Review

Beschäftigt man sich mit Filmen, die außerhalb des eigenen Kulturkreises entstanden sind, hat es trotzdem etwas für sich, diese einfach auf sich wirken zu lassen ,ohne sich vorher inhaltlich darauf vorzubereiten. Auch wenn man nicht jede Wendung oder Reaktion nachvollziehen kann, bekommt man so einen Eindruck von einer faszinierenden Fremdheit und gleichzeitigen emotionalen Vertrautheit.

Doch bei Kenji Mizoguchis "47 Samurai " ergibt sich eine andere Situation, denn seinen zwei Teilen liegt die bekannteste japanische Legende überhaupt zu Grunde, die sehr viel über das Denken und den Charakter des japanischen Volkes aussagt. Wenn sich ein Regisseur mit dieser im Jahr 1701 beginnenden Geschichte auseinandersetzt, ist ihm bewußt, dass der Inhalt dem japanischen Zuseher bekannt ist. Deshalb konzentriert Kenji Mizoguchi sich hier auf das Wesentlichste - den inneren Abläufen, die zu den jeweiligen Entscheidungen führen. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, werden in der Regel nicht gezeigt, sondern nur der dann folgende Umgang zwischen den Protagonisten auf Basis der neuen Situation.

Der Film beginnt ohne Einleitung und zeigt einen großen Ausschnitt des Innenhofes des Shogun-Palastes in Edo. Die Kamera bleibt minutenlang nahezu unbeweglich und fängt doch das gesamte Drama, welches die Geschichte auslöst, in vollem Umfang ein. Während sich Fürst Kira (Mantoyo Mimasu) gegenüber einem Gesprächspartner über den Fürsten Asano (Yoshizaburo Arashi) beklagt, kauert im Hintergrund des Bildes fast unbemerkt ein Mann. Plötzlich rennt dieser auf sie zu und schlägt mit dem Säbel auf Kira ein. Bevor er noch ein weiteres Mal zuschlagen kann, eilen eine Vielzahl an Männern herbei, um dem gefallenen Kira zu helfen und Fürst Asano festzuhalten und zu überwältigen. Die Geschwindigkeit, die hier plötzlich entfaltet wird, entsteht nur durch die Handelnden, während die Kamera ihre ruhige Position beibehält.

Schon an dieser ersten Szene ist zu erkennen, dass Mizogushi mit bewußt langen raumumfassenden Kameraeinstellungen arbeitet und auf Schnitte verzichtet, um dem Betrachter ein möglichst unbeeinflusstes Bild des Geschehens zu vermitteln. Besonders interessant ist daran, dass man als Zuschauer die zukünftige Entwicklung schon hätte erkennen können, da sämtliche Protagonisten von Beginn an im Bild waren.

Weiterhin verzichtet er auf erklärende Zusammenhänge und zwingt damit den Betrachter, sich ganz auf die teilweise sehr langen Dialoge zu konzentrieren. In einer der nächsten Szenen wird Asano befragt, warum er Kira, der mit einer leichten Wunde davon kam, plötzlich überfiel. Er nennt seine Gründe nicht, da sie persönlicher Natur wären, aber er gibt seine Schuld in vollem Umfang zu. Allerdings bereut er nur, dass er ihn nicht getötet hat.
Das Bild, dass sich langsam über Kira verfeinert, setzt sich wie ein Puzzle aus den verschiedenen Aussagen der Beteiligten zusammen. Bei Kira handelt es sich um einen erfahrenen Meister der Etikette am Fürstenpalast, der Asano bei der Vorbereitung für den Empfang des Shoguns helfen sollte.

