Sehr geschickt verrichten seine Hände ihre Arbeit - sie lassen die Nadel gleiten, reinigen sensibel, füllen Hohlräume und glätten die Kleidung, bis die Frauenleiche perfekt präpariert ist. Sein Blick fällt noch auf den kleinen tätowierten Teufel an ihrem Bein und die Kette mit dem Frosch und dem Auge, dann geht Michael (Colin O'Donoghue) aus der Leichenhalle zu seinem Vater (Rutger Hauer) in die Küche, die nicht weniger steril und leblos wirkt.
Seltsam lebendig wirkt dagegen die Szene, in der Michael zusammen mit seinem Freund Eddie (Chris Marquette) mit einem Bier in der Hand seinen Abschied feiert. Dieser will gar nicht begreifen, dass Michael Theologie studieren will, um Priester zu werden - schon gar nicht, angesichts der hübschen Kellnerin, die ihr baldiges Kommen ankündigt. Doch dieser Moment bleibt im Film ebenso einmalig, wie Eddies kurzes Auftreten, denn ab sofort wird Michaels Leben von der Kirche bestimmt, von dunklen Räumen und langen Gängen, vom Kampf um seinen Glauben und dem Teufel, der in Gestalt eines Dämons in die Menschen hinein schlüpft. Michael wollte mit seiner Wahl, Priester zu werden, der Familientradition als Leichenbestatter entkommen und damit dem Tod, aber das stellt sich als Illusion heraus...
Um es vorweg zu nehmen - in "Das Ritual" geht es um die Auseinandersetzung eines angehenden Priesters mit seinem Glauben, denn auf Grund seines Zweifels an der Existenz des Teufels, zweifelt er auch an Gott. Nicht nur durch die Betonung des Films, auf wahren Ereignissen zu beruhen, bleibt die Nähe zur katholischen Kirche jederzeit offenkundig, auch die sonstigen Geschehnisse basieren auf deren Grundprinzipien, die im Film keinen Moment kritisch betrachtet werden. Dazu gehört auch der Exorzismus, der im Vatikan geschult wird, weshalb Michael von seinem Lehrer, Pater Matthew (Toby Jones), für zwei Monate nach Rom geschickt wird, nachdem er erfahren hatte, das sich der Student der Theologie gegen die Priesterweihe entscheiden will. Erst, wenn Michael nach diesem Lehrgang bei dieser Entscheidung bliebe, würde er sie akzeptieren.
Wer eine solche Grundthematik ablehnt, sollte sich "Das Ritual" sparen - doch darüber hinaus entwickelt der Film eine langsame sogartige Wirkung, die ihren Schrecken aus einem Szenario heraus entwickelt, dass von einer bösartigen Dunkelheit geprägt wird, die über dem gesamten Geschehen liegt. Wirkliche Lebensfreude entwickelt der Film nie - weder im Vatikan, wo Pater Xavier (Ciarán Hinds) seine Vorträge über den Exorzismus hält, noch bei Pater Lucas (Anthony Hopkins), der diesen aktiv betreibt. Die wenigen, kurzen Momente, wenn etwa die Journalistin Angeline (Alice Braga) mit Michael im abendlichen Rom einen Kaffee trinkt, betonen die sonst ständige Ernsthaftigkeit noch in einer Weise, dass man sie schon fast als Kritik begreifen könnte. Als Werbung für das katholische Priesteramt ist "Das Ritual" trotz seines sympathischen Protagonisten nicht misszuverstehen.
Die Identifikation mit ihm gelingt dagegen problemlos, denn Michaels skeptische Haltung gegenüber dem Exorzismus ist sehr nachvollziehbar. Geschickt nimmt der Film in der Person des jungen Mannes die Haltung des Betrachters ein, der natürlich nicht an einen Dämon glaubt, als er mit der 16jährigen hochschwangeren Rosaria (Marta Gastini) konfrontiert wird, die von dem etwas seltsamen Pater Lucas behandelt wird. Ganz offensichtlich wurde diese von ihrem Vater missbraucht, weshalb ihr Verhalten sich durch diese traumatische Erfahrung erklärt. Michael ist regelrecht empört darüber, dass Rosaria keine psychotherapeutische Behandlung erhält, weil Lucas sie nicht für krank hält, sondern von einem Dämon besessen. Auch die kleinen Taschenspielertricks des alten Priesters können ihn nicht überzeugen.
Doch als er Rosaria bei einem weiteren Treffen mit der kleinen Kette konfrontiert, die er bei der von ihm präparierten Toten vor Jahren gefunden hatte, reagiert diese darauf mit Worten in seiner Sprache, gesprochen von einer fremdartig klingenden Stimme. Immer noch wehrt sich Michael dagegen, an einen Dämon oder den Teufel zu glauben, aber die Bösartigkeit nimmt zu. Seine Spannung gewinnt der Film daraus, dass er nie zu konkret wird und seine Protagonisten gleichzeitig mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, so dass es nie ganz deutlich wird, ob es sich bei den Geschehnissen um Fantasievorstellungen oder Realität handelt. Wer hier typische Horrorvisionen erwartet, wird enttäuscht werden, denn der Film entwickelt seinen Horror von innen heraus.
Allerdings verzichtet "Das Ritual" dabei nicht auf zwei Elemente, die zwar den Effekt steigern, dem Film aber etwas von seiner Individualität nehmen. Da ist zum Einen die Musik, die die Szenen manchmal unnötig betont, zum Anderen Anthony Hopkins, der lange Zeit zurückhaltend bleibt, aber am Ende wieder in seinen "Hannibal Lector" - Modus schlüpfen darf. Das ist nicht völlig unpassend und verfehlt auch nicht seine Wirkung, verleiht dem Film aber letztlich eine übertriebene Assoziation.
Insgesamt hinterlässt "Das Ritual" einen zwiespältigen Eindruck - sehr gut gespielt, atmosphärisch dicht und in seinem Spannungsaufbau überzeugend, ohne typische Elemente zu bedienen, im Detail manchmal etwas zu effekthascherisch und in seiner Anspielung auf reale Ereignisse unnötig an der katholischen Kirche orientiert (7/10).