Seit Hanna (Ronan) auf der Welt ist, trachtet die Agentin Marissa (Blanchett) nach ihrem Leben. Erik Heller (Bana) rettete das Neugeborene in die abgelegenen Wälder im ewigen Eis, in Sicherheit vor dem Zugriff der zielstrebigen Agentin. An einem abgelegenen Ort in Finnland unterwies er Hanna seit ihrer Kindheit in Überlebenstechniken. Nun ist Hanna herangewachsen und mitten in den Teen-Jahren. Aufgezogen im Wald, ausgebildet als Jägerin und Nahkämpferin, gelehrt in den wichtigsten Sprachen. Doch in ihrem nun erreichten Alter treibt es Hanna in ein anderes Umfeld, von dem sie bisher so wenig mitbekommen hat. Zwar weiß sie aus dem Lexikon, was etwa Musik ist, hat jedoch zeit ihres Lebens noch keine vernommen. Sie möchte hinaus in die Welt und sie ist bereit dafür. Erik stellt ihr einen Sender zur Verfügung, der die CIA-Agentin auf den einsamen Standort hinweist. Der Sender ebnet Hanna nicht nur den Weg in die erwünschte, zivilisierte Welt, sondern ermöglicht auch die Konfrontation mit dem Schicksal, auf das sie die ganzen Jahre vorbereitet wurde.
Hanna aktiviert den Sender und findet sich kurze Zeit später in einem unterirdischen Gefängnistrakt wieder. Es ist ihre Mission, ihr Schicksal zu erfüllen und zu einem mit ihrem Vater vereinbarten Treffpunkt in Berlin zu gelangen.
Bildungsurlaub
Hanna ist zwar sehr gut ausgebildet in Techniken des Kampfes und ihr angelesenes Wissen ist enorm, jedoch fehlt es ihr an Praxis und Nähe zur Welt. Ihr mangelt es an sozialer Kompetenz und auch an Wissen um die Technik der gegenwärtigen Zeit. So muss sie Fernsehen und elektrisches Licht erst noch mit großen, neugierigen Augen kennenlernen. Ein zentrales Element der Erzählung ist jedoch erwähnte Musik. So spielt der Film seine inhaltsgebende Reise auch musikalisch durch. Sie erhört Musik verschiedenster Art, religiöser, festlicher und klassischer Natur und erfährt daraus auch, welche Emotionalität man damit ausdrücken kann. Die Musiken sind lokal ihrer Reise angepasst. Ihre Reise startet in einem islamisch geprägten Land, wo der Gesang religiös ausgelegt ist. Im Verlauf bekommt man auch eine kleine Darbietung von spanischen Gitarrenklängen zu hören. Der Film beinhaltet einen Strauß von Musiken, so viel Musik hätte sich Hanna nicht erwünschen können, auch wenn es für sie keine tiefere Bedeutung bekommt.
Jedoch ist der Fokus auf die Musik, die die Entdeckungsreise von Hanna zeichnet, nur ein Element des suggestiven Geschehens. Denn was Hanna eigentlich beinhaltet, ist eine erstaunliche Mixtur aus humorvollen Erzähl- und einem Spektakel von Actionkino. Der Zuschauer begleitet Hanna, wie sie sich mit rabiaten und geschickten Methoden aus den Fängen der Behörden windet und sich dann auf den Weg macht zu dem mit ihrem Vater vereinbarten Treffpunkt. In der Machart eines Agentenfilms gestaltet, tritt sie eine Reise zur Erkenntnis ihres Daseins an.
Wo James Bond einfach ein Reiseziel anfliegt, mit Angabe des Ortes der Geschehnisse, so lässt „Hanna“ dies hier völlig im Dunkeln, denn Hanna weiß das selbst nicht so genau. Eine der schönsten Sequenzen ist hier die Flucht aus dem CIA-Komplex unter der Erde. Danach führt sie ihr Weg durch eine Steinwüste und während der Zuschauer sich noch wundert, wo das Mädel nun eigentlich unterwegs ist, bekommt man weitere Bruchstücke des Ortes gezeigt, bis man schlussendlich im städtischen Zusammenhang gesagt bekommt, wo sie sich eigentlich befindet. Und so erfährt Hanna, wo sie sich befindet und hat die passende Sprache parat.
