Review

Dies ist mein 1000.Review!

Es war einmal...
...damals in den 80ern...
...da gab es sie noch zuhauf, die Programmkinos, abseits der großen Paläste, die in den Großstädten die Filme zeigten, die man sonst nicht mehr zu Gesicht bekam, wenn man auf der grassierenden Videowelle nicht mitschwimmen wollte oder konnte.
Wer so ein Kino in seiner Nähe hatte, der hatte noch die Möglichkeit, Filme für sich zu entdecken. Filme, die man nicht in Discform oder als Kassette mal so eben getauscht bekam. Filme, von denen man als Teenager vielleicht noch nicht gehört hatte.
Eins dieser Kinos lag auch in unserer Stadt, das „Apollo“ und wer sich zu einer Vorstellung begeben wollte, mußte durch eine Toreinfahrt einen langen Hofweg entlang, dessen linke Seite mit Schaukästen gepflastert war. In jedem Schaukasten hing ein Kinoplakat, das auf „coming attractions“ hinwies, bisweilen vier oder fünf Wochen im Voraus.
Die ganze Vielfalt des Kinos schrie einem hier entgegen und nicht selten machten die Plakate als Blickfänger neugierig auf Filme, in die man so niemals gegangen wäre.
Manche kehrten immer wieder und stellten die hartnäckige Verweigerung auf eine harte Probe und deshalb gab man sich nicht wenigen hin.
Als da wären: The Rocky Horror Picture Show, das komplette Werk von Monty Python inclusive Dotterbart und Jabberwocky, Halloween, Uhrwerk Orange, Harold and Maude, Alices Restaurant, Hair, Der Herr der Ringe, 2001-Odyssee im Weltraum, Dark Star, Dr.Seltsam, Shining, Blade Runner, Watership Down, Yellow Submarine oder Sindbads 7.Reise. Und natürlich The Blues Brothers. Immer wieder.

Ich weiß nicht so recht, warum es bis zu meinem 16.Lebensjahr gedauert hat, bis ich mich endlich auch in diesen Film getraut habe, aber vermutlich hat mich ständig der Schriftzug "Music in Action“ auf dem Plakat abgehalten. Es war noch das orginale US-Plakat, daß den ganzen Autoschrott und die Truppenaufmärsche ineinander als Collage verschoben rund um ein Bild von Elwood und Jake auf ihrem Bluesmobil präsentierte.
Das Plakat war reizvoll, aber wer wollte schon in einen Film mit Musik?
Selten habe ich mir im Geiste später Ohrfeigen verteilt für jedes Mal Zaudern.
Denn als ich ihn schlußendlich sah, bekam ich einen Film präsentiert, wie ich ihn nie gesehen hatte und wie ich ihn auch nie wieder später zu sehen bekam...was irgendwie traurig ist...

„The Blues Brothers“ gilt heute als absoluter Kultfilm, neben „Rocky Horror“ eins der musikalisch-abgedrehten „Must-See“-Werke, doch die Ausstrahlung im Fernsehen, sowie Video und DVD haben viel von seiner Wirkung schwinden lassen.
Ich besitze tatsächlich eine DVD und habe den Film im TV aufgenommen, doch gesehen habe ich ihn nie. Ich sitze praktisch daneben, aber ich warte auf die nächste Kinoausstrahlung, denn ich weiß, nur da wird der Film seine monumentale Wirkung entfalten.

Ein Blick zurück auf die Produktionsgeschichte: „BB“ selbst war das krönende Projekt einer Idee aus der Comedy-Show „Saturday Night Live“, wie es später auch etwa bei „Wayne’s World“ der Fall war. John Belushi und Dan Aykroyd entdeckten ihre Liebe zur Bluesmusik, dachten sich die beiden Figuren aus und präsentierten sich selbst in der Show als Musiknummer, nachdem sie eine eigene Band zusammengesucht hatten. Die Idee verselbständigte sich mit verschiedenen Wiederholungen, dem damit verbundenen Erfolg, dann sogar mit einer Platte und einer Tournee. Und nicht lange danach saß Aykroyd bereits an einem Drehbuch für einen Film, den John Landis, dem Regisseur von Belushis Erfolg „Animal House“, inszenieren sollte.
Das Projekt stand an sich unter einem schlechten Stern. Belushi konsumierte zu dieser Zeit wieder erhebliche Mengen Drogen (hauptsächlich Kokain, Uppers und Downers), um den Streß zu bewältigen, der Film lief aus dem Budget und das Drehbuch wurde nie fertig, vielmehr schrieb Aykroyd Material für drei normale Drehbücher.
An der Kinokasse spielte der Film zwar eine Menge ein, aber die Kosten von über 32 Millionen waren immens und die im Film reichlich gespielte „schwarze“ Musik machte natürlich in gewissen Gegenden den Kinoeinsatz zu einer hoffnungslosen Angelegenheit.
Der Film galt also erstmal nicht gerade als Hit...doch gewisse Kinos in gewissen „schwarzen“ Gegenden setzten Landis Werk gar nicht erst wieder ab und diese Welle lief rund um die Welt. „Blues Brothers“ traf in seiner Machart einen Nerv, vor allem bei Studenten, nicht zuletzt wegen seiner anarchischen Ansätze und seiner dauerhaften Coolness. Worauf man noch näher eingehen sollte...

