Mordsetzung oder Screamake?
„Wie meta kann man sein?“
Rund zehn Jahre nach dem Abschluss der Slasher-Filme-parodierenden „Scream“-Trilogie von US-Regisseur Wes Craven („Last House on the Left“, „A Nightmare on Elm Street“) reanimierte Craven in Zusammenarbeit mit „Scream“- und „Scream 2“-Drehbuchautor Kevin Williamson die Reihe mit „Scre4m - Neues Spiel. Neue Regeln.“, der 2011 in die Kinos fand.
15 Jahre nach den Ereignissen aus „Scream“ kehrt die Überlebende Sydney Prescott (Neve Campbell) in die US-amerikanische Kleinstadt Woodsboro zurück – sie befindet sich auf Promotion-Tour für ihre Autobiographie „Out of the Darkness“, mithilfe derer sie einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit ziehen möchte. Doch ihre Ankunft bringt eine neue brutale Mordserie nach Vorbild des/der „Ghostface“-Killer(s) mit sich. Sheriff Dewey (David Arquette) und seine Frau Gale Riley (geb. Weathers, Courteney Fox) versuchen zusammen mit Sydney, den oder die Täter zu schnappen...
„Scre4m“ beginnt mit einem gelungenen Gag, einem „Film im Film“ – was dem Zuschauer erst bewusst wird, wenn nach dem ersten, sehr blutigen Mord der „Stab 6“-Schriftzug auf dem Bildschirm erscheint. Da man diese Form der Irreführung aber bereits aus dem einen oder anderen Film kennt, setzt „Scre4m“ noch einen drauf und erklärt die folgenden Szenen überraschend zum Prolog von „Stab 7“. Wenn man dann endlich im eigentlichen Film angekommen ist, ist die Marschrichtung bereits klar: Ein Film über Filme, strenggenommen ein Film über Filme über Filme.
„Scre4m“ ist gleichzeitig eine Fortsetzung und ein Remake/Reboot und nimmt damit kräftig sowohl den Fortsetzungswahn von Horrorfilmen – insbesondere Slashern – sowie die jüngste Entwicklung im Genre, die Neuverfilmung von Klassikern, aufs Korn. Dieses tut er am offensichtlichsten, wenn er direkt zu Beginn Teenagerinnen wie Filmkritikerinnen schnattern und sich über Genreklischees lustig machen lässt. Da wird die „Saw“-Reihe ebenso abgewatscht wie eine juveniles Früchtchen in Hochgeschwindigkeit sämtliche Remakes herunterrattert. Das ist einerseits wunderbar selbstironisch-parodistisch, trifft den unbedarften Zuschauer (sofern jemand unbedarft an einen „Scream“-Film herangeht) aber andererseits so geballt, dass es fast schon zu viel des Guten ist. Nach der Eröffnungssequenz indes hält sich das im wahrsten Sinne des Wortes „Zitatekino“ in seiner plumperen Form in annehmbaren Grenzen und man erfährt, was sich in den letzten Jahren so alles in Woodsboro getan hat. Dewey Riley ist inzwischen zum Sheriff aufgestiegen und mit Gale Weathers verheiratet, welche den Journalistinnen-Job an den Nagel gehängt hat und sich als Autorin verdingt. Die blutigen Ereignisse vor zehn Jahren und davor sind zum lokalen Kultobjekt geworden, die nachgewachsene Jugend feiert die auf diesen Ereignissen beruhende „Stab“-Reihe ab, die u.a. einen gewissen Robert Rodriguez als Regisseur aufweist… Einen Schrecken einjagen vermag all das den Jünglingen nicht mehr; als würden sie über den Dingen stehen und hätte es nichts mit ihnen zu tun, machen sie sich über Horrorklischees lustig und etablieren „Running-Insider-Gags“. Greift dann erst einmal die Mordserie um sich, tun sich zwei Horrorfilm-Nerds besonders hervor und prompt erreicht das Filmgequatsche wieder Dimensionen knapp unterhalb der Schmerzgrenze.