Die Coming-of-Age-Geschichte über die reife Hanna, die sich ihrem vorbestimmten Schicksal stellt, ist sehr humorvoll und spaßig erzählt. In diesem Zusammenhang wird auch die Kaspar Hauser-Komponente verarbeitet, die ein Mädchen portraitiert, das aus dem ewigen Eis in ein Umfeld mit elektrischem Licht geworfen wird, was die Kämpferin fast zu überwältigen droht. Der einzige Wertekanon, der ihr mitgegeben wurde, sind die Märchen der Gebrüder Grimm, die ihr eine Vorstellung von der Welt vermitteln. An dem Beispiel einer Familie, deren Reise Hanna nutzt, um auf ihrer eigenen Mission weiterzukommen, wird wiederum ihre seelische Entwicklung gezeigt. Das mit-erlebte Familienleben wird von ihr eingehend studiert und mit großen Augen aufsaugt, so als würde sie etwas über das Verhalten lernen. Das Element der Weltferne, die das Kaspar-Hauser-Mädchen an den Tag legt und wie sie damit zurechtkommt, trägt massiv zur Sympathisierung mit der Protagonistin bei, was sich für die Story als sehr wertvoll erweist. Und letztlich ist die Szene unbezahlbar, als sie der Familie auf dem Campingplatz zum Frühstück zwei frisch gehäutete Kaninchen hinknallt.
Suggestivkino
Das Wissen um die Zusammenhänge, der Orte, der eigentlichen Hintergründe, bleibt dem Zuschauer immer bis auf den letzten Drücker unbekannt. Man wird auf dem Wissensstand gehalten, den auch Hanna dargereicht bekommt. Auch wenn man als Zuschauer vereinzelt Eindrücke von Blanchetts Charakter zu sehen bekommt, bekommt man keinen Wissensvorsprung vor dem Geschehen eingeräumt. Doch dieses Rätselspiel fällt dem Zuschauer faszinierenderweise gar nicht auf.
Was „Hanna“ ausmacht ist das geschickte Spiel mit der Emotion. Dem titelgebenden Charakter entsprechend, richtet sich alle Sympathie auf das Mädchen, das im Verlauf der Erzählung durch zwei Kontinente gehetzt wird. Natürlich kann der Zuschauer nicht anders, als sich emotional an das Mädchen zu binden und mitleidig mitzufiebern. Der Zuschauer wird durchgängig mit der Stärke des Charakters verblüfft und dennoch unterlässt der Zuschauer es nicht, den mitfühlenden Teil der Wahrnehmung anzufeuern, wegen der Dinge, die das ‚arme’ Mädchen durchmachen muss. Der Film täuscht links mitleidig an und versetzt dem Zuschauer einen rechten, herzlosen Haken, denn die Erzählung macht deutlich, dass Emotion vergebene Liebesmüh’ ist. Hanna zeigt im Verlauf des Filmes Grundzüge emotionaler Empfänglichkeit, jedoch niemals ernsthafte Zeichen von Verzweiflung, Angst oder Resignation. Durch die eingehende Erzählweise der Mission und der liebevollen Portraitierung der begleitenden Familie unterstellt der Zuschauer dem Charakter aber genau diese Zustände, da die Situationen es gebieten würden. Jedoch wird das in den Geschehnissen und in den Handlungen von Hanna nie bestätigt. Durch diesen geschickten Kniff, wird „Hanna“ zu einem Unikat des Actionkinos, das von der Erzählung her eigentlich keines ist.
Die Perspektive ist eine bewusst verkehrte. Die ganze Zeit verfolgt man einen Film, dessen Sinn sich nicht völlig erschließt. Im Prinzip hätte es ja zu Beginn nahe gelegen, dass Erik einfach seine Sachen packt und mit Hanna in die Stadt fährt, um ihren Wunsch zu erfüllen. Und man sitzt einige Zeit grübelnd da, was der Budenzauber eigentlich soll; ein Mädchen flüchtet durch die europäischen Lande, zum Treffpunkt mit ihrem Vater, gejagt von gekauften Schergen und einer Sektionsleiterin von der CIA, die aufräumt. Dreht man allerdings entgegen der Sympathie gedanklich die Perspektive auf die CIA-Agentin, wird aus der ganzen Geschichte plötzlich ein Schuh. Dass Hanna diese Methodik der Infiltration, die Sprachen und das Überlebenstraining notwendigerweise mit in die reale Welt bringt, bekommt so erst einen Sinn als Kontrataktik.
