Review

Kritik nach einer Sichtung!

Wenn ich mir so die Kritiken zu Red State durchlese, bekomme ich den Eindruck, dass "Marketingstratege" Kevin Smith fast alles richtig gemacht hat. Darf man den schreibenden Filmfreunden glauben, bekommen wir hier nicht den härtesten Film aller Zeiten, nicht den Film der nach Sieben oder auch Saw kam oder nicht den Film, der alle Tabus bricht, serviert, sondern den Film des wütendsten Regisseurs. Wiedermal legen viele ihr (Haupt-)Augenmerk - zumindest zunächst - auf das Drumherum, statt auf den Film selbst - A Serbian Film lässt grüßen. Kein Wunder, wenn einige Regisseure mittlerweile auf die Kritik scheißen. Da ich mich nun genug mit dem Drumdrumherum beschäftigt habe, höre ich jetzt erst mal auf damit.

Zum Film:
Red State ist ein Film, der mir inhaltlich gezeigt hat, wie man das heutige Amerika (und viele andere Staaten der zivilisierten Welt) sehen kann: ein an seiner eigenen Moral erstickender Staat. Überzogene Sexualmoral und die Lust des Menschen, sich selbst in Gut und Böse zu spalten, machen es Vereinigungen wie der Five Points Church (im Film), der Tea-Party oder sogar Staatsführern recht einfach, Anhänger zu finden, die ihr Leben und ihren Geist dem eindimensionalen Fanatismus opfern. Und in Red State sind auch die Hüter der Gerechtigkeit hörige Soldaten der Gewalt, die mit aller Brutalität ihre Ordnung aufrecht halten wollen. (Während des Irak-Krieges interviewte ich amerikanische Soldaten, die von der Front nach Deutschland auf ihren Stützpunkt zurückkehrten. Konsens: Krieg ist kacke, Bush ist aber super, und deshalb auch irgendwie der Krieg, denn er dient ja der Gerechtigkeit und Freiheit.) Nur die bösen Terroristen sitzen nun eben nicht mehr im Nahen Osten, sondern in einem Red State oder im Chefsessel einer Agenteneinheit. Heute kann jeder ein Terrorist sein, so wie früher jeder ein Kommunist sein konnte. Fanatismus und Diffamierung gehen Hand in Hand - egal, wer wen anklagt, der Böse zu sein (ob religiöser Fanatiker oder Schwuler). So verschwimmen in Red State die Grenzen zwischen Gut und Böse im Kugelhagel. Und diejenigen, die sich gegen den Fanatismus wehren, werden entweder erschossen (wie das eine Mädchen der Kirchengemeinde) oder befördert, wie Agent Keenan (John Goodman). Zunächst ist noch zu erkennen, wer auf welcher Seite steht. Am Ende zeigt sich jedoch, dass alle die Wahrheit auf ihrer Seite glauben und diese aber auf der Strecke bleibt.

Dies versucht Smith auch auf formaler Ebene umzusetzen. Mit zunächst klar erkennbaren Elementen lockt er den Zuschauer immer wieder auf eine Fährte: Der Film beginnt wie ein klassischer Horrorfilm (drei Jungs wollen vögeln und geraten in die Fänge von Psychos) mündet dann in einen Torture-Porn-Flick, um dann in ein Drama (innerhalb der Religionsfamilie oder zwischen moralisierenden Agenten) sowie in einen Actioner mit hohem Patronen- und Blutgehalt zu münden und in einer Satire zu enden. Doch bevor jedes dieser Genres vertieft wird, bricht es Smith ab. Er spielt mit den Erwartungshaltungen, die dem Zuschauer eingehämmert wurden, und scheint sie nahezu zu verspotten.

Aufgrund der Auflösung filmischer Wahrheit/Zuordnung saß ich am Ende vor dem TV und wusste nicht genau, was ich gesehen habe. Mir fiel es schwer, das Gesehene einzuordnen. Ich fragte mich, passt der lange Monolog des Kirchenoberhauptes zu dem Torture-Porn-Flick und den teilweise schon splatterähnlichen Shootouts während der Actionsequenz. Ist der schwarze Humor, der etwa dann erkennbar wird, wenn sich der Agentenboss erst mal informiert, ob Medien vor Ort sind, bevor er den Befehl gibt, die Kirchenfamilie auszulöschen, wirklich lustig genug, um zumindest zu schmunzeln? Ist das Ende nun sarkastisch oder nur halbherzig und schwach? Nun, ich denke, so etwas (zumindest Ähnliches) lag in Smiths Absicht: ein Film, der zum Nachdenken anregt. Ein Film, der keinen Sympathieträger präsentiert, ein Film ohne Held, ein Film ohne greifbares Ende. Im Grunde bekommt der Zuschauer Versatzstücke geliefert, mit denen er alleine gelassen wird - in der Realität bekommen wir meist Teilwahrheiten serviert.

Fazit:
Funktioniert Red State?
Red State zu beurteilen oder einzuordnen widerspricht seiner Natur. Der Film ist eine Anordnung filmischer Wahrheiten (Genres), die sich zwar zu erkennen geben, aber nicht zu Ende geführt werden. Ich möchte Kevin Smith hier nicht unterstellen, dass er dazu nicht in der Lage war. Dennoch hat der Film den Beigeschmack, dass Smith hier zu viel wollte, aber daran gescheitert ist. Wenn er diese Intension beabsichtigte, ist Red State gelungen, denn dann hätte Smith auf formaler Ebene das fortgeführt, was er auf inhaltlicher Ebene zeigt: ein Land, eine Gesellschaft, eine Idee, die zu viel will, und daran scheitert.

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