Oh Hossa, was war das denn?
Daß man von Trailern enttäuscht werden kann, ist ja fast schon Standard, aber wenn sie den Ton eines fertigen Films ungemein zielsicher treffen und die Vorschau das Wasser im Mund zusammen laufen läßt, dann sollte man das auch gebührend honorieren.
"Rango" ist so ein Fall von gelungener Bewerbung oder besser: von gelungener Umsetzung einer Idee, die so viele Querverweise zur Kinogeschichte unterwegs fallen läßt, ohne das es anbiedernd wirkt, daß man sofort mit einem "Yee-Ha!" aus der Stadt reiten möchte.
Was brauchte man also, um gerade diesen Animationsfilm auf die Zuschauer loszulassen: eine gute Idee, Vorliebe für Western und Filme generell; einen Sprecher, der untrennbar mit seiner gesprochenen Figur schon in der Anlage verbunden ist und jede Menge Eier. Daß man dafür auf die Zielgruppe der allerjüngsten Zuschauer verzichtet hat, ist ebenfalls hoch anzurechnen, ohne daß man jetzt sagen könnte, "Rango" wäre Animation für Erwachsene.
Es gehört aber schon Chuzpe dazu, allen Sinn für Niedlichkeit fahren zu lassen und eher auf unattraktive Figuren zu setzen: die Hauptfigur ein krummes Chamäleon (nicht eben eine typische Identifikationsfigur), die Nebenfiguren schleimige und verkommene Wüstenbewohner, von der Schildkröte über Füchse, Nagetiere, Amphibien und Repilien, allesamt italowesterngemäß staubig, verkommen und nicht besonders gut in Schuß.
Genau dort schlägt aber das Herz dieses Films, der ein ganzes Panoptikum von Westernreferenzen wiederaufleben läßt. Sicherlich ist diese Form des Witzes eher für Kenner des Genres, bzw. gewisser typischer Elemente gedacht (was "Rango" noch dazu zu einer Art "Männerfilm" macht), aber genau das verleiht dem Film seine gewisse Frische und bringt den kreativen Funken zum sprühen. Wenn man dann noch Plotelemente von Polanskis "Chinatown" dazurührt, kann eigentlich kaum noch etwas schief gehen.
Dreh- und Angelpunkt ist jedoch die Titelfigur, ein neurotisches und identitätssuchendes Terrariumchamäleon, das sich die Zeit mit abstrus-bizarren Theaterstücken vertreibt, bis ein Autounfall in der Wüste es in der gleißenden Hitze stranden läßt. Vom Verursacher (einem unfallerprobten Gürteltier mit Mentorenqualität) über seine kommende Identitätssuche aufgeklärt, begibt es sich in die staubige Einöde, fällt fast der Natur zum Opfer und gelangt schließlich in die Westernstadt "Dirt", deren Wasservorräte fast aufgebraucht sind. Doch natürlich steckt hinter der Knappheit eine schlimme Schurkerei, bis das jedoch herauskommt, stolpert der "Held" jedoch aufgrund seiner Tolpatschigkeit und einer Menge Glück (und der tumben Ausrichtung der Einwohner) alsbald als "reiner Tor" in die Rolle eines legendären Westernhelden namens "Rango", wird später Sheriff und kommt natürlich erst auf den richtigen Dreh, als er beginnt, sich weniger mit sich zu beschäftigen (was ihn eh ins Unglück stürzt, wenn auch erst nach vielen selbstverliebten und verspielten Kapriolen), sondern Verantwortung für Andere zu übernehmen.
So komplex die Story auch wirkt, so zitatenreich - trotzdem funktioniert Gore Verbinskis Film auch auf anderen Ebenen.
Ein gelungener Schachzug war sicherlich das Durchspielen des Skripts im Motion Capture-Verfahren mit den Sprechern vor dem Animationsprozeß, so daß die Figur des Rango nicht nur von Johnny Depp gesprochen wird, sondern sie auch tatsächlich darstellt, vorzugsweise eine Vignette seines Ichabod Crane, nicht dumm, aber ängstlich, großmäulig und kleinlaut in Personalunion, verspielt und neurotisch (mit einem Funken Woody Allen kann man niemals falsch liegen), emotional und deduktiv zugleich. Daß das alles (und auch noch lustig) von einem mimisch scheinbar eindimensionalen Chamäleon dargestellt werden kann, ist praktisch schon oscarreif. Aber auch die anderen Figuren sind vom Feinsten: der maschinenpistolenschwanzbewährte "Klapperschlangen Jack" ist ein typischer Desperadobösling, der Schildkrötenbürgermeister gemahnt an John Huston in Polanskis Klassiker und die Meute von Hillbilly-Maulwurf-Murmeltiere ist so "Backwood" wie es eben nur in Redneckfilmen geht. Da trägt ein Bürgerkriegsveteran (und Hahn) einen Pfeil durch Auge und Kopf und konstatiert bzgl. seines Aussehens eine Bindehautentzündung im anderen Guckerchen, da trägt ein Stachelschwein nur noch drei Zähne als Dorftrottel mit Fremdwortschatz, da heißt ein Gürteltier "Roadkill", da zaubert eine Fuchsdame einen "Roger Rabbit"-Bezug vom Leder, während eine Eulenmariachi-Band mexikanisch vor sich hinnuschelt und in einem oscarbewährten Golfkarren ein hautlederner Clint Eastwood (aka "Geist des Wilden Westens) traumreisenbewährte Lebenshilfe gibt.
Die Abfolge an interessanten, detailreichen und unverniedlichten Figuren, die gewisse Härte (in "Rango" wird gestorben wie im richtigen Western und das nicht zu knapp), die unglaubliche Gagquote, das alles trägt zu einem irre abwechslungsreichen Filmerlebnis bei, in dem nahezu alles stimmt (möglicherweise ist das Finale etwas kurz und im Vergleich unspektakulär geraten, aber nur möglicherweise). Dazu steht die Kamera immer am richtigen und auch nicht selten am unmöglichen bis unerwarteten Platz, um die bizarren, abstrusen, slapstickhaften Gags überhaupt möglich zu machen, die man selbst erfahren muß, um sie zu glauben. Nicht der schnelle gepspielte Witz, sondern Charakterkomik und Genrebezüge machen den Spaß aus und wenn denn mal kein Gag zu haben ist, sorgt die bizarre, traumgleiche, psychedelische Umgebung, die ein drogenrauschähnliches Eigenleben zu führen scheint, für die nötige Faszination.
Und da stört auch nicht die (in einem "Industrial Light and Magic"-Animationsfilm) unvermeidliche Star-Wars-Referenz, wenn sich Murmeltiere auf Fledermäuse reitend in einen Canyon stürzen, wie weilend die Imperiumstruppen auf Luke Skywalker in den Kanälen des Todessterns.
Bis dato ist "Rango" der innovativste und interessanteste Animationsfilm der letzten Jahre, der nicht nur visuell mitreißt, sondern auch in seiner Ideenfülle und seinem Bild- und Zitatreichtum fast ertrinkt. Sowas sollte mit einem Besuch honoriert werden. (9/10)