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Wenn man Mitte 70 ist und es immer noch bewerkstelligt, jedes Jahr mindestens einen Film abzuliefern, dann hat das zumeist einen gewissen Qualitätsschwund zur Folge. Selbstgeschrieben, selbst gedreht, selbst entworfen, Woody Allen dreht jetzt schon gut 20 Jahre gemütlich für sich und sein überschaubar treues Publikum Filme, die den Spaß am Filmemachen noch nicht verloren haben, aber in Sachen Relevanz oder strukturierter Unterhaltung sicherlich Geschmackssache sind.
Irgendwas ist immer dran an seinen Projekten, Charaktere bleiben ein unendliches Faszinosum, doch mit den Jahren nimmt man die eigenen Anforderungen an die Werkschau leichter, unkomplizierter. Allen ist schon lange aus den Staaten nach Europa gewechselt, wo er die Metropolen der Welt stets eine zeitlang im Blick behält, ihre Schönheit preist und/oder sie als passender pittoresker Hintergrund für seine Stories in Szene setzt.
Nach London und Abstechern nach Spanien in die französische Periode seit einiger Zeit in vollem Lauf und das Altersmilde in den Werken ist inzwischen schon fast traditionell geraten. Allen verteilt immer noch leichte Spitzen, das satirische Talent noch intakt, aber zwischen ernsten Themen verstecken sich immer wieder märchenhafte Sidesteps, die einfach zum eigenen Wohlgefallen produziert scheinen.
Den typisch amerikanischen Hintergrund betrachtet Allen inzwischen nur noch mit amüsiertem Zwinkern, als Klischee das man einfach nicht los wird, auch wenn man es versucht, aber er analysiert und therapiert kaum noch wirklich herum - stattdessen konzentriert er sich auf Situationen und die Menschen darin, auf Reaktionen und Charakterzüge.

Mit "Midnight in Paris" scheint jedoch jetzt ein nostalgischer Moment eingetreten zu sein, der die Wünsche nach besseren Zeiten als der momentanen soft bearbeitet. Hier hält ein Filmemacher amüsierte Rückschau und läßt sein Alter Ego auf ein Märchenland los, in dem man mit Hingabe herumspielen kann, weil man sich filmisch nicht zwingend mit den negativen Seiten von Zeiten, Orten und Ereignissen herumschlagen muß. Stattdessen setzt Allen der Kunst an sich, dem Film, der Malerei, der Literatur und Dichtkunst - all dem ein Denkmal, hudigt den Künsten und schmückt als sie erstrebenswerte Basis des wahren Lebens aus.

Die neueste, jüngere Version des Regisseurs ist dabei der Drehbuchautor und angehende Novelist Gil Pender, dargestellt von Owen Wilson, der mit den staunenden Augen eines Kindes die alte Welt in Form des modernen Paris erkundet, wo alle kreativen Wünsche durch die bloße Existenz von Geschichte und Stadt an sich befeuert werden.
Sein Wunschtraum ist es, in den goldenen 20er Jahren gelebt zu haben, als die Künstlermetropole vor berühmten Menschen nur so überlief - und man versteht es, wenn man den bisher recht erfolgreichen, aber in Sachen literarischen Ambitionen total unsicheren jungen Mann in seiner ihn begleitenden Entourage sieht.
Seine Verlobte Inez ist das Sinnbild amerikanischer Ignoranz, die für die Schön- und Feinheiten von Paris wenig Sinn und Aufmerksamkeit besitzt, außer wenn sie der aufgeblasene Schnösel Paul erklärt, der sogar eingefleischte Fremdenführerinnen irritiert. Die ebenfalls begleitenden Schwiegereltern, Ziel der einzigen wenigen aktuellen Spitzen, sind Erzkonservative aus der oberen Geldliga, die ihre Oberklasseambitionen auch bei der Parisplanung beibehalten und alles nach preislichem Wert messen - eine Breitseite gegen die aktuelle Tea-Party-Bewegung ist da unvermeidlich.

