Man muss es John Woo („Bullet in the Head“, „Hart Target“)einfach lassen, was er teilweise seinerzeit in Hongkong an Filmen abgeliefert hat, sucht dort noch heute seinesgleichen. „The Killer“ wird von seinen Fans als DER Woo schlechthin gefeiert. Nun, was er da mit „seinem“ Star Chow-Yun Fat („Tiger & Dragon“, „The Replacement Killers“) auf Zelluloid bannte, das ist sicher eine Klasse für sich. Selten konnte Woo seine Standardthemen Freundschaft, Liebe und Ehre so in Einklang bringen, selten wirkten sie weniger gekünstelt.
Die melancholischen, traurigen Szenen des Films sind dennoch, wie immer bei ihm, die Schwächen. Zumindest in diesem Fall aber stark von meiner eigenen subjektiven Meinung geprägt, denn ich kann und werde nie etwas mit diesem kitschigen, Tränen rührenden Gefühlskino Asiens anfangen können. Woos Versuche hier Emotionen zu zeigen, halten sich glücklicherweise in Grenzen. Stattdessen kracht und rummst es gewaltig, der ruhige Ton wird zwischendurch trotzdem getroffen.
Die blutigen Shootouts, so übertrieben ihre Darstellung auch ist, sind Woos Markenzeichen – genau wie ein beidhändig ballender Fat oder fliegende weiße Tauben. „The Killer“ ist zum Großteil ein Ballett des Todes, in dem, jenseits von Gut und Böse, alles zerlegt, zerschossen und getötet wird, was den Pro- und Antagonisten vor die Flinten kommt. Die Choreographie ist atemberaubend, Woo ist in diesem Element eine Klasse für sich, ein Visionär, mit Auge für das Detail, Motive, Kameraeinstellungen und den richtigen Effekt an der richtigen Stelle. Es mag zwar oft alles etwas übertrieben aussehen, aber hey, es ist ein Actionfilm und da dürfen die Guten auch schon mal unverletzt aus dem Kugelhagel entkommen. Dass er sich nicht nur aus dem Terrain auskennt beweist Woo mit Autoverfolgungsjagden, denen ich in ihrer altmodischen Machart hinterher weine.
Jeffrey (Fat) ist hier Woos Held. Ein renommierter Auftragskiller, der seinen Job satt hat und aussteigen will, bei seinem vorletzten Auftrag aber eine Sängerin schwer an den Augen verletzt. Ihr Leid entzündet den letzten Funken Menschlichkeit in diesem kalten Charakter, der Gesellschaft meidet und nur seinen Mentor und Freund, der ihn mit Aufträgen versorgt, traut. Ein Ausstieg aus diesem Geschäft erscheint unmöglich, bald steht Jeffrey selbst im Fadenkreuz, wird von der Polizei gejagt und entwickelt Gefühle für die blinde Sally. Wem jetzt noch trauen und wie eine Lösung finden?
Tragisch, wie die Handlung sich zuspitzen wird. Engste Freundschaften werden durch Verrat auf die Probe gestellt, doch nicht nur Jeffrey sieht sich Gewissensbissen ausgesetzt. Auch der ihn verfolgende Cop Li (Danny Lee) gerät in einen Konflikt mit seinen bis dahin so klaren Ansichten wer nun gut und wer böse ist. Der Attentäter, sein Ziel, ist längst nicht der kaltblütige, unsympathische Untermensch, für den er ihn hält. Es ist eine verwundete Seele, die selbst zum Ziel geworden ist und sich erst jetzt, wo er selbst verwundbar geworden ist, seiner Menschlichkeit bewusst wird.
Der Actionanteil dieses einflussreichen Films ist hoch, weitaus höher als beispielsweise in „A Better Tomorrow“ und vor allem besser besetzt und gespielt als Woos voran gegangene Werke. Daher bleibt kaum Platz für Gefühlsausbrüche. Action und sei sie wie eine Oper musikalisch, klassisch untermalt ist Woos Elixier. Ich mag, so perfekt die Shootouts auch sind, ihnen einen künstlerischen Anspruch nicht absprechen, aber in den Kontext einfügen tun sie sich nicht unbedingt. Sind wir mal ehrlich, wer guckt Woos Filme nicht genau wegen dieses Elements. Er praktiziert Gewaltbeschau in Reinkultur für die große Masse. Die Zeitlupenästhetik ist sein bevorzugtes Instrument. Wenn seine Helden in Zeitlupe final die Gegnermassen ins Jenseits schicken, die Kugeln zu Boden fallen und das Blut in Zeitlupe durch das Bild spritzt, dann ist das, wenn auch sehr elegant, durchaus selbstzweckhaft. Ich sehe das nicht mal als Manko, aber der Anspruch, der diesen brutalen Einlagen entgegen gebracht wird, ist doch etwas überzogen.
„The Killer“ hat Charakter, weil er Charaktere hat! Sie sind keine Abziehbilder, keine stereotypen Rambos, die ihren Weg gehen, sondern verletzliche Individuen. Das macht den Film so stark. Woo geht auf seine Figuren ein, gibt dem Publikum die Chance sie zu verinnerlichen. Die Grenzen verschwimmen zusehends, bestehende Konstellationen lösen sich auf und werden ins Gegenteil verkehrt und neu geordnet. Nicht nur der Hauptcharakter watet durch ein Meer der Gefühle, das am Ende in einem denkwürdigen Antiklimax nicht aufgewühlter sein könnte.
Fazit:
„The Killer“ ist ein ungeheuer dramatische Actiontragödie, die superb gespielt ist und von John Woo gewohnt niveauvoll inszeniert worden ist. Die kitschigen, emotionellen Szenen halten sich in Grenzen und auch die moralinversuchten Aussagen werden hier mal nicht ganz so dick aufgebuttert. Mit dem Realismus selbst nimmt Woo es zwar nicht immer so genau, aber dafür befinden wir uns hier ja auch in einem Actionepos, in dem halt hier und da etwas möglich gemacht wird, was in der Realität so nie möglich gewesen wäre - dazu gehören natürlich auch die akrobatischen, blutigen Gewaltausbrüche. Die gängigen Motive Liebe, Hass, Enttäuschung, Freundschaft, Ehre, Loyalität und was weiß ich nicht alles sind vorhanden, überfrachten das doch recht simple Poltkonstrukt aber nie. Woo bewies hier viel Fingerspitzengefühl und das ausnahmsweise, wie in vielen seiner anderen Filme, nicht nur in der Actionchoreographie. Er versagt zwischen den kunstvollen Bleigewittern einmal nicht, sondern nagelt seine Figuren an die Herz seines Publikums. Das sagt jemand, der die asiatische Filmlandschaft normalerweise weiträumig umgeht und sich nur selten traut, einen Blick zur riskieren. Der hier hat es jedenfalls verdient gesehen zu werden.