Ein sucker punch für die Fanboys sollte es werden, wurde aber zum Knockout für den Regisseur: Nicht nur, dass Zack Snyder „Sucker Punch“ vom Studio aus in späteren Drehstadien von R-Rated zu PG-13 umkonzeptionieren musste, selbst die eingereichte Fassung musste mehrfach für die MPAA geändert werden.
Teilweise erscheinen diese Änderungen überlegt, denn gerade die komplett ohne Dialoge auskommende, mit einer Coverversion von „Sweet Dreams“ unterlegte Anfangssequenz reißt bereits wenig jugendgeeignete Themen wie Kindesmissbrauch an, wenn Hauptfigur Baby Doll (Emily Browning) sich nach dem Tod ihrer Mutter gegen den Stiefvater wehren will, der sich dann an ihre kleine Schwester ranmachen will – Baby Dolls Versuch ihn aufzuhalten resultiert im Tod des Kindes. Angesiedelt ist das Ganze in einer ästhetisierten 50er-Jahre-Phantasie – in jenem Jahrzehnt erdachte Tennessee Williams seine Figur Baby Doll, die das klare Vorbild für die gleichaltrige Kindfrau aus „Sucker Punch“ ist.
Es geht in die Geschlossene, wo der Stiefpapa noch den schmierigen Chefaufseher Blue (Oscar Isaac) schmiert, damit er Baby Doll lobotomisieren lässt, worauf er das Erbe einsacken kann. Fünf Tage bleiben Baby Doll, die sich in eine Phantasiewelt träumt, die an „Moulin Rouge“ erinnert: Hier ist sie eine Nachtclubtänzerin und Prostituierte, anstelle der Lobotomie droht ihre Entjungferung durch High Roller, Penetrationsmetapher ahoi! Blue ist nun der Chef des Etablissements, Therapeutin Vera Gorski (Carla Gugino) die Puffmutter etc.
Baby Doll plant ihre Flucht: Wenn sie tanzt, entflieht sie auf eine weitere Phantasieebene, auf der sie Abenteuer besteht, während ihr Tanz die Anwesenden ablenkt. Vier Kolleginnen sollen in diesen Momenten die für die Flucht notwendigen Gegenstände stehlen, die gleichzeitig metaphorisch in den Abenteuern erobert werden müssen…
Was Snyder dem Zuschauer in seinem ersten nicht adaptierten, sogar selbst erdachten Film präsentiert, das kann man wohlwollend als eigenwillig, weniger wohlwollend als hirnverbrannt bezeichnen. „Sucker Punch“ ist gewissermaßen der Anti-„Inception“: Wo Nolans Films erstmal lang und breit alles erklärte, da wirft Snyder den Zuschauer ohne (vorerst) erkennbaren Zusammenhang ins Geschehen, ehe dann am Ende eine mehr oder minder befriedigende Erklärung die verschiedenen Realitätsebenen des Films zusammenschnürt.
Das große Problem von „Sucker Punch“ ist allerdings das, dass sich das Gebräu nicht zu einem homogenen Ganzen zusammenfügen will – wenn das Geschehen auf zwei Ebenen reduziert hätte (egal, welche der drei man weggelassen hätte), es wäre wohl ein runderer Film dabei herausgekommen. Inwieweit das Ergebnis durch Studio- und MPAA-Eingriffe noch konfuser wurde, ist schwer zu sagen, aus einem Guss wirkt „Sucker Punch“ aber nicht. Mal könnte es ein Drama über ein in mehrerlei unschuldiges Wesen in der Psychatrie sein, in dessen Beisein sich Stiefvater und Pfleger sogar trauen über ihre Beseitigung zu reden, in den Actionszenen wirkt das Ganze wie ein bonbonbunter Ballerschinken.
