Je weiter die Handlung in „Babycall" (2011) voranschreitet, desto sicherer ist man, dass die groß vorbereitete Auflösung der Geschichte den Zuschauer zwangsläufig enttäuschen muss. Zwischendrin kreiert Regisseur Pal Sletaune zwar eine Handvoll veritabler WTF-Momente und schafft eine durchaus beklemmende Atmosphäre, leider gerät der Mittelteil aber trotzdem reichlich zerfasert, tempo- und spannungsarm und krankt zudem an einer Story, die sich darin genügt beschränkt, ständig neue Rätsel aufzuwerfen. Selbst Noomi Rapace, deren natürliches Spiel für einige Spannungshänger entschädigt, kann da am Ende nicht wirklich etwas rausreißen.
Um ihren gewalttätigen Ehemann zu entkommen, sucht die labile Anna (Noomi Rapace) mit ihrem Sohn Andres (Vetle Qvenild Weering) Schutz in einer anonymen Hochhausiedlung. Über ein interferierendes Babyphone, das sie aus Fürsorge für ihren Sohn gekauft hat, belauscht sie ein vermeintliches Verbrechen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Aus Sicht der Schulbehörde und des Jugendamtes, die Andres Entwicklung überwachen, gilt sie aufgrund ihres zunehmend wahnhaften Verhalten jedoch bald als eigentliches Problem.
„Babycall" (2011) wird gerne als Mindfuck-Movie missverstanden. Dieses Thriller-Subgenre bezieht seine Wirkung in erster Linie daraus, dass der gesamten Film sklavisch um einen finalen Plottwist herum konstruiert wird. Dieser überrascht den Zuschauer im Optimalfall komplett aus dem Nichts und stellt die Handlung komplett auf den Kopf stellt. Vor allem Ende der postkulturellen 1990er-Jahren war dieses Erzählprinzip äußerst populär und brachte populäre Filme wie „Die üblichen Verdächtigen" (1995), „Twelve Monkeys" (1995), „The Game" (1998), „The Sixth Sense" (1998), „Arlington Road (1999) „Fight Club" (1999) und „Identität" (2003) hervor. Diesen Plottwist gibt es zwar auch in „Babycall", allerdings macht Regisseur Pal Sletaune von Beginn an keinen Hehl daraus, dass er irgendwann kommen wird. Sein Konzept zielt im Gegensatz zu den angeführten Beispielen also nicht darauf, den Zuschauer unvorbereitet zu treffen, sondern, ihn über die Art der Auflösung rätseln zu lassen.
Dazu wird die Heldin Anna von der ersten Minute als labiles Psychowrack gezeichnet, die mehr als einmal explizit betonen darf, dass man ihrer Wahrnehmung keinen Glauben schenken sollte. Über einen gewissen Zeitraum entfaltet dieses Spiel sogar einen gewissen Reiz, zumal dem Zuschauer regelmäßig und recht geschickt eingeflochtene Hinweise über einen möglichen Ausgang der Geschichte gereicht werden. So erfrischend und aufrichtig dieses Spiel mit offenen Karten innerhalb eines Psychothrillers zu Beginn wirkt, so sehr erweist es sich alsbald als Boomerang. Es verhindert einerseits, dass Anna als Identifikationsfigur infrage kommt, anderseits wirft es den Zuschauer immer wieder aus der Geschichte, da er ständig auf Dechiffrierung gepolt wird und sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr wirklich auf die eigentliche Handlung einlassen kann. Darunter leiden dann auch zwangsläufig die Spannungssequenzen, in denen der Zuschauer eher darüber rätselt, ob diese Momente nicht nur einer Kopfgeburt der Protagonistin entstammen. Zudem fällt Sletaune im Verlauf des zweiten Aktes auch schlicht zu wenig Spannendes oder Originelles ein, um den Zuschauer bis zum finalen Twist wirklich fesseln zu können. Das eint „Babycall" (2011) dann wieder mit einem Großteil der angesprochenen Mindfuck-Movies, die sich oft allzu sehr auf die Wirkung ihrer finalen Enthüllung verlassen und darüber das Geschichtenerzählen vergessen. So straff und effizient die Story zu Beginn erzählt wird, so fragmentarisch entwickelt sie sich im Verlauf des zweiten Aktes. Zudem bereichern einzelne Substory, etwa um die Beziehung zwischen Fachverkäufer Helge und seiner todkranken Mutter den Hauptplot nicht wirklich und evozieren Verwirrung statt Erkenntnis. Aber das mag durchaus Methode haben. Tatsächlich beschränkt sich Sletaune bis zum Ende weitgehend darauf, den Zuschauer durch das Kreieren rätselhafter Situationen bei der Stange zu halten. Ein Prinzip das am Ende auch die Mystery-Serie „Lost" (2004-2010) zum Einsturz brachte. Bei diesem Haufen Fragen muss die Auflösung fast zwangsläufig enttäuschen und ist darüber hinaus auch nur mäßig originell. Dagegen ist am Ende auch eine intensiv aufspielende Noomi Rapace in ihrer letzten Rolle vor ihrem Gang nach Hollywood weitestgehend machtlos.
„Babycall" bleibt am Ende eher durchschnittliche Psychothriller-Kost. Wer es durch den mitunter quälend langsamen Mittelteil schafft, wird immerhin mit einer durchgehend beklemmenden Atmosphäre und einer toll aufspielenden Noomi Rapace belohnt. Nicht allerdings mit einer vollkommen schlüssigen Pointe.
Daran werde ich mich erinnern: Das Setzkastenhochhaus.