Ich sags vorneweg: den werdet ihr nicht mögen.
Und ich setz noch einen drauf: den müßt ihr zweimal sehen.
Nicht weil er so unglaublich, mitreißend und nie dagewesen ist, sondern weil ihr ihn eher im ersten Reflex in die nächste Ecke feuern werdet. Weil er nicht zur Pizza paßt. Weil er nicht das Gewohnte liefert.
Und dann fängt "Kill List" an zu nagen, setzt sich in den hinteren Gehirnwindungen fest, bohrt drin rum, weil er nicht spekuliert, nichts erklärt, nicht auf Anhieb schlüssig ist. Weil er an der Oberfläche ja fast offensichtlich und flach scheint. Und weil mehr dahinter stecken muß. Hab ich den wirklich nicht verstanden? War da was, was ich übersehen habe, als ich mich über die TV-Optik und häppchenartige Szenenfolge aufregte? Hab ich ne Schlüsselszene verpaßt, eine wichtige Zeile, einen Hinweis, der mir den Quark verständlicher macht?
"Kill List" kann euch so den ganzen Abend und die ganze Nacht versauen und am Ende müßt ihr ihn noch mal sehen und all die Bilder und Dialogzeilen noch mal in die Waagschale werfen.
Allein diese Wirkung rechtfertigt die Existenz von Ben Wheatleys Film schon zur Genüge.
"Kill List" hat einen kleinen Sturm im Wasserglas verursacht. Diejenigen, die ihn kennen, haben echt was zu diskutieren. Weil das aber noch nicht so viele sind und angesichts von Plot und Optik auch nicht so viele sein werden, muß man schon genau hinschauen, wie heiß sich die Zuschauer im Web reden. Und wie sehr die Rezensenten hadern, daß sie den Film analysieren müssen, ohne ihn komplett zu erzählen und ihn gleichzeitig Szene für Szene aufzuschlüsseln.
Was sich viele als Inhaltsangabe zutrauen, ist der knappe Überblick: ein Ex-Soldat als Berufskiller mit Frau und Kind, dem langsam das Geld ausgeht, weil er nicht arbeitet. Streit, Tränen, bizarres Verhalten. Ein letzter Auftrag, eine Liste, drei Zielpersonen. Gemeinsam mit einem Kollegen macht man sich an die Arbeit, aber es ist nicht so, wie es in einer normalen Welt laufen müßte. Auf den Geschäftsvertrag muß Blut fließen. Das erste Opfer bedankt sich für seinen Tod. Das Zweite erklärt auch noch sein Verständnis, als Protagonist Jay mit einem Hammer Hackfleisch aus ihm macht. Und dann kippt der Film auf der Schlußgeraden ins Übernatürliche.
Wer so viel weiß, weiß eine Menge, wenn es um generelle Erwartungen an Filmunterhaltung geht. Aber er weiß gar nichts über Wheatleys Film und seine Art, diese Geschichte zu erzählen. Nicht offensichtlich verstörend wie Lynch, nicht ominös dräuend wie Fincher wird hier ans Werk gegangen, sondern verschlüsselt, irritierend, verunsichernd, als würde es einen geheimen Subtext geben, der aber nicht erkennbar ist.
Wheatley, mit kleinem Budget arbeitend, inszeniert so bieder, wie ein gewollter Realismus bei einem Auftragsmörderfilm dies nur zuläßt. TV-Optik, graue Realität, keine Stilisierung, praktisch bieder kommen die Vignetten daher, die den Status quo umschreiben.
Eine Familie "on the edge": er, Jay, arbeitet seit acht Monaten nicht, seit dem "Auftrag in Kiew", das Geld geht aus. Man streitet sich, keift sich an, versöhnt sich wieder. Er scheint unsicher, unzufrieden, manchmal kindlich in seinen Entscheidungen. Er verwöhnt das Kind über alles, dann rasten er und seine Frau Shel wieder aus.
Sein Kumpel Gal mit seiner neuen Freundin Fiona müssen das bei einem schönen Abendessen erfahren, man zickt und stichelt, schließlich das große Anschreien, zerbrochenes Geschirr. Dazwischen, in den einzelnen, beiläufigen Sätzen fischt man schon nach Hinweisen auf das große Unheil, aber so offensiv ist das Skript nicht, erst in der Rückschau erschließt sich manches. Als Fiona auf die Rückseite vom Badezimmer ein seltsames Symbol ritzt, ahnt man, das es hier nicht ganz so realistisch zugeht, wie es sollte. Eine Spaßkampfszene mit Schwertern in Zeitlupe wirft dunkle Omen und was soll man von der Sequenz halten, in der die Katze ein totes Kaninchen in den Garten legt und sich der Exsoldat das in der Pfanne zubereitet?
Aber es kommt schlimmer, spätestens wenn die Aufträge angegangen werden, wenn der sinistre Auftraggeber Jays ihm die Hand aufschlitzt; wenn Jay immer wütender wird, je länger der Auftrag dauert; wenn er nicht nur sein Ziel, einen Kinderpornographen, sondern auch privat noch die Hintermänner ermordet, ja abschlachtet. Wunden heilen nicht, Kontrollverlust droht. Aber nie scheint die Erzählrichtung eindeutig, nie bekommt man verwertbare Hinweise, nur die generelle Richtung kann man schon lange vorher erahnen.
Wenn der Film in den letzten 15 Minuten dann die Wende zum Übernatürlichen, bzw. eher zum Okkulten nimmt, dann soll das keine Überraschung sein, kein unglaublicher Bruch; wer konzentriert zugeschaut und sich nicht von Verwirrung oder Frustration abhalten hat lassen, der wird sich bestätigt sehen in dem nun Folgenden. Aber auch hier ist die Abfolge konsternierend, schockhaft, ohne schlüssige Aufklärung. Wenn alles getan ist und nichts gesagt, dann wird der Zuschauer hier wieder auf sich zurückgeworfen und muß durch die Geschichte zurück. Entschlüsseln, dechiffrieren, auf Zeilen achten, auf Andeutungen. Wer war beteiligt, wer hat was getan oder gesagt? Und was kann man wie interpretieren.
Für das Publikum ist es eine Herausforderung, denn mit der sprunghaften, scheinbar beliebigen Montage, den zeitweise unwichtig erscheinenden Dialogen, den absurden Momenten und traumartigen Szenen, der brachialen Gewalt und der dissonant und atonal raunenden Musik, bleibt "Kill List" ein strapziöses Rätsel, ein Höllentrip, der nicht dem typischen Klischee entspricht. Der Eindruck ist enervierend und bizarr, doch etwa die Verfolgungsjagd durch unterirdische Kavernen mit alptraumhaften Sound- und Schreieffekten ist aller Ehren wert. Genauso wie das finale Gefühl provokant ernüchternd daherkommt, der Film den Zuschauer aber nur mühsam wieder losläßt.
Wer seinen Ärger und Frust über enttäuschte Erwartungen im Griff hat, den erwartet ein hartnäckiges kleines Rätsel von Film, der studiert und analysiert, nicht bloß konsumiert werden will. Sein Werk so zu verpacken, daß man ihm mit Würde, Ruhe und Aufmerksamkeit begegnen muß, ist schon eine erzählerische Leistung - nicht immer einfach und leicht, aber dafür etwas anderes: zeitlos. Man wird sehen, ob man diese Geschichte nicht in einiger Zeit in diversen Genrelisten wiederfinden wird. (8,5/10)