Was wirklich zwischen den Beiden ablief, wird nie erklärt, aber an Kiras kritischer Aussage zu Beginn und an Asanos Tötungsabsicht kann man schon von einem ernsthaften Vorfall ausgehen. Doch ohne Rücksicht auf diese Vorgeschichte zu nehmen, fällt der Shogun ein Todesurteil über Asano, da dieser den Säbel im Palast gezogen hatte - ein unverzeihlicher Frevel an diesem Ort des Friedens. Keineswegs bekommen wir den Shogun zu Gesicht und sehen auch nicht die Verkündung des Urteils, dessen Folgen uns wieder in einer folgenden Szene gezeigt werden, die ebenso bemerkenswert und signifikant für den gesamten Film ist.

Ein Samurai kommt zu einem der Fürsten am Shogun-Palast und verbeugt sich tief vor ihm. Immer wieder wird uns vorgeführt, wie absolut notwendig es ist, die höfischen Etikette auf das Genaueste einzuhalten. Keinerlei Kontakt oder gar Gespräch ist zwischen zwei Personen möglich, wenn nicht die entsprechenden Rituale die Voraussetzung dafür schaffen. Doch wer glaubt, dass diese Regeln einhergehen mit einem ähnlich genormten Denken, der irrt. Der Samurai setzt sich für Fürst Asano ein und kritisiert vehement das aus seiner Sicht zu harte Urteil des Shogun. In dem er die Etikette eingehalten hatte, wird ihm seine Auflehnung nicht nur zugestanden, sondern auch als loyal gegenüber seinem Herrn zugute gehalten. Nur nützt ihm das nichts, da sein Stand nicht zulässt, selber mit einem Entscheidungsträger reden zu dürfen. Immer wieder wird man in "47 Samurai" davon überrascht, wie klar argumentiert und analysiert wird, wie mit deutlichen Worten gesprochen wird, auch wenn zuvor durch Körperhaltung und Gestus der jeweilige Stand des Anderen anerkannt wurde.

Ähnlich konsequent bleibt Mizogushi in seiner inszenatorischen Gestaltung. Er verzichtet auf jegliche Action und hebt ganz deutlich die einzelnen Szenen untereinander ab. So beobachtet er wie Dienerinnen Asanos Frau den Zopf kürzen - ein Zeichen dafür, dass sie keinen Mann mehr hat und aus ihrem Haus gehen muß. Ähnliches droht den Samurai, die zu etwa dreihundert in der Burg des Fürsten Asano lebten. Dazu muß man wissen, daß der Shogun von den Fürsten der einzelnen Ländereien forderte, mit ihren Familien in der Hauptstadt Edo (dem heutigen Tokio) zu wohnen, während diese in ihrer jeweiligen Heimat noch über eine Burg verfügten. Die Kosten, die für die zwei Wohnsitze entstanden, sollten Aufrüstung und Haltung eines großen Heeres verhindern und so den Frieden sichern.

Deshalb dauert es auch ein wenig bis Asanos Samurai in der heimatlichen Burg durch einen Boten erfahren, dass sie durch den Tod ihres Herrn und die Enteignung der Burg durch den Shogun zu rechtlosen Ronin wurden, wie die herrenlosen und entehrten Samurai genannt werden. Fürst Asano bekommen auch wir Zuschauer nur noch einmal zu Gesicht. In einer großartigen Szene, die gleichzeitig den Abschied und seinen Weg vor Gericht demonstriert. Die Kamera verändert während des gesamten minutenlangen Geschehens nicht ihren Blickwinkel, der einen Ausschnitt der Straße vor dem Gerichtshof und das Innere des Hofes zeigt. Asano verabschiedet sich vor dem Tor von einem seiner Samurai und tritt in das Innere, um die ihm auferlegte rituelle Tötung anzutreten, während der Samurai weinend zusammenbricht. Ein äußerst emotionaler Moment, den Mizogushi beendet bevor es zur Umsetzung des Urteils kommt.

