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Spoilerwarnung!

Superheldencomics sind die Rückkehr klassischer Götter- und Heldensagen im neuen Gewand und bieten mitunter spannende Re-Interpretationen dieser zeitlosen Texte. Thor bzw. Donar, dieser hammerschwingende Vegetations- und Wettergott, war ja selbst nur eine nordische "Überarbeitung" des griechischen Blitzeschleuderers Zeus, der durch die christlich geprägte Lieder-Edda letztlich zum lustigen Rauf- und Saufbold umgeformt wurde. Unter der Feder von Stan Lee und Jack Kirby erschien schließlich 1962 der erste Marvel-Comic mit Thor als Hauptfigur.
Da seit BLADE (1998) über nahezu alle Helden aus dem Marvel-Universum Filme gedreht werden und Thor darüberhinaus Mitglied der Avengers ist, war eine Verfilmung nur eine Frage der Zeit. Tatsächlich zeigte bereits zu Anfang der 90er Jahre Sam Raimi Interesse an diesem Stoff, wandte sich dann jedoch SPIDER-MAN zu, so daß nach etlichen Drehbuchüberarbeitungen nun ungewöhnlicherweise Shakespeare-Experte Kenneth Branagh das Projekt übernahm. Nur sollte man sich deswegen nicht zur Vermutung verleiten lassen, daß dadurch ein zu buntem Comic-Kutlurgut herabgesunkener Gott wieder ein Stück seiner Erhabenheit zurückbekommen könnte, obwohl das Handlungsgrundgerüst - der auf die Erde verbannte menschgewordene Gott wird durch sein Selbstopfer zum Erlöser und fährt anschließend wieder in den Himmel auf - nicht nur Parallelen zum Neuen Testament vorweist sondern gleichermaßen auch die verweltlichte Stellung der Mythologie (auch der christlichen) im Kulturbetrieb reflektiert.
Thor (Chris Hemsworth) ist nämlich letztlich nichts anderes als der fleischgewordene Wunschtraum der Astrophysikerin Jane Foster (Natalie Portman) - der vom Himmel gefallene Übermensch, der ihr in der Wüste von New Mexico vors Auto läuft. Wonach Jane Foster eigentlich genau forscht, bleibt unklar, es kann sich allerdings nur um eine Sehnsucht nach dem Numinosen handeln, die sie zur Arbeit treibt. Entsprechend wird im Laufe des Films dann über Einstein-Rosen Brücken (Trekkies auch als Wurmlöcher bekannt) und die Weltesche Yggdrasil philosophiert und die Asen zu mächtigen Außerirdischen verrationalisiert, die von unseren Vorfahren als Götter verehrt wurden.
Entsprechend dieser Dialektik zerfällt THOR dann auch in zwei Teile: da ist einerseits der bildgewaltige Auftakt, der den Hintergrund zu Thors Verbannung schildert und der noch am ehesten zu Branagh's Shakespeare-Enthusiasmus passt. Der Konflikt des jugendlichen Heißsporns mit dem weisen Vater Odin (unterfordert: Anthony Hopkins) einerseits und die Intrige seines innerlich zerrissenen Bruders Loki (Tom Hiddleston als die interessanteste Figur des Films) um den Thron von Asgard schwelgt in herrlichen retrofuturistischen Bildern und zeigt in den Schlachtenszenen mit den bösen Frostriesen sehenswerte Spezialeffekte, trotzdem bleibt die ganze Sache im Vergleich mit Shakespeares Dramen (insbesondere mit Branagh's inhaltlich verwandter HENRY V. - Verfilmung) reichlich eindimensional. Beide Söhne Odins wollen sich ihrem Vater als tolle Kerle beweisen, indem sie die Frostriesen besiegen; wo Thor den direkten Weg geht, ist sein Bruder Loki jedoch ein hinterhältiger Trickser und obendrein selbst ein Riese, der als Säugling von Odin adoptiert wurde. Dadurch wird sein Haß auf die Frostriesen noch stärker als bei Thor nach innen verlagert und zum Kampf mit sich selbst bzw. seiner verdrängten dunklen Hälfte. Insofern ist Loki (wie auch sein mythologisches Pendant) kein typischer Bösewicht sondern eine ambivalente Figur; mit seinem Hörnerhelm erinnert er an Baphomet und schließlich stürzt er wie Thor über sein Ego, was bei beiden auch Vergleiche mit Luzifer nahelegt. Denn immerhin zerschlägt Thor mit seinem Hammer die Regenbogenbrücke Bifröst und zerschneidet somit die Verbindung der Menschen mit dem göttlichen, wohingegen Loki (wie die kurze Sequenz nach dem Abspann zeigt) am Ende auf der Erde festsitzt und dort finsteren Einfluß auf die Menschen ausübt.

Den zweiten und noch weniger gelungenen Teil bilden Thors Abenteuer auf der Erde, im Grunde genommen ein simpler Passageritus, in dessen Verlauf er sich als würdig erweisen muss, damit er seinen Hammer wieder schwingen darf, der wie Excalibur in einem Steinblock festsitzt. Daß sich die Romanze mit Jane Foster nach der Wiedererlangung seiner göttlichen Kraft auf einen simplen Kuss reduziert versteht sich bei einem für Jugendliche konzipierten Adoleszenzdrama natürlich von selbst, ebenso wie man die Zerstörung von Bifröst letztlich als puritanische Sexualverdrängung deuten könnte - das spirituelle Überwesen zerschneidet seine Verbindung zur materiellen Existenz und damit logischerweise zur Frau. Den Kontakt zum verlorenen Numinosen wiederherzustellen und die irdische Immanenz zu überschreiten wird somit zur Aufgabe des Menschen.
Nebenbei wird auch auf ein wenig Intertextualität gesetzt, um THOR fest im Marvel-Universum zu verankern und um auf das Gipfeltreffen der Superhelden in THE AVENGERS vorzubereiten, zu dem THOR (ähnlich wie IRON MAN und CAPTAIN AMERICA - THE FIRST AVENGER) letztlich eine weitere Origin-Story hinzufügt.

Unterm Strich bleibt Branagh's Film aber innerlich ähnlich zerrissen wie Loki. Das ohne Zweifel ambitionierte Konzept, simples Popcorn-Kino mit großem Drama zu fusionieren geht leider nicht auf, da sich THOR einerseits zu ernst nimmt, der anspruchsvolle Part andererseits jedoch zu flach bleibt, um zu begeistern. Auch vermisst man wirkliche Schauspielerei, auf die Branagh gewöhnlich großen Wert legt, lediglich eine Szene kommt längere Zeit ohne Schnitt aus - hier haben seine Theateradaptionen also deutlich die Nase vorn. Andererseits geht er erstaunlich souverän mit digitalen Tricktechniken um, die quarzartige Bifröst-Brücke und auch der Kampf mit dem Destroyer-Roboter sind durchaus als gelungen zu bezeichnen.
Insofern ist es fast schade, daß THOR, statt ein großer Wurf zu werden, deutlich hinter den anderen (ebenfalls durchwachsenen) Marvel-Produktionen zurückbleibt und im Grunde genommen nur ein wenig Eye-Candy bietet, das natürlich nachträglich auch noch auf 3D hochgerechnet wurde.

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