Review

Am Ende des FFF die ganz große Bezauberung, die ich nicht kommen sah: Mit unendlicher Erleichterung durfte ich feststellen, dass ich in meinem letztjährigen Kommentar zu THE HOUSE OF THE DEVIL nicht übertrieben hatte, als ich auf diversen Umwegen versuchte, die abolute Souveränität von Wests persönlicher Genre-Verinnerlichung zu erklären.

An THE INNKEEPERS, mit dem West die 80iger hinter sich lässt und sich an einem ganz natürlich aus der Zeit gefallenen, modernen Setting versucht, lässt sich das vielleicht leichter nachzeichnen: West greift nie nur aus Nostalgie oder Formverliebtheit auf “altmodische” Horrorfilmbilder zurück sondern fragt stets danach, welche dieser Bilder welche unmittelbaren Suggestionen auslösen, in Dialogszenen ebenso wie im rein filmischen Suspense. Und entfernt sich damit sehr weit sowohl von der Schublade des filmemachenden Horror-Nerds als auch von der (durchaus möglichen) eines Theoretikes. West ist vielleicht tatsächlich ein moderner Klassizist, interessiert sich wie ein Martin Scorsese bei aller Liebe zu “altmodischen“ Sujets vor allem für das “Warum funktioniert das?” (und auch für das “Was verbindet mich so sehr mit der Tatsache, dass das bei mir so funktioniert?”) als für das “Warum hat das mal funktioniert?”. Seine Filme geben ihm recht. Sie wirken. Zumindest bei mir. Und wie.

Ein Beispiel: Die beiden Protagonisten starren vom Kopf der Treppe in den dunklen Keller, der vom Strahl ihrer Taschenlampe nur fleckweise erleuchtet wird. Schnitt zur “Kellerperspektive”, die Kamera sieht zu den beiden auf. Und fährt dabei ganz leicht, sehr langsam, nach rechts. Es könnte sich also um die Subjektive eines der gesuchten, dort unten mutmaßlich lauernden Gespenster handeln, aber es ist eine glatte Dolly-Bewegung, technisch, keine lebende Bewegung (oder mitunter alles erschlagende, aufdringliche jedes Eigenleben von Orten, Gesichtern, Momenten erstickende Handkamera) sondern eine maschinelle, die Unsicherheit über die Natur und Herkunft der Bewegung bleibt aufrecht, der Effekt fällt kaum auf, weil er technisch bleibt und somit nicht auf sich selbst verweist.

THE INNKEEPERS ist reich an solchen Momenten, er ist ein absolut räumlicher Horrorfilm, noch mehr als THE HOUSE OF THE DEVIL, er bezieht seine Spannung und seine emotionale Disposition aus Korridoren, Treppenhäusern, dem Hinterhof des Hotels, den Zimmern, und daraus, wie sich die Menschen darin bewegen oder auch nur ausnehmen. Die Nutzung des Scope-Formates ist rücksichtslos am inflationären und Kinoschädigenden, modernen Dauer-Einsatz von Gesichts-Closeups und Halbnahen vorbeifotografiert, die Anzahl echter, “großer” Closeups lässt sich an zwei Händen abzählen und jeder von ihnen kommt wie ein Hammerschlag, springt einen aus der Weite des Bildes plötzlich an. Dafür möchte man Ti West schon umarmen, dass er dem Kino das zurückzugeben versucht, dass er filmisch so eloquent und so unheimlich – wirklich unheimlich, in zweierlei Hinsicht – sicher im Umgang damit ist.

