Hundstage
Es ist Sommer in Österreich, und es ist heiß, so heiß, dass das (Zusammen-)leben in einem österreichischen Normalbürger-Vorort hart auf die Probe gestellt wird. Ulrich Seidls Gesellschaftsporträt zeigt in einem unangenehm intensiven und nahen Dokumentarstil lose zusammengeknüpfte Episoden aus dem normalen Leben der bürgerlichen Schicht in jenem Vorort - Ein Tanz auf dem Vulkan, zwischen Apathie und Aggression, mit dem ständigen Risiko eines Ausbruchs. Von dem depressiven, perspektivenlosen, vom jähzornigen Freund geschlagenen Mädchen bis hin zum ewig meckernden, frustrierten und verwitweten Rentner findet man Paradebeispiele des heutigen "Ottonormalverbrauchers", in einer Welt des Konsums und der sozialen Kälte lebend. Knallhart und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen zeigt die aufdringliche Kamera mitunter groteske Situationen aus dem Alltag in der Hitze der Hundstage, und wenn die Szene droht, intim zu werden oder zu eskalieren, dann wird das Auge auch nicht abgewendet. Man kann die vielen Aspekte im Film gar nicht beschreiben, man muss es einfach sehen und selbst vergleichen mit der Realität. Auch wenn "Hundstage" für einige schockierend und unerträglich wirken mag, so stellt man nach einigem Nachdenken fest, dass gerade das überhaupt nicht abwägig ist, sondern vielmehr erschreckend authentisch.
Entladungen der Gewalt, explizite Nacktheit und Rohheit, unverständlich irrationales Handeln lassen die stilisierten und gelackten Fassaden des "normalen Lebens", wie sie uns in zahllosen Fernsehsendungen etwa präsentiert werden, zerbrechen und machen Platz für einen ernüchternden Blick auf uns selbst, auf eine über Jahre festgefahrene Gesellschaftsstruktur, wie sie trotz Wohlstand und Freiheit gar nicht unmenschlicher, asozialer und totalitärer sein kann. Das spiegelt sich nicht nur in den Episoden des Filmes wider, sondern auch in der Bildführung: Starre Bilder von liegenden, schwitzenden Gestalten vor schlichter, langweilig-geradliniger Kulisse von Wohnungen, Häusern und Supermärkten. Ähnlich wie Haneke in "Code:Unbekannt" oder "71 Fragmente" zeigt Seidl den Egoismus, die Beziehungsunfähigkeit und das andere typische Verhalten eines modernen Menschen. Als nachdenklicher Zuschauer fasst man sich an den Kopf und weiß nicht so recht, ob man lachen oder weinen soll, wenn man erkennen muss, dass etwas elementares wie Liebe in weite Ferne rückt und nur noch gelegentlich als verzerrte Fratze sein Unwesen treibt, Menschen zu Wracks macht.
Das ist es auch, was den Film so bedrückend macht. Egal ob vernünftig und intelligent, oder einfach und unbedacht - wenn sie schwitzen müssen, dann sind wir alle gleich. Nichts ist in Ordnung, die Probleme dieser Welt fangen bereits in vollem Maße direkt vor und eben hinter der Haustür an.
"Hundstage" ist böse, mitunter gar zynisch (vor allem gegen Ende), gewagt und brisant. Tabus gibt es wie im richtigen Leben keine. Mit den brillianten Laiendarstellern, die beachtlichen Einsatz zeigen und der genialen Filmkomposition von Ulrich Seidl, ist dem Österreicher ein bedeutender, wichtiger Meilenstein des Gesellschaftsfilmes gelungen, der noch lange nachwirkt und hoffentlich auch ein paar Augen öffnet. Mehr als 10/10.