Doch dankenswerterweise hat „Scre4m“ weitaus mehr zu bieten: Der Aufbau des Films wurde eng an den des ersten Teils angelehnt, übriggebliebenen gealterten Rollen wurden „Ersatzcharaktere“ zur Seite gestellt, wodurch „Scre4m“ selbst zu einem Quasi-Remake wird – das überaus geschickt und intelligent mit den „Filmregeln“ spielt, mehrere Meta-Ebenen einführt, die mit jüngeren Genre-Produktionen einhergegangenen neuen Gesetzmäßigkeiten – und sei es die, ebensolche bestmöglich zu umschiffen, um den erfahrenen Zuschauer überhaupt noch überraschen zu können – benennt, seziert und zum Gegenstand der eigenen Handlung in der bereits erwähnten Mischung aus Fortsetzung und Neuverfilmung macht und nie den Bezug zu den wahren Genreklassikern verliert. Das beweist, wie genau man Markt und Konsumenten beobachtet hat, „Scre4m“s nicht nur selbstreferentielle, entlarvende Parodien wirken ebenso extrem durchdacht wie völlig unverkrampft und einfach umgesetzt, als wäre es nicht mehr als eine Fingerübung altgedienter Filmemacher, hat man die sich ähnelnden Rezepte erst einmal durchschaut. Das eigentliche Geniale daran ist die Funktionsweise des Films: Während genreerfahrene Zuschauer, die mit der „Scream“-Reihe vertraut sind, im sanftmütigen, mitunter etwas unbeholfen wirkenden, doch wenn es darauf ankommt bestimmt auftretenden Dewey Riley, in der attraktiven Powerfrau in den besten Jahren und mit stechendem Blick – Gale Weathers – sowie in der verdienten, den Teenager-Jahren entwachsenen „Scream Queen“ Sydney Prescott ihre mit ihnen deutlich gereiften Identifikationsfiguren wiederfinden, bekommen jüngere Zuschauer, die sich eher auf die nominellen Hauptrollen stürzen, ihr ebenfalls jüngeres, an die ursprünglichen „Scream“-Charaktere angelehntes Figuren-Ensemble, das genretypisch teilweise austauschbar wirkt und in erster Linie dazu dient, blutverschmiertes Schlitzerfutter zu werden und können ebenso wie Genreunkundige oder -uninteressierte einen oberflächlicheren, doch technisch einwandfreien, visuell harten Horrorfilm genießen, dessen parodiebedingte komödiantische, ironisierende Aspekte das pietätlose Treiben rechtfertigen, das in seiner Schock- und Skandalwirkung heutzutage doch merklich eingebüßt hat. Gleichzeitig ist eben auch die beschriebene jüngere Generation selbst Teil der Parodie, die vielleicht gar nicht bemerkt, wie sehr die Abläufe denen der vorausgegangenen „Scream“-Filme gleichen.
Ja, die „Scre4m“ Ebenen, die erzählerischen, die referentiellen, die Meta-Ebenen, sind eng miteinander verknüpft, ineinander verschachtelt und nicht unkomplex. Wer dabei den Überblick behält, dem erschließen sich die ganzen Qualitäten des Films. Zu diesen zählt auch, wie genau man die Moderne beobachtet und in Form von Smartphone-, Messenger- und Webcam-Gebrauch in den Film einfließen ließ – inklusive der dazugehörigen Teenager, deren Lebensinhalt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus dem Umgang mit diesen Technologien besteht. Diese Elemente wiederum treffen auf damit verglichen altmodischen Zeitvertreib wie das Anschauen alter Filme – der „Stab“-Reihe – in einer einfachen Scheune, die zum konspirativen Kino umfunktioniert wurde. Die Jugendlichen feiern dies als „Event“, als großangelegte Kinoparty, während der gesoffen und gejohlt wird. Erfreuen darf sich der Slasher-Freund weitestgehend unabhängig von allen parodistischen und metafunktionellen Ansprüchen an deftigen, reichlich ausgekosteten, blutigen Morden und einem hohen Bodycount; der Filmkenner entdeckt zudem viele Details und Ehrerbietungen an das Genre und bekommt „Fan-Support“, indem „Scre4m“ den unscheinbarsten Filmnerd der Handlung beinahe von einer der drallen Sexbomben knutschen lässt – da lacht nicht nur das pubertäre Freakherz. Trotz einer ganzen Riege mehr oder weniger hoffnungsvoller Jungschauspieler, von denen die weiblichen Exemplare größtenteils gängigen Schönheitsidealen entsprechen, unter denen sich aber Emma Roberts („Unfabulous“) nicht nur mit einem besonders niedlichen Äußeren, sondern auch einer Menge Ausstrahlung hervortut, blieb man „Scream“-typisch dem Verzicht auf Sleaze-Anleihen treu und ignoriert dieses ebenfalls Slasher-typische Stilelement weitestgehend. Abstriche machen muss man leider auch bei der Filmmusik, die über keinen sonderlich charakteristischen Soundtrack verfügt. Der helle Wahnsinn hingegen ist dann folgerichtig und schwer konsequent das Finale bzw. dessen Einleitung, denn strenggenommen gibt es derer in diesem Film voller Dopplungen auch zwei. Alle Stränge und Ebenen werden zusammengeführt und runden den Film durchaus in sich schlüssig ab, dennoch können einem die vielen Zusammenhänge und Verweise, die offengelegt werden, schon einmal den Kopf rauchen lassen. Ich empfand die Auflösung des „Whodunit?“ als herrlich überspitzt, angenehm abstrus und sehr gialloesk und verspürte eine tiefe Befriedigung darüber, dass „Scre4m“ sich bis zum Schluss nie verzettelt hat, sondern durchgehend prächtig unterhielt und positiv zu überraschen vermochte. Mein spontaner Ersteindruck mit Einsetzen des Abspanns war „Partyfilm mit Köpfchen, nicht nur für Genrefans“ und ich glaube, das trifft es, so man es denn in einem kurzen Satz zusammenfassen möchte, ganz gut. Nach dem enttäuschenden dritten Teil sowie Cravens lauem Übergangsprodukt „My Soul to Take“ (und weiterer recht durchschnittlich kritisierter Filme, die ich mir bis jetzt gar nicht erst angesehen habe) ein großer Wurf des Altmeisters, dem ihm viele in dieser Form sicherlich nicht mehr zugetraut hätten. Selbstreflektierende Slasher-Parodien dürften damit nun aber endgültig totgeritten sei – zumindest solange, bis das nächste Horrorfilm-Popkultur-Phänomen auftritt...