Dieses Spiel mit der Suggestion macht den eigentlichen Charme des Filmes aus. Im optischen Kontext werden die Erwartungen des Zuschauers durchgängig bedient. Man bekommt furiose Action, komplex choreographierten, waffenlosen Kampf, eine interessante Heldin und eine zum mitfiebern einladende Erzählung. Andererseits werden die inhaltlichen Erwartungen des Zuschauers konsequent gebrochen, da er das Wissen über die Zusammenhänge erst im Verlauf der Geschehnisse vermittelt bekommt und die wahren Zusammenhänge sich mit der Suggestion nicht decken. Mit der Emotion des Zuschauers wird gespielt - Hanna fehlt so etwas. Und letztlich ist es nicht nur der Erzählung egal, was aus der freundlichen Familie wird.
Was vom InterRail-Ticket übrig blieb
Im Gegensatz zu den musikalischen Inhalten, funktionierte der Score von den Chemical Brothers nur leidlich gut. Ähnliche Experimente mit Künstlern aus dem elektronischen Segment klappten ja etwa bei „Tron: Legacy“ mit Daft Punk ganz prima, die einen fast epischen Score produzierten. Das funktioniert hier mit den Chemical Brothers nur ansatzweise. Als Untermalung etwa für die actionreichen Kampfszenen eignen sich die gebrochenen Beats nicht sonderlich gut und bringen keinen rechten Fluss in den Ablauf. Bis auf einige lichte Momente lässt sich dieser Eindruck auch nicht relativieren. Vielleicht soll man das aber auch als bewussten Bruch mit der musikalischen Reise betrachten.
Würde man einen Streifen erwarten, der die Schnittgewitter des aktuellen Kinos mit sich bringt, so liegt man hier falsch. Die Erzählung ist sauber und ruhig gehalten. Die Action ist zwar stellenweise richtig flott, bleibt aber übersichtlich und ruhiger als man erwartet. Die Kameraarbeit insgesamt ist ganz phantastisch, die Motive und Szenen sind sorgfältig gewählt. Besonders schön konzipiert erscheinen mir die Sets des Filmes. Manche haben einen gewissen Wiedererkennungswert, wie zum Beispiel das Filtergewölbe im Wasserwerk Friedrichshagen in Berlin, das schon einmal für „Aeon Flux“ genutzt wurde. Besonders schön ist der Showdown im Spreepark, ebenso in Berlin, der als verlassenes und verkommenes Setting für das Finale einen stimmungsvollen Hintergrund liefert. Die Regie durch Joe Wright, der in der Vergangenheit mehr mit den Literaturumsetzungen „Abbitte“ und „Sinn und Sinnlichkeit“ auffiel, arbeitet mit ruhiger Hand und liefert einen entsprechend ruhig erzählten Film, der kein Spannungstief aufweist.
Sehr viel Spaß machen die Leistungen der Darsteller. Gleich vorneweg besticht Saoirse Ronan mit einer konsequenten Darstellung ihrer Hanna. Keine sehr einfache Aufgabe, die Dimensionen zwischen der Mission und des Erlebens der Welt so richtig zusammenzubringen, aber ihr gelingt es ganz beschaulich; auch mit dem gänzlich hellblonden Schopf, der sie von der Erscheinung schon kalt wirken lässt. Ihre Fähigkeiten im Nahkampf werden durch die gekonnte, aber auch recht grundsätzliche Choreographie effizient in Szene gesetzt. Eric Bana spielt zwar eine wichtige, aber etwas untergeordnete Rolle, die ihm nur am Anfang und gegen Ende Raum zubilligt, den er jedoch perfekt füllt. Als wunderbare Gegenspieler von Hanna trumpfen Cate Blanchett und Tom Hollander auf. Blanchett bringt die zielstrebige CIA-Agentin Marissa, deren Persönlichkeit der von Hanna recht ähnlich ist, plastisch auf den Screen und gibt eine herrlich psychotische Erzfeindin ab. Tom Hollander als angeheuerter Scherge, der mit zwei Skinheads auf Europatour geht, brilliert mit hässlichen Sportanzügen und einer Darstellung, bei der man nie genau weiß, ob seine nächste Handlung nicht vielleicht doch ein Akt der Gewalt ist.
Unbedingt anschauen.
Hanna: „I just missed your heart.“