Was also macht den Erfolg dieses Films denn nun eigentlich aus?
Wer sich tatsächlich über Ursachen und Wirkung Gedanken macht, wird bemerken, daß der Film den Vorteil besitzt, nicht mit irgendeinem anderen Film verglichen werden zu können. Er steht komplett abseits aller gängigen Schemata oder noch besser, jedem Genre überhaupt.
Natürlich ist es irgendwie eine Komödie, irgendwie ein Musikfilm und irgendwie ist auch jede Menge Action enthalten, aber das brandmarkt Landis‘ Film in keiner Sekunde als irgendetwas davon zugehörig. Und es ist keine Parodie, keine Hommage und bedient sich auch nicht an anderen Referenzpunkten der Filmgeschichte. Es ist ein Original und das ist selten, selbst in den unendlichen Weiten des Films.

Gleichzeitig übt dieser autarke Schwebezustand einen ungeheuren Reiz aus, denn man muß keine Musik mögen, um von den Gesangs- und Tanznummern mitgerissen zu werden, man muß nicht auf Witze oder Jokes warten, weil sich der Humor aus dem stoischen Verhalten und dem praktisch ignoranten Geradeausblicken der beiden Hauptfiguren ergibt, die ihr Ziel, die Beschaffung von Geld zur Rettung eines hochbesteuerten Waisenhauses, nie aus den Augen verlieren, egal was da hinter ihnen geschehen möge.

Jake und Elwood Blues sind dabei irgendwie Aliens in unserer menschlichen Gesellschaft, Außenseiter, Randcharaktere, „on the edge“ könnte man sagen und damit nur sich verpflichtet. Eine Auseinandersetzung mit sich selbst findet nicht statt, obwohl menschliche Regungen sich durchaus manchmal zeigen (wie etwa in Elwoods Twiggy-Anmache). Die Bluesmusik scheint die ganze Welt der beiden zu zeigen und ihre kompromißlose Auseinandersetzung mit dem Thema führt sie in einen Konflikt mit dem Rest der Welt. Der wiederum ist entweder die sture Gesetzesmacht oder in seiner ureigensten Existenz noch skuriler als die beiden Brüder mit ihren schwarzen Anzügen, Hüten und Sonnenbrillen, nämlich Hillbillys, Nazis oder sitzengelassene Beinahe-Ehefrauen.
Doch bei alledem was sie tun, halten sie zusammen, Kritik kommt kaum auf und man trägt die Konsequenzen bei all den irrsinnigen Folgen mit klassischem Stoiszismus.

Natürlich beruht der riesige Erfolg auch auf der geradezu kindlichen Zerstörungslust, die hier in einer monumentalen Materialschlacht immensen Ausmaßes ausgelebt wird, vornehmlich an Gebäuden, Geschäften und Autos, die die musikalischen Ausbrüche am Wegesrand immer wieder unterbrechen. Umrandet und begründet werden diese Bruchorgien von lakonischem Humor, die mitten ins Herz des linken Amerikas treffen, wenn etwa mit dem Spruch „Ich hasse diese Nazis“ ein Truppenaufmarsch von Neonazis zu einem Sprung von einer Brücke bewegt wird oder Redneck-Country-Musiker von scheinbar jüdischen Musikfunktionären hingehalten werden, noc dazu ohne Sinn und Zweck.

Praktisch von der ersten Sekunde an, ist „Blues Brothers“ Kultfilm pur und will auch gar nichts anderes sein. Die feurigen Schornsteine von Illinois geben das Setting vor und der erste Auftritt von Jake als zu entlassener Strafgefanger, der seine persönlichen Sachen zurück erhält, bieten bereits eine absolut anarchische Komponente. Spätestens wenn Frank Oz mit der Pinzette aus dem Karton ein benutztes Kondom fischt und Jake die schwarzen Sachen zurückgibt (die dieser nur mit einem X quittiert, also offenbar gar nicht schreiben kann), ahnt man, daß in diesem Film alles möglich ist.
Unterstrichen wird das durch das Öffnen des Gefängnistores, ein ebenfalls offenbar sehr aufwändiges Unternehmen. In der sich bietenden Öffnung sieht man die kleine Gestalt Jakes gegen die grelle aufgehende Sonne, im Vordergrund Elwood vor dem Bluesmobil. Langsam erklingt die erste Musik des Films...es kann losgehen...

Von da an kann jeder Zuschauer seine ganz persönliche Lieblingsszene genießen, sei sie nun musikalisch oder eher anarchistisch-humorvoll. Es gibt Dutzende davon und der Film, obwohl er einige scheinbar unnötige Schlenker besitzt, baut sich ein ganzes Arsenal von Nebenfiguren auf, um sie in einem nie dagewesenen Showdown eines Autorennens in und um Chicago zu verheizen und das noch dazu auf effektvolle Art und Weise.
Der Klassiker ist natürlich die Motivation der beiden, die sich jede ihrer Handlungen mit der göttlichen Eingebung Jakes entschuldigen, sie sein „im Auftrag des Herrn unterwegs“ und so viel Glück wie die beiden haben, scheint er tatsächlich sein Händchen über sie zu halten.

