"Sucker Punch" beschäftigt sich als Aufhänger mit einem der dunkelsten Eindrücke US-amerikanischer Geschichte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts: dem Umgang mit psychisch Kranken.
Der Film bewegt sich dabei auf drei Ebenen von Realität: den Vorbereitungen zu einer Lobotomie, der Umdeutung dieser Gefangennahme in eine Mischung aus burleskem Revue-Club und Freudenhaus aus Zwangsprostitution, sowie in letzter Konsequenz deren Zentren von Unterhaltung als Tanzaufführungen umgedeutet in vier Erlebniswelten die allesamt populärkulturellen Mythen entstammen und schnell in Kampfsequenzen mit Schusswaffen oder Schwertern kulminieren: einer japanischen Samurai-Fantasy, an den Comic um "The Darkness" erinnernde "Trenches" aus den europäischen Weltkriegen, vor allem den Ersten, Fantasy mit Drachen und Orks, sowie einer futuristischen Dystopie mit Robotern.
Alles eher hell bis grell als düster-bedrückend umgesetzt, sich ästhetisch überlappend: die untoten Deutschen aus der zweiten Welt tauchen als Orks in der Dritten bloß quasi neu auf.
Die vier Welten sind die vier "Nummern" in "Sucker Punch", welche in ihrer Gewalt sowohl als sexuelle Metaphoriken als auch als Bilder für Arbeitsdarbietungen gesehen werden können - jedenfalls als irgendeine Form von zu erbringender "Leistung" unter dem Eindruck oder der Tatsache einer gefahrvollen Situation für die heldenhaften Individuen des Films, allesamt junge Frauen die in ihrer Kleidung mehr oder weniger ausgeprägt Kleidungsfetische bedienen.
"Sucker Punch" ist Zack Snyders bislang genauester Film, und die erste große Nicht-Adaption: obwohl der Film formal vom Tanzen handelt ist kein Augenblick tatsächlicher Tanz in "Sucker Punch" zu sehen - erst in den Credits wird diese streng durchgesetzte Regel wenistens im Ansatz durchbrochen. Der Film wäre so auch ausdrücklich mit Tanzfilmen wie "Black Swan" oder "Burlesque" in Beziehung zu setzen die sich beide wie "Sucker Punch" mit Tanz als Ausdruck und Überzeugung beschäftigen: vor einem Tanz stellt die fantastische Hauptheldin kurz ihren Body zur Schau und die Fantasy beginnt. Getanzt wird weiter nur im Kopf. Im Bild ist sozusagen der "Kitsch". Fantasien vertauscht.
Ebenso stringent wird gegen Ende nach vollzogener Lobotomie kein Gesichtsausdruck gezeigt - das Ergebnis ist ein künstlerisch zu 100% durchkomponiertes Werk. Etwas das bei Effektfilmen äußerst selten ist wo für gewöhnlich bloß die Effekte minutiös bis milisekundiös inszeniert wirken. Und alles andere eher Beiwerk.
Die Welt(en) von "Sucker Punch" sind neben ihrer durchgehenden Zwanghaftigkeiten und scheinbaren Ausweglosigkeit durch und durch sexistisch: Männer sind prinzipiell Täter, potentielle Vergewaltiger - Frauen Opfer die damit konfrontiert werden ihre Rollen zu überwinden. Ausnahmen bilden lediglich ein Mentor, der in verschiedenen Rollen von Scott Glenn dargestellt wird, sowie eine Handlangerin die zeitweise als Mittlerin in den beiden Realitätsebenen außerhalb der vier Fantasy-Erlebniswelten auftritt: sie leitet die Mädchen quasi an, hat ihnen die Fantasie als Verführungskunst sozusagen erst beigebracht und taucht wahrscheinlich deshalb nicht in diesen Welten auf.
Disziplinargesellschaft als Bordell
"Sucker Punch" ist wahrscheinlich Gift für all jene die bei "Fetisch" eher ökonomisch an Waren oder Störungen zumindest eingebildeter sozialer Kompetenzen denken, sowie ein Film mit dem das 21. Jahrhundert beginnen kann: von seiner Anlage her am ehesten noch vergleichbar mit dem "Goldenen Zeitalter" (1930), aber in einer anderen Form, ist der Streifen prinzipiell einzigartig. Hinzu kommt, dass sein Inhalt praktisch ausschließlich aus dem besteht was gemeinhin zumindest in eine Nähe von "Schund" läuft - "Sucker Punch" transportiert nicht im geringsten etwas das für gewöhnlich als relevant oder über eine Norm kultiviert gilt, sondern im Gegenteil eher als gedankenlos, hanebüchen, egoistisch, oberflächlich, konsumorientiert, selbst sexistisch oder gewaltverherrlichend.
