Eine alte und verlassene Kirche im Irgendwo. Zwei Menschen sitzen auf der vordersten Bank. Obwohl sie nicht beten, wirkt die Szenerie friedlich. Diese zwei Menschen sind alte Freunde, doch was machen sie dort, wenn sie nicht die Nähe zu Gott suchen? Ein Mann ist ein Auftragskiller, der andere sein direkter Auftraggeber. Die Zielperson wird bekanntgegeben, Waffen übergeben und dann...
...dann ist es Schluß mit der Ruhe. Die Eingangssequenz ist gerade einmal 2 Minuten lang, bevor der erste Sturm losbricht. Ein Feuersturm wahrhaft orgiastischen Aumaßes, für den eigentlich nur einer auf dieser Welt verantwortlich sein kann: John Woo. Auf dem mehrjährigen Höhepunkt seines Schaffens drehte Woo einen Actionkracher nach dem anderen. Allen Filmen waren einige Trademarks gemeinsam, die seine Filme nicht nur unverwechselbar machen, sondern bis heute noch viele andere Filmemacher inspirieren. Lange Schußgefechte, perfekt choreographiert, mit enorm hohen Blut- und Bleianteilen. Trotz aller Brutalität immer elegant. Doch die Action war in seinen Filmen nicht alles. Was seine Filme wohl einzigartig macht, sind die tiefen und enorm plastischen Charakterzeichnungen seiner „Helden“. Keine Schablonen von gut oder böse, die gegeneinander kämpfen, sondern immer gebrochene Charaktere, die entweder etwas Dunkles in ihrer Gutmenschlichkeit trugen oder eben andersherum.
So auch in „The Killer“, einem der besten Werke Woos. Der Held ist der Auftragskiller Jeffrey, der von Woos männlicher Muse Chow Yun-Fat wieder einmal auf unnachahmlich coole, wie menschlich bewegende und nicht zuletzt artistische Art und Weise dargestellt wird. Trotz seiner immer fragwürdigen Handlungen, ist er doch klar als Held definiert. Er mordet zwar für Geld, riskiert sein Leben aber immer für Unschuldige. Nach der beschriebenen Eingangssequenz entfacht nämlich Jeffrey den Feuersturm, indem er seinen Auftrag durchfürt. Mit Hilfe moderner Feuerwaffen kommt er in unvergleichlicher Eleganz wie eine Naturgewalt über seine Gegner. Gnadenlos tötet er nicht nur, sondern richtet geradezu. Selbst Schergen werden mit mindestens 5 Kugeln bedacht. Wer von Jeffrey gerichtet wird, steht nicht mehr auf. Wie ein schwarzhaariger Racheengel durchpflügt Jeffrey und hinterlässt zertrümmerte Einrichtung und totes Fleisch. Diese Szene ist exemplarisch für Woos Schaffen. Enorme Brutalität, Schönheit der Inszenierung und ein wohlfein choreographiertes Ballett des Todes. Aber noch mehr steckt dahinter. Diese Szene ist nicht einfach nur eine Einführung in die Action des Filmes, sondern vielmehr eine Vorstellung des Hauptcharakters Jeffrey. Dabei geht es nicht nur um die unglaubliche Waffenbeherrschung, über die er verfügt, oder die Radikalität, mit der er seine Gegner umbringt. Nein, aus Versehen blendet er die Sängerin Jennie (Sally Yeh), die er im Kugelhagel mit Hilfe seines Körpers vor weiteren Verletzungen rettet und sich fortan um sie kümmert, da sie fast blind ist. Ohne in dem Inferno aus Blei zu reden, ist dem Zuschauer Jeffreys Charakter deutlich geworden. In den folgenden Filmminuten wird Jeffreys Charakter, der von Werten wie Treue und Moral (auch für einen Killer) getrieben ist, weiter ausgeführt.
