Das typische Grundschulhofgespräch seinerzeit drehte sich um Väter, die einen nach dem durch Karate Kid geweckten Wunsch, eine Kampfsportschule zu besuchen, in den Judokurs des kleinstädtlichen Turnvereins schickten und um die martialischeren Qualitäten eines mit dem fetzigen Titel Karate Tiger bedachten Films. Dieser traf dann mit dem ähnliche Probleme durchstehenden Jason Stillwell (Kurt McKinney) auch genau den Nerv dieser Generation.
Was wußte man schon? Bruce Lee war ein Schlagwort, doch in einer durch die Mittelklasse bestimmten Gegend waren die Eltern zu bemüht um das Wohl ihrer Kinder, als daß man derart brutale Filme schon zu Gesicht hätte bekommen können. In der ohnehin noch anders funktionierenden Rezeption mischten sich also Legenden, Gerüchte und Spielplatzkampftechniken mit Kunststoffshuriken und -nunchaku vom Jahrmarkt mit dem zugänglichen Angebot an Martial Arts Filmen.
Als der hongkonger Produzent Ng See Yuen den durchaus als erfahrenen Profi zu bezeichnenden Corey Yuen in der Regie besetzte und beide mit Keith W. Strandberg das Drehbuch entwickelten hatten sie vermutlich auch eine derartige Zielgruppe angestrebt. Mit dem übermäßigem Erfolg hatten sie aber bestimmt nicht gerechnet, denn trotz seiner Unzulänglichkeiten ist Karate Tiger zum Kult gewachsen, dessen Neuveröffentlichungen heute noch vehement nachgefragt werden.
Der Glücksgriff bei dieser asiatisch-amerikanischen Co-Operation gelang dem Team mit dem jungen Belgier Jean-Claude van Damme, der in seiner antagonistischen Rolle frei nach Rocky IV den Russen Ivan Kraschinsky mimen sollte. Dieser beeindruckte mit seiner rücksichtslosen Darstellung das junge Publikum, welches damit als Nebeneffekt ikonisierend auf die folgenden Karate Tiger 3 - Der Kickboxer und Bloodsport vorkonditioniert wurde und bescherte dem Film mit steigendem Bekanntheitsgrad außerdem zusätzliche Aufmerksamkeit.
Es mag Van-Damme-Fans mißfallen, daß ihr Idol hier nur als Nebenfigur Verwendung findet. Für die Mixtur ist dies jedoch unerläßlich. Ein weiterer klarer Einfluß ist nunmal der ungemein erfolgreiche Karate Kid, was ja letztlich auch die Brücke zur jüngeren Generation schlug. Jason zieht dabei von Los Angeles nach Seattle, nachdem sein Vater (Timothy D. Baker) von düsteren Gestalten bedroht wurde, die seinen Dojo übernehmen wollten. Die sehr passive Einstellung untermauert nochmals den Konflikt zwischen Vater und Sohn, bei dem Mr. Stillwell überhaupt nichts vom Bruce-Lee-Gepose Jasons hält.
In Seattle eingetroffen bleibt kein Auge trocken - oder besser kaum eine Schublade geschlossen. Scott (Kent Lipham), der dicke, verwöhnte Junge von nebenan wirft ein mürrisches Auge auf den Neuling, während der dem phäomelanin-armen Typ zuzuordnende Aushilfs-Michael Jackson R.J. (J.W. Fails) nach kurzer Hilfestellung die Gelegenheit zu einer Breakdance und Rap Performance nutzt. Nachdem Scott Gerüchte über Jason verbreitet hat, geraten er und R.J. ins Fadenkreuz der Seattle Sidekicks, was gleichwohl Jasons Flirt mit Kelly Reilly (Kathie Sileno) im Wege steht, deren Bruder Ian (Ron Pohnel) der örtliche Karate Champ und Dojo Leiter ist. Zur Prügelei gezwungen kommt daheim wiederum der frustrierte Mr. Stilwell zum Zuge, der Jason seine Bruce Lee Verehrung untersagt. Sack und Pack in einem leerstehenden Haus untergebracht, kommt das Idol in Form eines Geistes (Kim Tai Chung) dem Teenie zur Hilfe und kann mit ein paar Ratschlägen das Training aufbessern, was Jason in Folge ermöglicht, sich positive Reputation zu verschaffen, Kraschinsky zu vermöbeln und damit gleichwohl seinen Vater zu rächen. Legendär dabei die grob auf dem One Inch Punch basierende Erläuterung 'Wenn sich deine Schulter bewegt, dann sehe ich das!' und die sehr frei mit Diet Coke interpretierten Wasser-Metaphern des Meisters.
Allen Unkenrufen zum Trotze, Kim Tai Chung würde Bruce Lee überhaupt nicht ähnlich sehen, ergibt diese späte Bruceploitation sogar mehr Sinn als manch andere solche Machwerke, war Chung doch bereits in Mein letzter Kampf als Lee Double unterwegs. Wie man sowas dann mit einem Sequel nochmal ausschlachten kann, wissen die beiden Yuens auch ganz gut, weshalb die Besetzung rückblickend ganz und gar nicht überrascht. Chungs Auftritt selbst läßt sich wohl am ehesten als Verbildlichung der Erkenntnis verstehen, eine Art Kuß der Muse, der Jason in schwerer Stunde ereilt.