Zwar findet sich die Quintessenz von "Sucker Punch" wohl auch schon bei Guillermo del Toro's "Pan's Labyrinth", dass nämlich ein Gedanke Welten entstehen und wieder vergehen lassen kann, dass der Wille zur Macht (über sich selbst) auch in den größten (Körper-)Gefängnissen zum Vorschein kommen kann, dass über ein Wollen eben nicht unbedingt geherrscht wird, aber "Pan's Labyrinth" ist auch eine denkbar altmodische Erzählung - und vielleicht gerade deshalb Del Toro's etabliertester, kompatibelster Film für ein gemächliches Arthouse geworden.
Einem emanzipatorischen Ansinnen scheint "Sucker Punch" bei aller "Girl Power" noch dazu eher skeptisch gegenüber zu stehen: am Ende muss sich wohl eher bloß mit einem Satz wie bei Noe begnügt werden, wonach der Mensch zumindest eine Moral habe, wenn sich wenigstens die vermeintlich übelsten Männer in der "Heilanstalt" auch nur teilweise ihrem Gewissen besinnen. Also ideologisch steht "Sucker Punch" "Martyrs" oder "Hostel, Part 2" näher als seinem indirekten Vorgänger, dem wesentlich versöhnlicherem und politischerem "Watchmen".
Dass "Sucker Punch" so auch die vielfach verabscheute Form eines Multiplex-Blockbuster aufweist trägt ihr Übriges dazu bei, dass der Film durchaus als Provokation problematisiert werden kann, wenn man eben nicht provoziert werden möchte: diese Form ist es welche "Sucker Punch" seine zusätzliche Dimension verleiht, da der Film so auch als Kommentar zu den ganzen Pathologisierungs- und Kriminalisierungstendenzen einer Moralgesellschaft gesehen werden kann die sich gerade im deutschsprachigen Raum bekanntlich gemütlich breit gemacht haben mit ihren oftmals regelrecht faschistoiden Ansinnen über Leben bestimmen zu wollen. Alles beschimpfend was nicht in ein eng gestricktes Weltbild passt, ob sozial verbrämt oder mit christlichem "Abendland" herumgeisternd. Medien- und fantasiefeindlich Bürgertum links wie rechts einer politischen Mitte beschwörend, Lesungen oder Sichtungen abhaltend beziehungsweise fröhliches Opernraten und eben keine solchen Fantasien evozieren wollend. Deren Eigenschaft fantasievoll zu sein gleich leugnend - in Warnungen vor potentiellen Massenmorden die daraus hervorgehen würden: "Kultur" und eben nicht "Kult", also von Michael Haneke bis Richard David Precht quasi.
Army Of Me
"Sucker Punch" ist der zivilsationskritischste Film der zumindest seit Paul Verhoeven's "Showgirls" aus Hollywood in einen Mainstream eindrang: konnte man "Showgirls" nach dem superpopulären "Basic Instinct" noch als Ausrutscher abtun wird das bei Snyder hier kaum funktionieren. Der "Gewalt"-Werbefilmer hat mit seiner Musikvideo-Ästhetik ja schon mehr als einmal zuviel bei diesen Leuten auf sich aufmerksam gemacht. Und die werden gut daran tun das Machwerk am besten zu ignorieren: David Kleingers ist das beim Spiegel ja nicht ganz gelungen, wonach dessen "Rezension" schon dementsprechend bemerkenswert vor Hass gegen das hier Dargebotene nur so triefte.
"Sucker Punch" selbst weist dabei jedoch auch nicht die politisch-ideele imo Dummheit eines "Inception" oder gar die von "V wie Vendetta" auf, keine soziale oder ökonomische Naivität die sich letztlich doch nur nach Ordnung und (familiärer) Geborgenheit sehnt, weil "Sucker Punch" einfach tendenziell eher unpolitisch ist. Seine Naivität ist universell und unbeirrbar. Und es ist auch nicht nur unter mehr oder weniger pubertären Vorzeichen wie "Kick-Ass" oder "Scott Pilgrim" zu begutachten: so unschuldig Emily Browning als Protagonistin "Baby Doll" auf den ersten Blick auch rüber kommt, so anziehend-vielschichtig und lebenserfahren ist ihr Charakter eigentlich gezeichnet: aber halt auch immer so, dass das letzte Quentchen Verständnis für sie fehlen wird - also Spannung und Mysteriosität erhalten bleiben. Wie bei Alice - nein, eben nicht der Schwarzer, wie überhaupt keiner greifbar-realistischen Person. Sondern einer bloßen Idee die nur in Vorstellungskapazitäten atmet.
Da können einem wohl auch schon die Worte ausgehen - mich hat "Sucker Punch" ja nicht ganz überzeugt, obwohl oder gerade weil ich das in dem Film Gezeigte vielfach wirklich (sic!) lebe und auch schonmal geträumt haben könnte: erstens sieht man der Kinofassung ihre PG-13-Natur in der überaus reduzierten Gewaltdarstellung enorm an, ist alles Sexuelle fast nur suggestiv vorhanden, und zweitens hätte der Film gut eine Stunde länger sein können. Oder zwei, oder drei...