Review

Mit "Pierrot le Fou" (1965) hat Godard ein neues Konzept in sein Gesamtwerk gebracht, das ihn fortan beständig begleiten sollte: die Zerlegung eines Werkes in vereinzelte Motive, der Verzicht auf einen alles erklärenden Zusammenhang (vom Thema der Metaebene abgesehen).
In "Deux ou trois choses que je sais d'elle" wird das - wie später in "1+1" (1969) - bereits im Titel deutlich: von zwei oder drei Dingen (ein Euphemismus: es sind noch etliche Dinge mehr, die der Zuschauer hier verarbeiten muss) ist die Rede, aber nicht von dem, was sie verbindet. Die Vielheit ist hier somit greifbarer als die sie umgebende Einheit, über die die Zuschauer hinterher streiten können.
Dabei folgt der Film mit seiner vorgeschobenen Handlung (ein Tag im Leben einer Hausfrau, jungen Mutter und Prostituierten) zunächst noch einem Schlüsselmotiv in Godards Werk: der Prostituition.

Für Godard erschien die Prostitution als das ideale Bild des Kapitalismus, nur dass der in diesem System übrig gebliebe Körper nichtmehr die Arbeitskraft ver*körpert* wie bei Marx, sondern tatsächlich der verwertbare Körper IST.
Der Film entstand nach der Lektüre eines Artikels, in welchem das Phänomen beschrieben wurde, dass Hausfrauen nebenbei der Prostitution nachgingen gleichwohl sie gar nicht einmal am Existenzminimum lebten. Godard greift daher im Film indirekt Rousseau auf und sieht ironisch überspitzt in der fehlenden Waschmaschine, dem fehlenden Auto, Fernseher, der fehlenden Urlaubsreise "kein normales Leben".
Am Ende des Films ragen auf einer grünen Wiese Waschmittelverpackungen neben Zahnpastaschachteln empor und tragen mittlerweile für den Betrachter eine neue, negative Bedeutung in sich.

Aber der Film bleibt nicht bei den Verlockungen der Konsumgüter und den Auswirkungen der sie begehrenden Menschen stehen, sondern schweift in verschiedene Richtungen ab.
Da sich der Titel nicht nur auf die Protagonistin bezieht, sondern auch auf die Stadt selbst, wäre eine Richtung etwa die Neuplanung der Stadtstruktur im Rahmen des Villes Nouvelles Projekts. Dazu gesellt sich das aktuelle Geschehen der Weltgeschichte, deren Brennpunkt Vietnam war, ebenso wie die Geschichten von Einzelnen: vom Arbeitsalltag ist die Rede, vom Familienleben, von der Liebe, vom Begehren. Umstrukturierungen, Vietnam, Werbung, de Gaulle, Lohn und Arbeit, Liebe und Familie werden dauerhaft durcheinandergewirbelt, erwähnt von den Figuren, denen die Protagonistin immer wieder begegnet.
Heraus kommt ein Zeitbild, das eine Erklärung des Zusammenhangs seiner Elemente jedoch verweigert - Interpretationsansätze muss der Zuschauer selbst ausmachen, doch Godard macht dabei auf einen Umstand aufmerksam: von vorne bis hinten stellt er der subjektiven Sicht die objektive Welt entgegen - beiden Ebenen ist der Mensch verhaftet, vereinbaren lässt sich beides jedoch nicht. Godard kommentiert Bilder (liegt die Wahrheit in der Ansicht von vorne oder in der Ansicht von der Seite?) wie Texte (inwieweit lässt sich etwa ein Gefühl über Wörter vermitteln?) und verweist immer wieder darauf, dass sich nicht nur Bild und Sprache unterscheiden - der Film demonstriert das an Kommentaren zu den gezeigten Filmbildern, die die Gleichzeitigkeit der bildlichen Darstellung von der Dauer des sprachlichen Formulierens unterscheiden - sondern dass jedes Erfassen von Wirklichkeit immer ein subjektives Moment in sich trägt, was jeden Schluss, jede Folgerung jenseits der reinen Logik relativiert.

