roland Emmerich war bisher nicht gerade für das Backen kleiner Brötchen bekannt: Wenn der deutsche Hollywood-Export ins Kino lud, durfte man sich vorsorglich schon mal auf stumpfe Effektspektakel einrichten - sei es nun in Form von verschiedensten Weltuntergangsszenarien (“Independence Day”, “The Day After Tomorrow”, “2012”) oder vergleichbarem Nonsens (“Godzilla“, “10.000 BC“), der mal mehr, mal weniger zu amüsieren wusste. Die sinnlose Zelebrierung der Zerstörung hat nun jedoch ein Ende: Mit seinem neusten Werk “Anonymus” beweist der Filmemacher, dass ihm auch anspruchsvollere Stoffe gut zu Gesicht stehen. Der hübsch bebilderte Historien-Thriller rund um den vermeintlichen Betrug Shakespeares kann zwar nicht durchgängig für Hochspannung sorgen, vermag dank seines interessanten Handlungskonstrukts und prägnanten Hauptdarstellers aber dennoch gut zu unterhalten.

Edward de Vere, seines Zeichens Graf von Oxford, wird nach dem Tod seines Vaters vom Adelshaus Cecil aufgenommen. Die dichterischen Ambitionen des musisch begabten Edelmanns stoßen dort auf großen Widerstand. Da sich die Hingabe zu derartiger Kunst für jemanden seines Standes nicht ziemt, muss der Graf (nun: Rhys Ifans) auch noch Jahre später im Verborgenen an seinen Theaterstücken arbeiten. Als er schließlich erkennt, dass seine Bühnenspiele einen mächtigen Einfluss auf die politische Meinungsbildung des Volkes ausüben können, greift Edward zu einer List: Er heuert den einfachen Schauspieler William Shakespeare (Rafe Spall) an, damit dieser die Werke unter seinem Namen aufführt. Mithilfe des vermeintlichen Autors will der Adlige die Frage der Thronfolge von Königin Elizabeth I. (Vanessa Redgrave) in die für ihn richtige Richtung lenken. Sein früherer Ziehvater Robert Cecil (Edward Hogg) und dessen Sohn William (David Thewlis) gestalten dieses Unterfangen jedoch äußerst problematisch…

In einem kurzen inhaltlichen Abriss lässt sich nur schwer die Komplexität einfangen, mit der hier auf dem politischen Parkett intrigiert wird. Um all die eingeführten Personen und deren Beziehung untereinander im Überblick zu behalten, sollte der Zuschauer nicht allzu oft gedanklich abschweifen. Wer jedoch das nötige Maß an Aufmerksamkeit mitbringt, der wird im Endeffekt mit einer interessanten Geschichte sowie Emmerichs bisher wohl anspruchsvollstem Film entlohnt. Durch die verschiedenen Zeitebenen des keinesfalls chronologischen Handlungsverlaufs wird der Historien-Thriller zwar künstlich kompliziert, aber auch aufregender ausgestaltet. Dass es dem royalen Ränkespiel zuweilen etwas an Spannung mangelt, mag bedauerlich sein, ist letztlich aber verschmerzbar. Die Faszination des Streifens entspringt nämlich einem anderen Aspekt: Der verführerischen Verschwörungstheorie, welche William Shakespeare als Scharlatan bloßstellen möchte.

Es dürfte offensichtlich sein, wie weit hergeholt diese Anschuldigen angesichts des völligen Fehlens handfester Beweise sind. Die Tatsache, dass die Theorie trotzdem so manche Anhänger hat und zumindest nicht komplett unschlüssig erscheint, birgt dennoch einen nicht zu unterschätzenden Reiz. Die Fiktion der alternativen Geschichtsschreibung wird ebenso mitreißend wie provokant illustriert: Der Graf von Oxford offenbart sich als missverstandener Poet, dessen elegante Erscheinung einen im selben Maße wie seine wohlklingende Wortwahl in den Bann zieht. Shakespeare hingegen wird als chargierender Schauspieler, als wolllüstiger Analphabet, ja andeutungsweise gar als opportunistischer Mörder dargestellt. Es ist eben jene frisch-freche Herangehensweise (manch grimmige Gemüter würden es womöglich als Respektlosigkeit bezeichnen), welche in Verbindung mit der Tragik hinter dieser konfliktreichen Konstellation das Interesse des Zuschauers zu bündeln weiß.

Shakespeare darf in der Anerkennung der jubelnden Menge baden, während das eigentliche Genie diese ungeheure Ungerechtigkeit von seiner Loge aus stillschweigend beobachten muss. Solch emotionsgeladene Situationen bieten natürlich eine Bühne für große Schauspielkunst. Allen voran Rhys Ifans weiß diese Möglichkeit vortrefflich zu nutzen. Trotz der standesgemäßen Ruhe und Abgeklärtheit sind all seine Gefühlsregungen und inneren Sehnsüchte klar erkennbar. Auch Rafe Spall kann mit seinem schelmischen Auftreten einige Akzente setzen und vermag daher ebenso wie die beiden Königinnen-Darstellerinnen zu überzeugen. Lediglich den Gegenspielern fehlt es am nötigen Maß finsterer Ausstrahlung, was durch die historisch zwar korrekt nachgebildete, aber trotzdem lächerlich klischeehaft wirkende Buckelhaltung nicht gerade verbessert wird.

Dass Emmerich es versteht, die längst vergangene Epoche mithilfe düsterer und farbarmer Bilder sowie kunstvoller Kostüme optisch schick wiederaufleben zu lassen, verwundert nur wenig. Überraschender ist hingegen, dass sich das Action-Ass tatsächlich über zwei Stunden lang beinahe nur auf die guten Dialoge stützt. Zum Schluss darf zwar doch noch etwas geschossen und gestorben werden, jedoch nie in überbordender oder selbstzweckhafter Art und Weise. Zugegebenermaßen: Ein wenig straffer hätte man im Schneideraum ruhig zu Werke gehen können. Was bspw. neben dem plakativen Warnhinweis “Achtung, diesmal wird’s anspruchsvoll” der genaue Nutzen der Einbettung in den Theaterrahmen zu Beginn und Schluss sein soll, bleibt fragwürdig. Aber sei’s drum, wenn man nach so vielen sinnlosen Zerstörungsorgien endlich mal einen Film mit Inhalt dreht, ist das offene Zuschaustellen dieses Umstands ausnahmsweise gestattet.

Fazit: In “Anonymus” stellt Roland Emmerich die Form dankenswerterweise mal nicht über den Inhalt. Der komplex erzählte und hübsch fotografierte Historien-Thriller hätte zwar um ein paar spannungsärmere Szenen erleichtert werden können, profitiert aber dafür von seiner interessant ausgestalteten Verschwörungstheorie sowie einem stark aufspielenden Rhys Ifans, der seinen wortgewandten Grafen mit erhabener Eleganz verkörpert. Der deutsche Krawall-Regisseur kann also auch abseits von Weltuntergangsszenarien für gute Unterhaltung sorgen - Mr. Bay, können Sie da mithalten?

7/10

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