Peter Greenaway geht nicht gern ins Kino. Filme, die in erster Linie verfilmte Geschichten ergeben, sind ihm ein Gräuel. Für den Realismus seiner britischen Landsleute hat er deswegen nur "Mitleid" übrig. Dem Mainstreampublikum gönnt er hingegen nicht einmal dieses Mitgefühl und zieht seine intellektuelle Filmkunst ohne Rücksicht auf Zuschauerverluste konsequent durch.
"Der Bauch des Architekten" ist dabei die berühmte Ausnahme von der Regel. Nur dieses eine Mal in Greenaways Gesamtwerk gibt es eine konventionelle Geschichte mit einer Hauptfigur - dem Architekten Kracklite - die es dem Zuschauer durchgehend erlaubt, mit ihm mitzufühlen.
Kracklite reist mit seiner Frau in die italienische Hauptstadt, um zu Ehren des von ihm geschätzten Architekten Boullée eine Ausstellung zu organisieren. Gleich zu Beginn setzt die Abwärtsspirale Kracklites ein, dem seine Frau untreu wird und er um sein Lebenswerk betrogen wird, beides wird durch seinen jüngeren Gegenspieler Caspasian intrigant arrangiert. So ist der "Bauch des Architekten" in erster Linie die dramatische Schilderung eines geistigen und körperlichen Verfalls. Cracklite befürchtet, von seiner Frau vergiftet zu werden und leidet unter schrecklichen Magenschmerzen, und hier sind Greenaways Verweise auf antike Vorbilder mehr als ein reines Zurschaustellen von Allgemeinbildung, verleihen sie doch dem Film etwas erdrückend Schicksalhaftes und Paranoides. Die Wahl Brian Dennehys als Verkörperung der leicht unbeholfenen, traurigen Hauptfigur erweist sich als echter Glücksgriff. Spielt er doch den leidenden Kracklite genauso glaubwürdig wie den besessen, der seinem toten Idol Postkarten schreibt, adressiert an den Architekten der französischen Revolution, der wie sein Bewunderer keinen einzigen seiner Architekturträume verwirklichen konnte.
Intellektueller Anspruch und Sinnesfreude bilden bei Greenaway zum Glück nie einen Widerspruch. Neben dem pulsierenden, barocken Score macht vor allem die brillante Kameraarbeit des Altmeisters Sacha Vierny diesen Film zu einem Genuss. Sie läßt Rom in vollem dekadenten Glanz erstrahlen: als achsensymmetrische kunstvolle Kompositionen, durchzogen mit Referenzen an Meisterwerke der Malerei. Wenn man dabei manchem Fingerzeig auf den "Tod des Marat" oder anderes übersieht, bereitet dies dem Zugang aber keinen Abbruch. (Literatur zum Regisseur existiert ja bereits in Hülle und Fülle.)
Jedem, der noch keinen Greenaway-Film gesehen hat, sei der Bauch des Architekten als Einstiegsfilm empfohlen, weil dessen andere Werke wie etwa "Prosperos Bücher" oder "Das Wunder von Macon" das Maß, das sie an Aufmerksamkeit und / oder Allgemeinbildung einfordern, nicht als emotionale "payoffs" zurückgeben, wodurch sie dem ahnungslosen Publikum leicht als elitäre Blindgänger erscheinen können.