Nachdem der schwedische Regisseur Mikael Håfström in seinem Heimatland Erfolge feierte, durfte er nach Hollywood, wo sein ambitioniertes Debüt „Entgleist“ an der Kasse baden ging, woraufhin er sich auf Genreware wie „Zimmer 1408“ oder „The Rite“ verlegte.
Sein 2011er Exorzistenfilm lässt aber die größeren Ambitionen erkennen, nimmt sich der fast zwei Stunden lange Film doch erst einmal ordentlich Zeit seine Hauptfigur, den Bestattersohn Michael Kovak (Colin O’Donoghue), vorzustellen. Seitdem er als Kind seine Mutter verlor und dazu noch sah wie sein Vater Istvan (Rutger Hauer) die Verstorbene präparierte, ist er von der Ereignissen traumatisiert und will insgeheim nur noch weg von seinem Heim. Der Ausweg: Ein Studium als Priester, nach dessen Ende er aber nicht den Eid ablegen will – ein Abschluss ohne späteres Zölibat, so der Plan des anfangs zweifelnden Helden.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, denn gerade als Michael sein Studium abgeschlossen hat, bringt ihn ein unerwartetes Ereignis (er muss einer Sterbenden das letzte Geleit geben) wieder näher an den Glauben heran, trotz aller Zweifel. Sein Mentor, Vater Matthew (Toby Jones), schickt ihn nach Rom zu einem Seminar über Exorzismus – eine Art Schocktherapie quasi: Wer das Böse der Hölle sieht, der wird im Umkehrschluss gar nicht anders können als an den Himmel zu glauben.
In Rom lernt Michael nicht nur die Journalistin Angeline (Alice Braga) kennen, welche am Kurs teilnimmt um einen Artikel darüber zu schreiben, sondern wird von Vater Xavier (Ciarán Hinds) auch zu Vater Lucas Trevant (Anthony Hopkins) geschickt, einem renommierten Exorzisten. Michael soll diesen bei seinem neusten Fall, der Besessenheit einer jungen Schwangeren, helfen…
Anthony Hopkins alias Hannibal Lecter als Priester – damit spielt „The Rite“ gern, erweist sich der Geistliche nicht nur als unkonventioneller Glaubensmann, sondern offenbart auch dunkle Seiten. Natürlich darf man Hopkins nicht auf seine Paraderolle reduzieren, oft spielt er ja auch sanftmütige Charaktere, doch mit dieser Mischung aus Friedfertigkeit und unterschwellig Bedrohlichem hat Hopkins hier schauspielerisch die Trumpfkarte. Colin O’Donoghue ist ein guter Hauptdarsteller, aber keine Konkurrenz für Sir Anthony, weshalb er in seinen Szenen ohne den Pater-Kollegen punkten. Alice Braga ist okay, aber mehr auch nicht, Ciarán Hinds kann in seinen wenigen Szenen gut aufspielen und dann ist da natürlich noch Rutger Hauer: Ein verschrobener, irgendwie auch liebender Vater, aber mit dunkler Seite, die man von Hauers Performances in Filmen wie „Hitcher“ und „Blind Side“ kennt, was auch sein Spiel hier recht reizvoll macht.
Schon diese schauspielerische Parallele zwischen Lucas und Istvan verdeutlicht, dass beide Vaterfiguren für Michael sind: Der junge Priester auf der Suche nach einem Platz im Leben, dem Heim ist er entflohen, doch der Ersatzvater in Rom ist dem leiblichen gar nicht so unähnlich. So versteht sich „The Rite“ auch als Selbstfindungsgeschichte über den jungen Mann am Scheideweg: Die Journalistin bedeutet romantische Attraktion und damit eine Abkehr von Kirche und Zölibat, auf der anderen Seite steht der Kampf gegen die Dämonen für höhere Ziele und zwischen genau diesen Polen muss sich Michael entscheiden.
Natürlich steht besagte Entscheidung erst am Ende des Films und bis dahin ist erstmal reichlich Exorzismus angesagt. Håfström spielt dabei nicht ganz so gut mit den Emotionen des Zuschauers wie Friedkins Urvater dieses Subgenres, aber immer wieder sorgen effektiv gesetzte Schocks, das Wüten des zu exorzierenden Dämons und verzerrte Fratzen für Erschrecker. Auch sonst kann „The Rite“ mit düsteren Bildern und phantasievollen Ausgestaltungen der Dämonen-Tricks aufwarten, die über reine Schocks hinausgehen: Maultiere mit feuerroten Augen, ein Telefongespräch, das es in der Form gar nicht gegeben haben kann, die Übernahme von Personen, welche der Jungexorzist sicher glaubte – auch auf unterschwelliger Ebene versucht Håfström Unwohlsein beim Zuschauer zu erzeugen.
Doch letztendlich ist „The Rite“ etwas unausgewogen in der Balance seiner Elemente: Persönliches Drama plus Debatte über die wahre Natur des Exorzismus (oft wurden ja Krankheiten als dämonische Besessenheit fehl diagnostiziert) plus massiv dämonischer Budenzauber für die Genrefraktion – da haben sich der Film und seiner Regisseur etwas viel vorgenommen und daran krankt das Endergebnis auch etwas. Alles ist da, nichts ist wirklich schlecht ausgearbeitet, aber nichts auch hundertprozentig überzeugend, weshalb der Film hier und da hängt, bei der Verschlankung auf weniger Themen wahlweise mehr Drive oder mehr Tiefe besitzen würde.
Und doch muss am zugeben, dass „The Rite“ ein durchaus spannender, handwerklich gut in Szene gesetzter Beitrag zum Subgenre des Exorzistenfilms ist, in dem seit Friedkins Klassiker nur noch wenige Filme (wie der deutsche „Requiem“) tatsächlich etwas Neues zu erzählen hatten. Vergnügliche, angenehm gruselige 110 Minuten bietet Håfströms Film trotz einiger Hänger jedenfalls und gut ausgearbeitete Figuren noch dazu, nur die Mischung aus Reflektion über und Bedienung von Genre-Elementen stimmt hier nicht so ganz.