Wie der autarke Filmemacher bleibt dem Künstler Gil nur die scheinbare Einsamkeit auf eigene Faust, doch der Spaziergang führt in die Irre und zum mitternächtlichen Glockenschlag vor den offenen Verschlag eines altertümlichen Autos, das ihn märchenhaft auf eine Party der 20er Jahre entführt, wo er binnen einer Stunde nacheinander vor den Scott-Fitzgeralds, Cole Porter, Josephine Baker und anderen Heroen landet. Der Traum wird wahr...

Allen hat seine Protagonisten schon vom Kinosaal auf die Leinwand verfrachtet ("The Purple Rose of Cairo"), jetzt schickt er sie für die lauen Pariser Nächte durch die Zeit zurück und man meint, das Sehnen nach verflossenen Zeiten durch jede Zeile zu spüren, die hier mit Verve und Scharfsinn abgesondert wird. Aber Allen beklagt nicht, er gibt sich einfach hin und präsentiert das vergangene Szenario wie ein Bühnenzauberer, der für seinen Protagonisten und stellvertretend das ganze Publikum in jeder Nacht neue unglaubliche Überraschungen bereit hält.
Wer sich in der Kunst- und Literaturgeschichte wenigstens halbwegs auskennt, der sollte sich von der Begeisterung mitreißen lassen, mit der Allen hinter jede Straßenecke ein neues, berühmtes Gesicht stellt, um dann mit Zitaten und Ideen um sich zu werfen, ohne Leben und Werk der Betreffenden zu werten oder in Frage zu stellen.
Seine Kunst ist die Begeisterung des Moments für das reine Streben, das Schaffen von Kunst - Motive, Ansichten, Meinungen, Winks, das alles macht "Midnight in Paris" zu einer künstlerischen Mega-Party, unterbrochen immer wieder von den Tagesabenteuern unseres Helden, der sich den Widrigkeiten der Realität zu stellen hat und der Ignoranz der ihn Umgebenden.

Wahrhaft originell ist das bei weitem nicht, im Gegenteil, der Plot ist abgedroschenstes Hollywood und die Punchline ist eigentlich vom Start weg klar - und das macht es in diesem Fall noch sympathischer, das ausnahmsweise es mal so kommt, wie man es sich für sich oder die Hauptfigur erhofft. Daß Gil Pender im Verlaufe des Films und einer immer tiefer zeitreisenden Wendung für sich die richtigen Schlüsse zieht, um mit der eigenen Karriere klar zu kommen, ist ein abgedroschener, aber weiser Zug, jedoch amüsant verpackt. Natürlich war früher alles besser, aber früher fand man das eben auch schon - und manchmal findet man sogar in der Realität, was man sich wünscht.
Für die Darsteller muß ihr jeweiliger Gastauftritt als Literat oder Künstler der reine Spaß gewesen sein, kein staubiges Wachsfigurenkabinett, sondern eine zufällige Momentaufnahme aus ihrem Leben, die man nach Herzenslust mit Leben erfüllen konnte. Sehr viel Spaß macht dabei Corey Stolls Hemingway und die Gertrude Stein, dargestellt von Kathy Bates, ergänzt noch durch einen absurd-genialen Kurzauftritt von Adrien Brody, der über Nashörner sinniert.
Es gibt kein Rezept für die Rezeption von "Midnight in Paris", man muß sich einfach mitreißen lassen und die eigene Kreativität so in einem neuen anspornenden Blickwinkel sehen. Kunst muß genossen, nicht erklärt werden und mit der Sache seinen Spaß zu haben, hat Allen ausgezeichnet hinbekommen. Mag das vielleicht nicht überall so gut funktionieren wie in Paris - man sollte auf jeden Fall alles von sich abschütteln, was den geraden, den kreativen Weg hemmt.
Und das nimmt man beschwingt mit auf den Heimweg... (9/10)

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