Lieber erst denken, bevor man den Mund aufmacht: Lars von Triers sehr unelegante Äußerungen, die er beim diesjährigen Filmfestival in Cannes verlauten ließ, machten eine große Runde in der Boulevard-Presse. Seine unglücklich formulierte Meinung zur deutschen Vergangenheit hatte jedoch nicht nur den Ausschluss des Regisseurs von den Festlichkeiten zur Folge, sondern ging auch mit einer nicht zu unterschätzenden Werbewirkung für sein aktuelles Werk einher. Ob “Melancholia” all diese Aufregung verdient hat, ist jedoch eher fragwürdig. Beworben wird der Streifen als “beautiful movie about the end of the world” - wirklich zutreffend ist jedoch kein Aspekt dieses Werbe-Slogans. Zu zäh und unnahbar präsentiert sich das Drama, dessen vielversprechende Sci-Fi-Elemente leider nicht genügend genutzt werden.
Die unter ihrer krankhaft melancholischen Stimmung leidende Justine (Kirsten Dunst) hat offenbar endlich ihr Glück gefunden: Ihre Hochzeit soll einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen. Die von ihrer Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) sowie deren Mann John (Kiefer Sutherland) ausgerichtete Feier verläuft jedoch nicht wie geplant. Die Streitigkeiten zwischen ihren Eltern (John Hurt & Charlotte Rampling) sowie der quengelnde Chef (Stellan Skarsgard) sind dabei noch das geringere Problem: Selbst an ihrem Hochzeitstag versinkt Justine in tiefen Depressionen und kann keine anhaltende Freude empfinden. Als am dunklen Nachthimmel ein sonderbares Licht wahrzunehmen ist, ahnt keiner der Gäste, dass eben jener Himmelskörper eine ernsthafte Bedrohung für die Erde darstellt…
Majestätische Musik von Wagner sowie im selben Maße malerische wie surreale Bilder, die schlussendlich im Untergang der Welt münden - Triers Film beginnt höchst experimentell und bombastisch. Dieser Wucht können die nächsten zwei Stunden jedoch nicht allzu viel entgegensetzen, erst im Finale wird erneut eine solche Brillanz erreicht. Bis dahin erweist sich der bemühte Streifen jedoch als selten vollends packendes Drama, welches die Möglichkeiten seines sehr interessanten Settings nicht anständig auszuschöpfen vermag. Dies liegt allen voran an der emotionalen Distanz, die zwischen den meisten Figuren sowie dem Zuschauer herrscht. Der Großteil der zumeist auf ein Merkmal reduzierten Charaktere gibt schlicht zu wenig von sich Preis, als dass empathische Empfindungen möglich wären.
Dieser Makel kommt allen voran in der ersten Hälfte zum Tragen. Auf der Hochzeit werden viele Konflikte angerissen, ohne auch nur einen davon wirklich schlüssig auszugestalten und zu Ende zu führen. Lediglich Justines trostlose Situation erfährt ausladend viel Aufmerksamkeit, wirkt aufgrund der fehlenden Hintergrundinformationen jedoch ziemlich unnahbar. Die übernatürlichen Elemente werden in dieser Phase völlig ausgeklammert, von Weltuntergangsstimmung ist nichts zu merken. Gerade als die zunehmend zähe Belanglosigkeit, welche durch die fehlende Auseinandersetzung mit all diesen Krisenherden entsteht, überhand zu nehmen droht, vollführt der Streifen dankenswerterweise einen klaren Bruch und leitet die zweite Halbzeit ein.
In diesem Teil wird nun der namensgebende Planet eingeführt, welcher unaufhaltsam auf die Erde zurast. Angesichts dieser galaktischen Bedrohung werden existenzielle Urängste wie der Furcht vor dem Tod sowie der völligen Auslöschung allen Lebens zu Tage gefördert. Je nach Protagonist manifestiert sich der Umgang mit diesen Themen in völlig unterschiedlicher Art und Weise, angefangen bei purer Verzweiflung über stoische Ruhe bis hin zu einer freudigen Erwartungshaltung. Dabei konzentriert man sich auf sehr wenige Einzelschicksale; ein groß angelegter Gefühlsausbruch in Anbetracht der nahenden Apokalypse bleibt aus, wodurch die Menge der zu Beginn eingeführten Personen noch überflüssiger erscheint. Eine stimmige Verbindung der beiden Parts ergibt sich somit nicht, was den Wunsch auf eine Fokussierung auf die bessere zweite Hälfte nochmals verstärkt.
Denn nicht nur inhaltlich ist dieser Abschnitt griffiger. Während die anfängliche Hochzeit auf optischer Ebene mit einer unpassend wackeligen Handkamera nervt, kann das folgende Kapitel mit schönen Panoramen des ebenso erhaben wie auch einschüchternd wirkenden Himmelskörpers punkten. Vor allem die letzte Einstellung überzeugt mit einer hochdramatischen Komposition von Bild und Ton, welche den Zuschauer mit einem bedrückenden Gefühl in absolute Stille entlässt - eine derartige Intensität hätte man sich öfter herbeigesehnt. Dass diesem Begehren nicht nachgekommen wird, liegt zumindest nicht an den Darstellern: Dunsts gewollt lethargisches Spiel sowie leerer Blick wissen genauso zu überzeugen wie Gainsbourgs und Sutherlands Vorstellungen als überforderte Schwester bzw. pragmatischer Ehemann - schade, dass diese Leistungen einem emotional oft wenig ergreifendem Drehbuch unterworfen sind.
Fazit: Ein Charakter-Drama vor der Kulisse des nahenden Weltuntergangs - das Setting von “Melancholia” bietet enormes Potenzial. Dieses wird jedoch leider zu großen Teilen verschenkt: Die erste Filmhälfte zieht sich mit unausgegoren Konflikten künstlich in die Länge, bevor endlich die existenzielle Bedrohung eingeführt und als dramaturgischer Motor genutzt wird. Von hier an nimmt der Film stetig an Qualität zu, sodass man zum Ende hin eine wirklich beklemmende Atmosphäre sowie ein fesselndes Finale geboten bekommt. Die starken Darstellerleistungen lassen das unstimmig geteilte Skript umso enttäuschender erscheinen und regen zum Spekulieren an, was bei einer gelungeneren Fokussierung wohl möglich gewesen wäre.
4/10