Das eigentliche Geschehen wird ab diesem Zeitpunkt weg vom Palast hin zu den Samurai und ihrem Anführer Oishi (Chojuro Kawarasaki) verlagert, bei dem es sich um den wirklichen Mittelpunkt der Geschichte handelt. Nach Überbringung der Nachricht an die Samurai, gibt es verschiedene Haltungen unter diesen. Die Einen wollen sich gegen den Befehl des Shogun auflehnen und die Burg verteidigen, doch Oishi kann sie davon überzeugen, dass das nicht der richtige Weg ist, die verlorene Ehre wieder herzustellen. Gemeinsam mit 46 Samurai beschließt er, Kira zu töten. Doch sie wissen, dass dieser von vielen Männern bewacht wird und das es lange dauern kann bis sie Gelegenheit zu ihrer Rache bekommen. So verlassen sie kampflos die Burg und verstreuen sich in alle Winde.

In einer bewegenden Szene vor der Burg sieht man einen ehemaligen Samurai mit seinem minderjährigen Sohn auf Oishi zueilen, um diesem ihre Hilfe beim Kampf anzubieten. Doch Oishi macht ihm klar, dass es keinen Kampf geben wird, aber das er auch nicht daran teilnehmen dürfte, da er dieses Recht durch seinen Austritt verwirkt hatte. Kurz danach sehen wir den Mann sterbend am Boden liegen, nachdem er zuvor seinen Sohn getötet hatte - für ihn kam nur noch der Tod in Betracht.

Was Mizogushi nicht näher erklärt, ist der Fakt, dass Kira nicht nur Unterstützung durch andere Fürsten hatte, sondern auch die ehemaligen Samurai beobachten ließ, da er Angst vor ihrer Rache hatte. Um sein Mißtrauen zu zerstreuen, mussten sie jahrelang einen persönlichen Niedergang demonstrieren. Oishi wird zusammen mit Prostituierten und betrunken am Boden liegend gezeigt, was auch Folgen für sein Privatleben hat.

Seine Frau verlässt ihn und so endet dieser grandiose Film mit einer weiteren unvergesslichen Szene. Das Abschiedsgespräch verläuft ganz ruhig und auch der Fortgang seiner Frau mit seinen beiden jüngsten Kindern, die in Sänften steigen und weggetragen werden, ist fast ereignislos. Aber als sie verschwunden sind, rennt er plötzlich los, um ihnen nachzusehen. Gerade durch die sonstige völlige Kontrolle der Bewegungen und Verhaltensweisen, wirken plötzliche Handlungen emotional sehr stark - ein Gefühl, dass uns vor lauter Action im Kino schon lange abhanden gekommen ist.

Fazit : "Die 47 Samurai - Teil 1" entstand während des 2.Weltkrieges und ist auch als Propagandafilm zu verstehen, indem hier die persönliche Aufopferung der Samurai für die Ehre ihres Herrn als beispielhaft für die japanischen Soldaten demonstriert wird. Interessant ist dabei, dass der Ausgangspunkt dafür in der Ablehnung des Urteils des Shogun lag, was Mizogushi auch ausführlich in seinem Film behandelt.

Gerade diese Komplexität zwischen Befehlsverweigerung und äußerst genauer Einhaltung von Verhaltensweisen selbst bei einem Racheakt, von dem Bewußtsein, erst durch ein Verbrechen (der Tötung Kiras) wieder Ehre erlangen zu können und diese Tat gleichzeitig mit dem Tod sühnen zu müssen, macht Mizogushis Film aus. Indem er sich auf die Gedanken der Protagonisten und ihre Gefühle konzentriert, gelingt es ihm in großartigen Bildern ,diese nicht nur für seine Landsleute ,sondern in ihrer allgemeingültigen Sprache auch für uns Europäer nachvollziehbar zu machen.

Teil 1 wurde in den Kinos kein großer Erfolg, was nicht verwundert, da er sich ausschließlich auf die Entstehung des Dramas und den folgenden Niedergang konzentriert. Er endet am dunkelsten Moment in Oishis Leben und damit gleichzeitig am Wendepunkt der Geschichte(10/10).

Details
Ähnliche Filme