Aus heutiger Sicht interessant ist die Mischung von typischer Hongkong Machart mit der amerikanischen Coming-of-Age-Komödie - einem freundlichen Synonym für pubertären Schwachfug. Die asiatischen Einflüsse scheinen in Karate Tiger nämlich recht deutlich durch, sind lediglich limitiert durch die Fähigkeiten der westlichen Darsteller. Allen voran ist Kurt McKinney zwar durchaus sportlich, aber kein Meister der fernöstlichen Kampfkunst. Während er aber für die Liegestütze auf zwei Fingern an Drähten auf und nieder gezogen wurde, verlangte Corey Yuen von ihm für den gesprungenen Kick mit gefesseltem Fuß persönlichen Einsatz. So läuft das in Hongkong, wenn der Darsteller es nicht kann, dann plumpst er eben solange hin, bis er kann. Hat ja auch funktioniert.
Seine Inspiration bezieht diese Kicktechnik übrigens aus Der Mann mit der Todeskralle. Auch Gestik und Mimik speziell im Endkampf sind Bruce Lee Trademarks, wie zum Beispiel das Ausziehen der Jacke und das Wischen durchs Gesicht. Weitere Parallelen lassen sich zu Todesgrüße aus Shanghai finden, wo es einen Konflikt zwischen einer japanischen und einer chinesischen Kampfsport Schule gibt und wo Bruce Lee sich von der defensiven Einstellung seiner Schule löst, um sich zu wehren. Ein Syndikat gibt es ausserdem in Die Todeskralle schlägt wieder zu. Genau genommen ziehen sich Schüler-Meister Geschichten ja sowieso durch einen Großteil der Hongkongfilme.
Schundvorwürfe lassen sich insgesamt damit leider nicht ausräumen. Die Figuren werden kaum bis überhaupt nicht entwickelt und würden Mr. Stillwell und Bruce Lee nicht auf den alleinigen Zweck von Karate als Verteidigung hinweisen, so wäre die Neigung zur Selbstjustiz für junge Heranwachsende kaum noch tauglich. Auf die Idee, die Polizei zur Hilfe zu rufen kommt hier nämlich niemand. Hier gilt nur 'No retreat, no surrender!', wie R.J. in der englischen Fassung getreu dem Originaltitel anzufeuern weiß. Zahlreiche Filmfehler deuten ebenso darauf hin, wie wenig Mühe im vollendeten Werk steckt. Zum Schießen auch die kleinen Details am Rande, wie dem schnurrbärtigen Grimassenschneider im Hintergrund, als Jason im Dojo von seinem Vater zurecht gewiesen wird. Die größte Frage bleibt wohl am Ende, seit wann Bruce Lee Karate unterrichtet. Die deutsche Synchronisation setzt insbesondere bei Scott und dem übersetzten Rap von R.J. der unfreiwilligen Komödie noch die Krone auf. Damit verknüpfen sich Kindheitserinnerungen und das war für manch Zeitgenossen wohl auch mit der Einstieg in eine B-Film Leidenschaft. Die heutige Rezeption verbessert sich durch diese Faktoren wesentlich, so daß gute neunzig Minuten wie im Fluge vergehen.
Während sich Amerikaner mit einem anderen Soundtrack und dem deutlich schlechteren Titelsong 'Stand on Your Own', gesungen von Joe Torono, abfinden mußten, durfte das deutsche Publikum sich von Beginn an der Hymne 'Hold on to the Vision' erfreuen, welche von Kevin Chalfant interpretiert wurde, der später zeitweilig auch für Journey und Alan Parsons gesungen hat. Dieses Lied ist ein weiterer Kultfaktor von Karate Tiger, ist er doch eigentlich gar nicht mal so gut, vor allem im Vergleich mit den Songs von Stan Bush in den folgenden Van Damme Filmen. Über die Jahre des immer wieder Ansehens hat sich das Stück jedoch zu einem solchen Ohrwurm entwickelt, daß eine Tonträgerveröffentlichung schmerzlich vermißt wird. Diese gibt es im Gegensatz zur US Version nämlich nicht. Nun, welch treue Gefolgschaft der Film auch heute noch hat, zeigt sich wohl darin, daß sich zwischenzeitlich Mitglieder eines Forums daran gemacht haben, eine Coverversion zu erstellen, die aufgrund der großen Nachfrage auf CD gepreßt werden mußte. Erstaunlich.
Natürlich darf man Karate Tiger auch nicht-mögen; immerhin dürfte es schwer sein, daß der Film bei dieser zeitbezogenen Gestaltung folgende Generationen noch fesseln kann - vermutlich dann die jüngeren unter ihnen. Actionfans unter den Ablehnern sei dann aber ein Blick auf die folgenden Teile der Serie empfohlen, die der deutsche Vertrieb Ascot nach eigenem Gusto aus nicht untereinander zusammenhängenden Filmen erstellt hat. Diese sind dann auch weit weniger für ein junges Publikum geeignet. Darunter Filme anderer Reihen wie eben Kickboxer oder Best of the Best. Auch die Produktionsfirma Seasonal bastelte nach dem Erfolg eine lose No Retreat, No Surrender Serie, die sich nur zum Teil mit dem deutschen Pendant deckt. Doch auch wer gerade den infantilen Trashfaktor schätzt, hat noch Hoffnung. Karate Warrior aus dem sonnigen Italien kann insbesondere mit seinem zweiten Teil einen ähnlich hohen Unterhaltungsgrad aufweisen und ist mit seinem comichaften Dragonpunch in bester Street Fighter II Manier ein Kult für sich.
Warum solche Filme nicht mehr gedreht werden? Nun, die 80er sind vorbei, Zeiten ändern sich. Vielleicht würden wir uns sonst gar nicht an solchen Kleinoden erfreuen, die ein Refugium der behüteten Kindheit in der erwachsenen Welt bilden. Ob andere später wohl nostalgisch auf die Power Rangers, Pokémon oder High School Musical zurückblicken?