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„Wer bin ich?" ist eine Frage, die sich vermutlich jeder schon einmal gestellt hat. Dieses häufig eher entspannte Sinnen über die eigene Rolle im Leben hat allerdings nichts gemein mit der panischen Verwirrtheit die Dr. Martin Harris zur Auseinandersetzung mit sich selbst treibt.

Kurz nach seiner Ankunft in Berlin hat der amerikanische Biochemiker (Liam Neeson) einen Autounfall, der ihm ein 4-tägiges Koma beschert. Als er in sein Hotel zurückkehrt, gibt sich ein anderer Mann (Aidan Quinn) für ihn aus. Und dessen „Echtheit" scheint außer Frage zu stehen. So besitzt er nicht nur einen gültigen Pass und entsprechende berufliche Referenzen, auch seine mit angereiste Ehefrau (January Jones) bestätigt seine Identität und schwört den eben aus dem Koma Erwachten noch nie zuvor gesehen zu haben. Als er gerade noch einem Mordanschlag entkommt, kann Harris zumindest die Theorie vom sich langsam ausbreitenden Wahnsinns zu den Akten legen. Mit Hilfe einer einheimischen Taxifahrerin beginnt er daraufhin auf eigene Faust Licht in das Dunkel seiner Existenz zu bringen ...

Natürlich denkt man bei diesem Szenario sofort an Alfred Hitchcock und dessen Faible für Paranoia-Thriller. Auch Roman Polanskis Hitchcock-Hommage Frantic scheint kräftig Pate gestanden zu haben für die amerikanisch-deutsche Coproduktion Unknown Identity. Hier wie dort gerät ein braver US-Bürger in einer ihm fremden europäischen Metropole in ein unübersichtliches Dickicht aus Wahrheit und Lüge, bei dem Einbildung und Realität miteinander zu verschwimmen drohen.

Filme dieser Art laufen leicht aus dem Ruder, da die Drehbuchautoren bei all den Verwicklungen und Wendungen gerne mal selbst den Überblick verlieren und den Zuschauer entweder mit kratergroßen Logiklöchern, oder einer völlig abstrusen und hanebüchenen Geschichte nerven. Unknown Identity hebt sich hier wohltuend ab. Wer über die ein oder andere kleinere Ungereimtheit und einen genrebedingt konstruierten Grund-Plot hinwegsehen kann, wird für knapp zwei Stunden bestens unterhalten und mit einer Auflösung belohnt, die nicht nur endlich mal wieder überraschend daherkommt, sondern auch die (meisten der) im Verlauf des Films auftretenden Fragen zufriedenstellend beantwortet.

Der positive Gesamteindruck ist vor allem ein Verdienst von Hauptdarsteller Liam Neeson. Er hat etwas hemdsärmelig-würdevolles an sich, was ihn zur Idealbesetzung des ehrbaren Actionhelden macht. Seine natürliche Souveränität und Ernsthaftigkeit hat zudem den Vorteil, dass sie schnörkel- und kompromisslose Genrefilme mit dem entscheidenden Touch Glaubwürdigkeit anreichert, der sie vor dem Abdriften in Trash-angehauchte B-Gefilde bewahrt. Das hat bestens funktioniert bei dem Rache-Reißer 96 hours, der mit einem reinen Actionstar in der Hauptrolle vom Feuilleton unisono als reaktionärer Schund in der Luft zerrissen worden wäre. Auch in Unknown Identity erdet Charakterdarsteller Liam Neeson gewissermaßen das streckenweise over-the-top-inszenierte Verschwörungsszenario und hält als Ruhepol in all dem hektischen und fahrigen Durcheinander die mäandernde Geschichte zusammen.

Der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra weiß aber nicht nur Neeson gewinnbringend in Szene zu setzen, sondern kennt auch seine „Paranoia-Pappenheimer" ganz genau. In einem clever konstruierten Mix aus rätselhaftem Verwirrspiel, knalligen Actioneinlagen und undurchsichtigen Figuren zieht er das Tempo bis zur überraschenden Auflösung sukzessive an und überträgt Dr. Harris fieberhafte Angespanntheit geschickt auf den Zuschauer. Er spielt dabei mit gängigen Versatzstücken und Elementen des Genres und wirbelt sie durch Überspitzung, Überhöhung und ironische Brechung gehörig durcheinander. So sind die einzigen Personen denen Harris vertrauen kann ausgerechnet ein ehemaliger hochrangiger Stasi-Agent (Bruno Ganz) und eine illegal nach Deutschland immigrierte Taxi-Fahrerin (Diane Kruger). Während Harris verzweifelt versucht seine Identität zu beweisen und damit sein Leben zurück zu bekommen, müssen die beiden die ihren verschleiern um in Ruhe weiter leben zu können.

Wo, wenn nicht in Berlin würde man ein Aufeinandertreffen solch völlig unterschiedlicher Charaktere erwarten. Ohnehin ist die deutsche Metropole vor allem durch ihre zentrale Position und Rolle im Kalten Krieg geradezu prädestiniert für Verschwörungs- und Paranoia-Geschichten.
Auch Collet-Serra weiß offensichtlich um diese Konnotationen und inszeniert das winterliche Berlin als düster-bedrohlichen Ort, bei dem neben der deutlichen Abgewracktheit zwielichtiger Stadtviertel auch historische Prachtbauten, Museen und das altehrwürdige Hotel Adlon zumindest etwas latent Unheilvolles ausstrahlen. Ähnlich wie der Antiheld in Unknown Identity scheint auch die deutsche Hauptstadt um ihre Identität zu ringen und sich zwischen Historie und Moderne, zwischen Weltoffenheit und kleinbürgerlicher Muffigkeit immer wieder auf neue beweisen zu müssen. Dr. Harris hat es da etwas besser, schließlich weiß er am Ende zumindest wer er war, auch wenn das letztlich nur ein Anfang ist.

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