Review

Traum frisst Wirklichkeit

Wie selten zuvor, nicht einmal im artifiziellen "300", macht Zack Snyder die Kulissen der Traumfabrik sichtbar. Vier Gegenstände, vier Kunstwelten, die wie Portraits nebeneinander im Rahmen stehen und im Stil einer Anthologie miteinander verknüpft sind: Karte, Feuer, Messer und Schlüssel blähen sich zu dekadenten Fantasiekonstrukten auf, die nur Gier nach Spektakel kennen und kein Maß darin.

"Sucker Punch" ist vor allem eines mit jeder Faser und in Vollendung, nämlich Kino-Eskapismus. Snyder verknüpft geschickt zwei Gesetze Hollywoods miteinander. Erstes Gesetz: Die Realität sieht der Zuschauer, wenn er aus dem Fenster guckt – im Kino möchte er etwas erleben, das er in seiner Welt nicht haben kann. Daher die Kriegergiganten, die Soldaten-Zombies und brennenden Zeppelins, die Orks und Drachen, die Roboter und futuristischen Metropolen.
Zweites Gesetz: Was man nicht sieht, ist Furcht einflößender, spannender, erinnerungswürdiger, interessanter.
Dabei erdrückt Snyder doch geradezu mit Schauwerten, lässt so richtig die Sau raus, aber volle Kanne. Projektile schlagen mit 120 bpm auf den Boden, Kameras nehmen irrwitzige Fahrten auf sich, Körper wirbeln in der Luft, auch vor Sur- und Irrealismus wird nicht zurückgescheut. Kurz: Da ist nicht so viel mit dem zweiten Gesetz, von dem Filme wie "Der weiße Hai" immer noch zehren.

Was sich im ersten Moment wie ein Widerspruch anhört, spielt Bilderbucherzähler Snyder klug gegeneinander aus: Während aufwändige Effektwelten und darin sich entfaltende Post-Matrix-Martial-Arts-Mutationen normalerweise das Spektakel sind, wegen dem der Film überhaupt gedreht wird, sind die Greenscreen-Welten von "Sucker Punch" "nur" die Verdrängungsfantasien eines Mädchens. Etwas irgendwo tief in diesem Imaginationsbombast erregt viel mehr Aufmerksamkeit als all die Gegnerscharen – Baby Dolls Tanzaufführung. Warum? Weil einzig und alleine ein paar von Verblüffen und Begeisterung gezeichnete Gesichter Zeugnis von dem Tanz ablegen. Weil der Tanz selbst nie gezeigt wird.

Es ist ein schmaler Grat, der hier beschritten wird, aber letztendlich rettet er vor dem ansonsten unabkömmlichen Vergleich mit billigen Grindhouse-Kopien wie "Bitch Slap". "Sucker Punch" bemüht sich um eine komplexe Missbrauchsgeschichte. Seine gesamte Konzeption, die Fantasie als eine Fluchtmöglichkeit behandelt, beruht auf dem Verdrängungsmechanismus von Missbrauchsopfern. Der Tanz, jener Akt, den die Betreiber der Anstalt / des Fetischbordells von ihren Mädchen verlangen, ist eine unmissverständliche Analogie auf Sex. Ihn nicht zu zeigen, macht ihn erst recht zum begehrenswertesten Gut im gesamten Film, bei dem all die durch Nachkriegsparanoia erzeugten Fantasiegestalten (die Handlung spielt in den 50er Jahren) erst an zweiter Stelle kommen können. Und vielleicht entlarvt das Interesse am Tanz per se den Chauvinisten im Publikum sogar als Schwein.

Abseits des emotionalen Kerns bereitet es Snyder aber erwartungsgemäß Probleme, die beiden Ebenen der Anstaltswirklichkeit und der Kriegseinsatzfiktion miteinander zu verknüpfen. Karte, Feuer, Messer und Schlüssel sollen also die Gegenstände sein, die zur Flucht verhelfen, doch ihre MacGuffinhaftigkeit können sie nie so ganz verbergen. Das gilt noch vielmehr für die Welten, die der Regisseur aus ihnen gedeihen lässt. Wenn ein Feuerzeug sich in Baby Dolls Vorstellungskraft zum Feuer speienden Drachen entwickelt, so bringt Snyder damit kaum mehr zustande als ein paar Reminiszenzen an "Herr der Ringe" und "Die Herrschaft des Feuers", geschweige denn bringt er sie in Einklang mit dem, was zeitgleich in der Realität passiert. Dazu werden auf Reflex die üblichen poststrukturalistischen Stilverschmelzungen serviert, vom rosa Bunny auf dem Roboter bis zum mit Minigun bewaffneten Shogun. Vom Soundtrack ganz zu schweigen, der zwar wieder ein "perfect match" mit den nach "Watchmen" einmal mehr panelartigen Bildern abgibt und durchaus für Gänsehaut sorgt, sich in seiner Auswahl ("Sweet Dreams", "Army Of Me") aber sehr konservativ verhält, anstatt neue Wege zu beschreiten. Hinzu kommt, dass die Welten mit zunehmender Dauer entweder unorigineller werden oder das Interesse an ihnen verflacht. Spätestens, wenn das Messer zu einer Bombe ("Codename Messer") gemacht und in ein Crossover von "I, Robot" und "Unstoppable" gezwängt wird, stößt der Einfallsreichtum und vor allem die Ästhetik, mit der anfangs noch im schneebedeckten Tempelhof gekämpft wurde, an die Grenzen.

Unnötig zu erwähnen, dass all dies selbst für die Szenen in der realen Welt gilt. Täter und Opfer sind klar verteilt, was es zunehmend einfacher macht, die Handlung vorherzusagen, bis ein kleiner Twist die vorgelegten Bahnen aushebeln soll – zum Preis der Plakativität. Der Prolog ist in seinem hervorragenden Schnitt das einzige Element, das aus sich selbst heraus durch und durch eine innere Komplexität im Subtext aufrecht erhält – der Rest nährt sich ausschließlich aus der Grundidee, die Phantastik Stellung halten zu lassen für das, was man nicht sieht.

Doch gerade die Anstaltssequenzen dürfen ja auf Schwarzweiß gebürstet sein. Es liegt vielmehr bei den phantastischen Sequenzen, all die Facetten des ungesehenen Tanzes in Metaphern zu kleiden und damit zu veranschaulichen, was alles zwischen den Zeilen versteckt ist – seine Erotik, seine Verletzlichkeit, seine Täuschung, seine Anmut, seine Individualität. Hier rächt es sich, einen Designer wie Zack Snyder am Ruder zu haben. Er mag mit seinem Traumfabrikat "Sucker Punch" das Regelwerk der Traumfabrik herausgestellt und alle Möglichkeiten für seine Zwecke genutzt haben, aber eines gelang ihm mit seinen Bilderfluten nicht: das wiederzugeben, was Baby Dolls Tanz ausdrücken sollte.

Details
Ähnliche Filme