Chow Yun-Fat spielt seinen Charakter auf seine ihm eigene, unnachahmliche Art und Weise. Beides nimmt man ihm ab: den rücksichtslosen und erbarmungslosen Killer, wie auch den besorgten Menschen, der unter größter Lebensgefahr ein angschossenes Mädchen zum Krankenhaus bringt. Die Tiefe der Geschichte, für die man Woo trotz aller Action gratulieren muß, wird auch von den Darstellern, allen voran Chow Yun-Fat getragen, der auch als Held des asiatischen Actionfilmes ein großartiger Schauspieler ist. Dies ist wohl einer der größten Unterschiede vom Woo’schen Werk (zwischen „A Better Tomorrow“ und „Hard Boiled“) und dem amerikanischen Actionkino. Nichts gegen Schwarzenegger, Stallone und Norris, doch rein schauspielerisch können sie einem Darsteller wie Chow Yun-Fat nicht das Wasser reichen. Die Action Woos wurde recht schnell kopiert von den westlichen Actionregisseuren, doch die Tiefe und Poesie (so komisch dies für einen Actionfilm klingt) bleibt dabei unerreicht. Doch nicht nur Chow Yun-Fat kann dabei überzeugen: auch Danny Lee als Inspektor Lee passt zu Chow Yun-Fat wie die Butter aufs Brötchen. Erst jagt er Jeffrey, später empfindet er Respekt für seinen Gegenspieler und am Ende kämpfen beide Seite an Seite. Diese Entwicklung ist typisch für das Werk von Woo, zieht sich doch die viel zitierte Männerfreundschaft wie ein roter Faden durch seine Filme. Genausowenig wie die überstilisierten Bilder (Tauben, die in Zeitlupe durch den Schußwechsel flattern), wirkt dies kitschig. Es zeigt doch nur nachdenkliche Menschen, die ihrem Job nachgehen, der sie nicht ausfüllt, sie aber trotzdem versuchen ihr Bestes zu geben. Killer Jeffrey will aussteigen und auch Inspektor Lee dem trotz allem Einsatzes in der Polizei von den Vorgesetzten immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden ist aufgrund fehlender Kameradschaft bei der Polizei unzufrieden. Da so glaubhaft dargestellt, gelingt auch die langsame Annäherung der Beiden über die Filmlänge.
Neben allem schauspielerischen dramatischen Momenten ist und bleibt „The Killer“ ein Actionfilm. Und er ist sogar einer der besten. Wo der Film begann, da endet er auch: in der verlassenen Kirche. Auf den Endkampf an diesem Schauplatz wird hingearbeitet und so bombastisch fällt er dann auch aus. Der sowieso schon stattliche Bodycount erklimmt weitere ungeahnte Höhen und auch die Protagonisten sind nicht mehr dieselben, wie zu Beginn des Filmes. Lee und Jeffrey fechten Seite an Seite, Rücken an Rücken einen fast ausweglosen letzten Kampf aus, der in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Allein das Wort Schießerei ist schon zu profan für das Gewaltgewitter, das durch die heiligen Hallen rauscht. Einzig in „Hard Boiled“ waren die Ballereien noch ausgefeilter und exzessiver. Dafür kann „The Killer“ mit einer stringenteren und letztlich etwas packenderen Story punkten. Wenn dieser Kampf ausgekämpft ist, hat auch der Zuschauer das Gefühl, etwas überstanden zu haben. So packend ist dies inszeniert. Und durch die schon beschriebene Greifbarkeit der Charaktere fiebert er auch wesentlich mehr mit, als z.B. bei modernen Woo-Epigonen, wie „Shoot Em Up“, der sich das Woo’sche Schaffen ganz klar zum Vorbild genommen hat, um es auf die Spitze zu treiben. Doch was Intensität angeht, schafft er es zu keiner Sekunde.
Wenn man sich Meiterwerke wie „Hard Boiled“, „A Better Tomorrow“ oder eben „The Killer“ anschaut, kann man sich nur wünschen, dass sich das Dream-Team Woo und Chow Yun-Fat wieder zusammentut, um einen Film dieses Kalibers zu inszenieren. Alles was nach „Hard Boiled“ kam, war nichts im Vergleich zu diesen Filmen, wo nicht nur die Luft brannte, sondern auch Zuschauer. Dies gilt sowohl für Woos, wie auch Chow Yun-Fats späteres Schaffen. Jedem Freund von Action-Filmen kann man „The Killer“ nur wärmstens ans Herz legen, denn wenn man ihn nicht gesehen hat, weiß man auch nicht, wie ein Actioner auszusehen hat!
Fazit:
10 / 10