Es gibt heute anscheinend echt noch Filme mit denen man wirklich nicht rechnet. Und das meine ich im positiven Sinne ...
Sicher ist - wie auch aus den anderen Reviews ersichtlich - Kevin Smith "Red State" ein Film, der die Gemüter spaltet. Das liegt aber auch großteils daran, was man erwartet und was man kennt.
Auf den ersten Blick (Inhaltsangabe, Cover etc.) geht man hier von einem Thriller, einem Drama oder einem weiteren Torture-Porn-Vertreter und deren bekannten Genre-Konventionen aus. Kevin Smith Film spielt auch ganz geschickt mit diesen Erwartungen ... und entäuscht diese bewusst.
- Achtung Spoiler -
So erwartet man anfangs eine Torture Porn-Folter-Orgie wie "Hostel", in der die sympathiegewinnenenden Identifikationsfiguren (die 3 Jungs) gerade noch so fliehen können ... falsch gedacht.
In einem Thriller, würde man nun für ein genre-typisches Happy End zusehends auf den abgehalfterten Sheriff, dann auf den ATF-Agent und sein Team setzen, die nun alles zum guten wendet .... auch nicht. Die kümmern sich nur um ihre Befehle und ihren Leumund.
Für den dramatischen Ansatz kommt jetzt ein hübsches junges Töchterchen der Sekten-Familie als Sympathieträgerin in Betracht, die mit Hilfe der letzten Geisel, doch nur die lieben Kinder in diesem Massaker retten will ... wieder nix.
In einem Action-Film wäre jetzt ein bereinigender Shoot-Out zum Schluss angedacht .. auch nicht ...
Jetzt könnte man natürlich einwerfen, dass Kevin Smith, dass einfach nicht auf die Reihe gekriegt hat, aber dafür ist der Film viel zu gut inszeniert. Die Figuren, das Drehbuch, die Darstellung passt immer ... nur wird immer wieder was unerwartetes gedreht ... und überrascht damit umso mehr.
Im Gegensatz zu anderen Filmen, bei denen man immer rechtzeitig weiß, wie es weiter und meistens auch, wie aus geht, wird man hier stets gefordert, dabei zu bleiben.
Selbst die im Thriller- und Horror-Genre häufig benutzten, nicht wirklich überraschenden Twists gibt es hier nicht.
Coole One-Liner und ironische Dialoge passend zu gewalthaltigen Szenen a la Tarantino werden ebenfalls vermieden (was mich bei Kevin Smith am meisten überraschte).
Auch der mahnende Zeigefinger (gegen böse Sekten) a la Michael Moore und Schwarz-Weiß-Malerei (a la Spielberg) kommt hier nicht zum Einsatz ...
Bei allem, was es in diesem Film bewusst nicht gibt, ist jedoch Kevin Smith ein klasse inszenierter Film gelungen. Auch wenn es (bewusst!) keine dauerhaften sympathietragenden Figuren gibt spielt jeder seine Rolle einzigartig. Der unberechenbar agierende Sektenführer, die illusionslosen ATF-Agenten, die Sektenmitglieder, die jugendlichen Opfer ... alle machen ihre Rolle gut, ohne jedoch tragende "Hauptfigur" zu sein. Es gibt häufig Gewaltdarstellungen, jedoch ohne Selbstzweck.
Also ... meines Erachtens hat Kevin Smith hier bewusst versucht, einen Film ohne die Genre-typischen Konventionen zu machen, die uns bei den heutigen Hollywood-Produktionen schon gar nicht mehr auffallen. Er täuscht hier bewusst etwas an, um es dann wieder in eine andere Richtung zu treiben.
Dies gibt einen erfrischenden Blick auf das Medium Film jenseits der typischen Filmindustrie-Produkte Drama, Thriller, Action und Quäl-Horrow a la "Saw".
Dass der Film trotzdem fesselt, ist der guten Inszenierung, der durch die Bank weg guten Darsteller und nicht zuletzt der überrschenden Art und Weise der Umsetzung (gut angetäuscht und ...) geschuldet.
P.S.: Die in den anderen Reviews kritisierten Punkte, des hier für den Sektenführer dargestellte Feindbildes "Homosexuelle" als auch die fehlenden, relativ schnell sterbenden Figuren als Sympathieträger sind m.E. für Kevin Smith nur Mittel des o.a. Zwecks und haben eigentlich für den Film keine große Bedeutung.