Die Unterscheidung beider Ebenen (der subjektiven von der objektiven) ist dabei ein Strukturmerkmal des Films: auf eine Außenansicht auf ein Gebäude lässt Godard die Innenräume folgen, den Monologen des Films folgen geflüsterte Reflexionen und den fiktiven Rollen hält er sogar die tatsächlichen Schauspieler hinter den Rollen entgegen. Beständig fragt Godard, wie sich die Wirklichkeit überhaupt erkennen und ohne Abstriche wiedergeben lässt - wie er auch auch gegensätzliche Sichtweisen gegeneinanderhält (um somit auch indirekt zu zeigen, dass eine Sichtweise auf etwas von diesem Etwas verschieden ist).

Dem ganzen Zweifel hält Godard dann aber auch den "gesunden Menschenverstand" (so die dt. Synchronisation) entgegen: offenbar gibt es ja eine - vielleicht nicht optimale, aber doch erstaunlich funktionierende - Verständigung über eine objektive Welt trotz subjektiver Sichtweise. Dass diese jedoch mit Vorsicht zu genießen und keineswegs selbstverständlich ist, das macht Godard mit Nachdruck klar.
Und daher erklärt er das Leben in Frankreich im Jahre 1967 nicht, sondern liefert nur die Beschreibung, die genaue Beobachtung, die von den Zuschauern anschließend in der Diskussion auseinandergenommen werden kann... [denn eines muss klar sein: Godards letzten Beiträge seines Frühwerkes sind seine ersten, die sich mit dem bloßen Betrachtetwerden nicht begnügen wollen - dem Zeitgeist entsprechend fördern und fordern sie stattdessen die Auseinandersetzung im Publikum, sind famose Beispiele einer mittlerweile in die Programmkinos, wenn nicht gar Garagenkinos verschwundenen Kinokultur, die vom gemeinschaftlichen Filmerlebnis lebt. „Seine" Arbeiten innerhalb der Vertov-Gruppierung haben die Auseinandersetzung dann nicht nur zum Ziel, sondern haben sie bereits zur Voraussetzung gemacht, insofern sie Werke einer Gruppierung und nicht Werke eines Einzelnen sind (was für die allermeisten Filme in niedrigerem Maße freilich auch noch gilt).] Indem er im Film kontinuierlich Interpretation von Wirklichkeit als unsichere Gradwanderung präsentiert, erklärt er die Diskussionen über die jeweiligen möglichen Interpretationen zum wichtigsten Element - kann die Subjektivität nicht objektiv sein, so kann sie doch allgemeine Subjektivität, eine von allen geteilte Subjektivität sein, was jedoch die Diskussion zur unbedingten Grundlage hat.

Dabei bleibt er jedoch keineswegs ein wissenschaftlich-erkenntnistheoretischer Film und erst recht kein schlichter Dokumentarfilm, sondern ist zudem eine wehmütige, melancholische Auseinandersetzung mit dem Gefangensein im eigenen Geiste. Wenn Marina Vlady (vor allem als schöne Außenseiterin in André Michels sehenswertem "La Sorcière" (1956) bekannt geworden) mit traurigen Augen in die Kamera schaut und über die Grenzen der Kommunikation sinniert, dann kommt der Film auch einer Studie der Einsamkeit bisweilen relativ nahe und und dabei blitzt dann sogar noch verhalten der Romantiker in Godard durch.

Insgesamt vielschichtig, mal emotional anrührend, mal absurd, mal voll interessanter Fakten und anregenden Überlegungen, formal originell und dem Inhalt optimal angepasst. Wer nicht auf einen mitreißenden Spannungsbogen angewiesen ist, um an einem Film Gefallen zu finden, bekommt hier einiges geboten.

10/10

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