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Ti West ist wieder da!

Nachdem er eine Babysitterin durch das Haus des Teufels scheuchte und auf Okkultisten stießen ließ, sind es diesmal die beiden jungen Rezeptionisten Claire (Sara Paxton) und Luke (Pat Healy), die sich das letzte Wochenende in einem kaum bewohnten Hotel um die Ohren hauen, bevor es geschlossen wird. Natürlich beherbergt das Hotel neben den Gästen auch eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Legende rund um Madeleine O’Malley, die sich damals aufgehängt hat, weil sie von ihrem Mann verlassen wurde.

West verläßt sich auf eine Ausgangslage, die bereits in x-facher Anfertigung in abgewandelter Form in anderen Filmen Verwendung gefunden hat und baut damit eine Erwartungshaltung beim Durchschnittspublikum auf – um dann doch wieder einen anderen Weg zu gehen und beinahe sämtliche Klischees zu unterwandern, die als so elementar für das Genre angesehen werden. Die Handlung bewegt sich bis zu einem gewissen Grad in vorhersehbaren Bahnen, die Suche nach dem Geist der Erhängten findet ebenso ihren Platz wie das tatsächliche Losbrechen des Grusels ab einem bestimmten Zeitpunkt. Worin sich „The Innkeepers“ von vielen seiner in den letzten Jahren geborenen Genre-Geschwister unterscheidet, sind zum einen einmal mehr die bis zur Perfektion getriebene Einlullungstaktik, die bereits „House of the Devil“ auszeichnete, und zum anderen das wirklich ungewöhnliche Hauptrollenduo.

Die Anzahl der handelnden Hauptfiguren im Vergleich zum Vorgänger zu verdoppeln, war Wests erste, sie als Anti-Helden zu charakterisieren, die zweite richtige Entscheidung. West feiert hier zwei echte Langeweiler – Stubenhocker, die mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen wissen, als an der Rezeption abzuhängen, den Blick auf einen Laptopbildschirm zu richten, sich und die Gäste aufs Korn zu nehmen oder sich auch einfach mal nur gegenseitig zu erschrecken. Ständig hocken sie aufeinander, wechseln sich in ihren Schichten ab und verlassen das Hotel, um im nächsten Moment doch wieder unvermittelt aufzutauchen. Ein anderes Zuhause scheinen sie gar nicht zu haben, was hier zählt, ist das Hier und Jetzt, und da wollen die beiden einfach nur Spaß haben und gemeinsam Zeit verbringen (oder eben auf Porno-Websites surfen, wenn Claire gerade nicht da ist).

Während der lethargische Luke mehr damit beschäftigt ist, eine eigene Internetseite über Madeleine O’Malley zu basteln, begibt sich Amateurdetektivin Claire – und mit ihr die Kamera, die bis zum Ende an ihr kleben bleibt – mit dem Primitivequipment ihres Freundes auf Geisterjagd – und tatsächlich hört und sieht sie bald Dinge, die sie sich nicht erklären kann. Verstärkt wird ihre Annahme, daß es hier gewaltig spukt, noch durch die Anwesenheit der ehemaligen Schauspielerin Leanne Rease-Jones (eine kaum wiederzuerkennende Kelly McGillis), die ihrem Beruf den Rücken gekehrt hat, nun als Medium tätig ist und übersinnliche Kräfte wahrnimmt. Mehr braucht es nicht.

Man ist nur zu gern bereit, Claire auf Schritt und Tritt zu folgen und mit ihr wieder und wieder die langen Hotelflure entlangzugehen, selbst wenn bei ihren Erkundungstouren nichts herausspringt außer ein kurzes Zusammenzucken, weil sich hier mal was bewegt und da mal ein plötzlicher Laut ertönt. Es sind kurze Schockeffekte, die mit Ansage kommen und doch erschrecken. Sam Raimi machte es in „Tanz der Teufel“ vor rund 30 Jahre vor, wie man dem Zuschauer die Popcorntüte aus den Händen fliegen lässt, Ti West ist der amtliche Nachfolger. Er setzt diese Schocks häppchenweise, keine acht Mal im gesamten Film, weiß ganz genau, wann einer nötig ist und wann man besser darauf verzichtet.