In diesen findet sich dann der Ästhet Snyder wieder, Hochglanzoptik, der wohl kalkulierte Einsatz von Zeitlupe und Zeitraffer, eine entfesselte Kamera, unterstützt durch state of the art Animation – das Visuelle an „Sucker Punch“ ist grandios wie bei jedem Snyder-Film. Trotz aller Metzelei haben die Actionszenen sogar etwas Verspieltes in ihrem wilden Mix verschiedener Elemente, die noch nicht einmal anachronistisch, sondern jeder Zeitlinie enthoben sind. Die Figuren des in den 50ern angesiedelten Films geraten einmal in ein Erster-Weltkrieg-Szenario, dessen Bombardierungsszenen eher an den Zweiten Weltkrieg erinnern, neben deutschen Zombiesoldaten mischt ein futuristischer Mech mit, die Mädels benutzen Schießprügel aus der Gegenwart des Zuschauers sowie antike Nahkampfwaffen. In Choreographie und Inszenierung ist das alles wirklich famos anzuschauen, aber die Action nimmt weitaus weniger Raum ein als das Marketing suggerieren will – klassisches trailer bait.
Die vier Actionszenen auf der dritten Realitätsebene des Films sind wie Videospiele aufgebaut, am Anfang gibt ein von Scott Glenn gespielter Erklärbär das Mission Briefing (wobei die Aufgabe fast immer ist: Hole Gegenstand xyz und mache alles auf dem Weg dahin platt), die Gegner sind Samuraidämonen, Roboter und Orks. Bewusst zitiert Snyder dien Populärkultur und arbeitet dabei heraus, dass die Mädels immer mehr Selbstbestimmung erhalten, je tiefer sie ins Reich der Phantasie absteigen: In der Anstalt sind sie hilflos, in der Tanzbar können sie immerhin ihre Reize einsetzen, wahrhaft kräftig sind sie aber erst in der Fantasywelt. Bis auf den engelhaften und daher asexuellen Ratgeber sind quasi alle Männer des Films eine Bedrohung, meist sogar echte Schweine. Von der Männerwelt werden die Mädels auf ihre Bühnennamen reduziert, die eine Schwarzhaarige auch mal Blondie taufen.
So kann man „Sucker Punch“ nicht vorwerfen sich keine Gedanken zu machen, doch er kann sie weder erzählerisch noch auf Figurenebene verpacken. Baby Dolls Vorgeschichte erschöpft sich mit der Auftaktsequenz, über die Schwestern Sweet Pea (Abbie Cornish) und Rocket (Jena Malone) erfährt man gegen Ende etwas mehr, Blondie (Vanessa Hughens) und Amber (Jamie Chung) sind komplett unausgearbeitete Holzschnitte. Keine Figur interessiert, weshalb es zwar dramaturgisch unglücklich sein mag, wenn Snyder in den Schlussminuten große Teile seiner Belegschaft dahinmetzelt, aber auch kein großer Affront, da einem keine der Figuren nahegeht.
Ob es Emily Browning für eine gute Idee hielt oder von der Regie dazu animiert wurde fast stets den gleichen Flunsch zu ziehen und auch sonst wenig mimische Anstrengungen zu unternehmen – egal, denn sie kann, abgesehen von der Auftaktsequenz, kaum überzeugen. Da erweisen sich Abbie Cornish und Jena Malone als wesentlich stärkerer Support, während der Rest fast durchweg von seinen Rollen im Stich gelassen wird. Scott Glenn als Schutzengel und Oscar Isaac können noch begrenzt Akzente setzen, wobei letzterer in einigen Szenen unschön mit dem Overacting-Virus geschlagen ist.
„Sucker Punch“ ist sicher nicht die einfache Actionorgie, die der Trailer suggerierte, teilweise sogar ambitioniert, aber leider gescheitert: Zu konfus und zu wenig involvierend ist die Geschichte, zu blass die Figuren. Inszenatorisch dagegen astrein, aber das hilft dem Film auch nicht über eine Lauflänge von fast zwei Stunden.