Daß viele Leute nichts mit dem Film anfangen können, liegt wohl er in seiner Andersartigkeit begründet, denn nichts ist wirklich konkretisiert oder in Form gebracht. Das Abwerben eines Bandmitglieds in einem Nobelrestaurant funktioniert nur über eine groteske Slapstickeinlage, ein permanentes Danebenbenehmen; Kritik an einem neuen Auto kann nur begraben werden, in dem man per Sprung über eine offene Hängebrücke dessen Qualität beweist; die verzweifelte Suche nach einem Gig beendet man ausgerechnet in einer Countrykneipe, versucht aber unverdrossen erst mal Bluesmusik zu spielen (und bewährt sich danach) und eine unbekannte Schöne, die unsere Helden nacheinander mit Granatenwerfer, Flammenwerfer und automatischen Waffen attackiert, wird erst einmal bis zum Showdown nicht weiter beachtet.
Auch das Aufblasen von Nichtigkeiten wie etwa eine Polizeikontrolle (okay, sie hätten im Knast landen können), die zur kompletten Zerstörung eines Einkaufszentrums führt, bei dessen Verschrottung beide Kommentare abgehen, die nun so gar nicht zum Ernst der Lage passen (sie unterhalten sich über die Auslagen und Angebote), ist manchmal schwer nachvollziehbar und verlangt vom Zuschauer ein ebensolches Lockerlassen wie es die Protagonisten auch tun.

Zusätzlicher Reiz kommt noch auf durch die vielen Gastspiele berühmter Musiker wie Aretha Franklin, Cab Calloway, Ray Charles, John Lee Hooker oder James Brown, die immer mal wieder einen Gag und einen Song beisteuern, die aber stets exakt zur jeweiligen Situation in den Film passen.

Doch all das...
...muß man auf einer Kinoleinwand sehen, all die Zerstörung, die Autojagden und übergroßen Charaktere. Man muß in der Dunkelheit mitswingen und mitwippen können, laut auflachen oder sich kreischend zusammenkrümmen. Und nur in der Dunkelheit kann man wirklich cool sein wie Jake und Elwood, die auch in der tiefsten Nacht ihre Sonnenbrillen niemals abnehmen, eben weil sie die Welt durch ihre ureigensten Gläser sehen.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten für einen Zuschauer, mit den Blues Brothers umzugehen: man liebt sie oder sie lassen einen kalt. Aber mit dieser politischen Unkorrektheit erster Garnitur lebt ja der gesamte Film, mit seiner genauen Unterteilung in Gute und Lächerliche/Schlechte. Und er fährt wunderbar damit.

Und wenn sie nicht gestorben sind...
Jahre sind seitdem vergangen und ich habe die 25 Kinobesuche für den Film inzwischen voll. Das Apollo gibt es noch, gottseidank, aber das Programm hat gewechselt. Inzwischen laufen hier die Nischenfilme, die guten und die verschmähten, die für das Cinemaxx nicht plakativ und nicht groß genug sind. „Harold und Maude“ läuft noch alljährlich zu Neujahr, alle anderen hat die DVD und das Fernsehen aus den Kinos verdrängt. Bis Anfang der 90er konnte man sie alle noch sehen, Blues Brothers inclusive, aber die Einsätze auf den Spielplan wurden seltener, verschoben sich fast gänzlich auf die Spätvorstellungen und auch die wurden leerer. Vorbei die Zeiten, in denen der Film ein Happening war, als wir im halben Dutzend einfielen, dabei eine ganze Tüte voll mit Requisiten wie in der seligen „Rocky Horror Picture Show“, um den Film auf unsere ganz spezielle Art zu zelebrieren und den Rest des Publikums zu verstören, komplett mit Trillerpfeife, Schampus, Toastbrot, Suchscheinwerfer und Pistole und anderem.
Letztendlich bin selbst nicht mehr immer hingegangen, weil andere Dinge manchmal wichtiger sind und allein gesehen der beste Film manchmal keine Freude macht. Jetzt wünscht man sich ein Kino wie das in Nürnberg (soweit ich informiert bin), daß den Film und Rocky Horror immer noch allwöchentlich bringen oder zumindest einen Verleiher der wenigstens im Sommer open air irgendwo mit Jake und Elwood ein Faß aufmacht.

John Belushi starb 1982, Aykroyd machte sich seine Komödienreputation irgendwann in den 90ern selbst kaputt und verblies den letzten Kredit in einer völlig falsch konzipierten Fortsetzung. Ich bin noch da – und der Film ist es auch, vielleicht nicht ohne Kratzer aus den Jahren gekommen, wie das Bluesmobil, aber immer noch auf höchster Drehzahl laufend.
Denn es werden immer 106 Meilen bis Chicago sein, wir werden immer genug Benzin im Tank haben, ein halbes Päckchen Zigaretten, es wird dunkel sein und wir werden Sonnenbrillen tragen. Also tritt drauf! (10/10)

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