Aber THE INNKEEPERS ist nicht nur ein formaler Rausch von aus der “Umgangssprache” tragisch hinwegmarginalisiertem Filmvokabular, er ist auch ein ein melancholisch-intimes Stück über zwei Wurzellose, die nicht wissen, wohin mit sich und sich in der Ruhe und scheinbaren Abgeschiedenheit des Hotels sehr viel wohler fühlen als im Starbucks auf der anderen Straßenseite, wo man sich sofort in angriffslustigen Dating-Smalltalk mit Kellnerinnen und in Trend-Chinesisch verfasste Speisekarten verheddern kann, gleichsam unangenehm daran erinnert wird, dass man sich in einem Zwischenreich befindet, zwischen schwindendener Jugendzeit und gereiftem Konsumreich, zurück ins Hotel flüchtend vor der Aussicht, auch hinterm Café-Thresen oder in einer Werbeagentur zu landen, lieber ungesund vornüber gekauert an der Rezeption auf dem Laptop surfend oder erwartungsvoll mit Mikrofonen nach Geistern jagend, insgeheim trotzdem von etwas unbestimmt Besserem als dieser Wochenendjob-Tristesse träumend. Vielleicht beinahe ein modernes Märchen, dieser Film, dessen Figuren sich trotz Internet und Starbucks nach Märchen sehnen. Sicherlich aber, wie an diesem Satz abzulesen ist, ein zutiefst persönlicher Film seines Regisseurs, weit über jede Fanfilmerei (die ich in diesem Film, ebenso wie auch in HOUSE OF THE DEVIL, nirgends ausmachen konnte) hinaus.
Selten habe ich jedenfalls in den vergangenen Jahren die Protagonisten eines Genrefilms so inniglich geliebt und als so “wahr” und “echt”, von Drehbuchfiltern so unversehrt empfunden wie hier, ich hätte ihnen auch über die gesamte Laufzeit nur bei ihren Schlagabtäuschen zusehen können, so sehr haben sie mich interessiert und fasziniert. Man kennt sie, diese Typen, nicht aus Filmen. Selbst der Sleaze wird auf einem verhaltenen, dezent sentimentalen Sparflämmchen gekocht: Wie auch Samantha in HOUSE OF THE DEVIL zeichnen sich Claire und Luke – die vom Drehbuch im Übrigen nie aufeinandergehetzt werden – durch jene Mischung aus impulsiver Verwegenheit und Unterlippenbeißender Unsicherheit aus, der Mischung schlechthin des klassischen amerikanischen Geisterhausfilms, von den nur äußerlich als “dashing heroes” durchgehenden Figuren in den Filmen von Roger Corman bis hin zu Sidney Prescott in SCREAM.

Ich müsste noch viel, viel mehr schreiben, um langsam überzeugend und weniger beliebig zu klingen in meiner Argumentation, aber ich habe keine Lust. Der Film macht Lust. Die Filme, die keine Lust machen, über sie zu schreiben, die nenne ich oft auch “Lieblingsfilme”. THE INNKEEPERS ist ohne jeden Zweifel einer meiner Lieblingsfilme 2011, auch wenn ich das vermutlich wieder gegen so manchen irrgeleiteten, unvorsichtigen “Nostalgiker!”-Vorwurf verteidigen werde müssen. Und das, wo doch West nun schon zum zweiten Mal entwaffnend bewiesen hat (unter anderem auch), dass früher eben nicht alles besser war (#11), da in den 70igern oder 80igern niemand diesen Film gemacht hätte. Sondern eben THE BODY BENEATH, BURNT OFFERINGS und GHOST STORY auf der einen sowie SHINING und SUSPIRIA auf der anderen Seite. Aber keinen INNKEEPERS, bestimmt nicht. Wenn doch: Zeigt ihn mir!

Eine meiner absoluten Lieblingsszenen ist übrigens jene, in der Claire nach dem Abendessen einen Müllsack zum Container im dunklen Hinterhof des Hotels bringen muss und es ihr erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelingt, den Sack in den Container mit dem ständig zufallenden Deckel zu schleudern, wobei sie sich dann doch – trotz aller Versuche, das Ding nicht zu berühren – ein klein wenig mit dem Siff bekleckert, der aus einer Ecke des Plastikbeutels tropft.
Ansonsten ist es eine Tragödie, dass dieser Film vermutlich nie wieder auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen sein wird – im Gegensatz zum Gros des amerikanischen Mainstream-Horrorfilms der letzten Jahre schreit er herzerweichend (und hoffnungslos) nach einem Kinostart, großen Leinwänden und scharfen 35mm-Projektionen.

(ursprünglich veröffentlicht unter http://www.eskalierende-traeume.de/sehtagebucher/stb-christoph/)

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