Hyperaktive werden an der Langsamkeit der Handlungsentwicklung abermals massiv zu knabbern haben. Die Dialoge von Claire und Luke einerseits und Claire und Leanne andererseits (viel mehr Dialogkombinationen kommen auch gar nicht zustande) bilden die Kernstücke des Films und tragen gerade zu Beginn nicht selten zum Horrorteil wenig bis gar nichts bei. Vielfach handelt es sich um Neckereien unter Kollegen wie etwa kleine Spielchen wie das, in dem die Rezeptionsklingel erreicht und betätigt werden muß, ehe der Dienstschiebende es mitbekommt. West nimmt sich ausreichend Platz für Nebensächlichkeiten, zeigt genußvoll und ausgiebig die verzweifelten Versuche Claires, den Müllsack in eine Tonne zu befördern, ohne sich dreckig machen zu müssen – eine wirklich amüsante Szene, wie der Film allgemein durch einen erfrischenden allgegenwärtigen Humor überrascht, der erst mit zunehmender Laufzeit abrupt endet.

Noch weit mehr als sein „House of the Devil“, in dem das titelgebende Gebäude erst im zweiten Drittel eine Rolle spielt, fokussiert sich das Geschehen in „The Innkeepers“ auf einen Schauplatz und fühlt sich – abgesehen von einigen wenigen Ausflügen in die Welt da draußen, mit der Claire und Luke nichts anfangen können – wie ein Kammerspiel an, was für das jäh hereinbrechende Terror-Finale von unschätzbarem Wert ist. Die vertraute, aber einem wegen der vorherigen rätselhaften Ereignisse nicht geheuer vorkommende Umgebung verwandelt sich in eine Geisterbahn, kurz und unglaublich effektiv auf den Punkt inszeniert – und genau damit dies wie ein Inferno über uns hereinbrechen kann, war es zuvor nötig, durch das Sich-Aufhalten mit scheinbaren, für den Hauptplot irrelevanten Belanglosigkeiten in die Breite zu gehen. Alle noch so kleinen Szenen sind nötig und erfüllen unterschiedliche Funktionen: ein Gefühl der Sicherheit erzeugen, die Geschichte auflockern, die Handbremse ziehen, den Zuschauer zappeln lassen – und alles im Dienste des großen Ganzen, des fertigen Films.

Und wer glaubt, wenigstens der Epilog werde uns ein paar Erklärungen für das soeben Gesehene mit an die Hand geben, täuscht sich gewaltig: Die bis dato strikt subjektive Kameraarbeit wird aufgegeben und weicht – als auffällig radikaler Bruch – nun einer objektiven, doch anstatt Licht ins Dunkel zu bringen, wird ausschließlich das Offensichtliche gezeigt – das Offensichtliche, das wir uns eh zusammengereimt haben. Dafür bleiben Fragezeichen zurück. Viele Fragezeichen. Eine Person scheint sie beantworten zu können, aber sie schweigt. Zumindest bis zum Ende des Films.

Ti West hat sich nach „House of the Devil“ mit „The Innkeepers“ noch einmal sichtlich gesteigert – und damit bewiesen, daß er sich nicht damit zufrieden gibt, ein für sein Alter bereits erstaunlich reifer Regisseur zu sein. Er ist bereit, noch weiter zu reifen, und es steht zu erwarten, daß er immer noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist. „The Innkeepers“ jedenfalls ist ein wahnsinnig gut inszenierter Grusler fast ohne Blut, der genau weiß, welche Knöpfe er drücken muß, um maximale Wirkung zu erzielen. Ein Trip, der sich wirklich lohnt und jedem Genrefan ans Herz gelegt sei, der keine schnelle MTV-Videoclip-Ästhetik benötigt. 8/10.

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