Zachary Quinto spielt einen jungen Analysten, der erkennt, dass die Investmentbank, für die er tätig ist, aufgrund einer falschen Berechnung auf den finanziellen Ruin zusteuert. Sein Chef, gespielt von Stanley Tucci, der an dem Problem gearbeitet hatte, war zuvor entlassen worden und ist jetzt nicht auffindbar. Er wendet sich an seinen neuen Chef, gespielt von Paul Bettany, der umgehend seinen Vorgesetzten, gespielt von Kevin Spacey, in Kenntnis setzt. Als den Beteiligten klar wird, dass sie zahlreiche Wertpapiere besitzen, die eigentlich nichts wert sind, berät noch in der Nacht die Leitung des Unternehmens, was nun zu tun ist. Der oberste Boss des Unternehmens, gespielt von Jeremy Irons, beschließt einen riskanten Schritt zu gehen, der Einfluss auf die gesamte Weltwirtschaft nehmen wird.
Seit der Lehman-Pleite, die zunächst eine Finanzkrise und dann eine Wirtschaftskrise zur Folge hatte, die nun in einer europäischen und amerikanischen Schuldenkrise ihre Fortsetzung findet, sind die Akteure des Finanzsektors ähnlich gut gelitten, wie die Tabaklobby, der FC Bayern München oder niederländische LKW auf deutschen Autobahnen. Viel war, in konservativen wie linken Medien, über die Gier der Manager, die Fehleinschätzungen der Rating-Agenturen und das Monster Finanzmarkt zu lesen, das so ziemlich alle Politiker weltweit bis zum Crash mit Liberalisierung und Deregulierung des Finanzmarktes fütterten. Umso beachtlicher ist es, dass “Margin Call“ nicht die allgemeinen Einschätzungen, die Wut der Zuschauer bedient, sondern realistisch konstruiert, wie es zur Pleite kommen konnte, bzw. wie man auf die Nachricht der drohenden Pleite bei den betreffenden Banken reagierte, auch wenn der Name Lehman-Brothers letztlich nicht fällt und immer nur vom “Unternehmen“ die Rede ist.
Letztlich geht es J.C. Chandor, der hier ein überaus beachtliches Regie-Debüt abliefert und darüber hinaus auch das Drehbuch verfasst hat, nicht um die haargenaue Rekonstruktion dessen, was sich bei Lehman Brothers vorm Crash abspielte, es geht ihm genauso wenig um die Ursachen der Krise, zumindest nicht um die wirtschaftlichen und politischen. Es geht ihm im Wesentlichen um die Akteure, die Menschen, die hinter der Bank stehen.
Die Charaktere sind sich der Situation voll und ganz bewusst, der Analyst, der den Fehler in der Gleichung entdeckt, weiß sofort, welche Folgen daraus resultieren können und werden, auch seinen Vorgesetzten, bis hin zum obersten Boss, ist das Ausmaß der Katastrophe klar, zu dem es kommen kann, sie wissen, dass der Crash Existenzen zerstören kann, dass die Welt danach vielleicht nicht mehr dieselbe ist. Und trotzdem haben sie letztlich ein höherrangiges Ziel im Kopf, als das Wohl der Menschen auf den Straßen, als das Allgemeinwohl. Sie wollen sich, bzw. das Unternehmen retten. Die einfachen Analysten sorgen sich um ihren Job und ziehen deshalb mit, wenn es zum Ende hin darum geht, die faulen Papiere abzustoßen, auch sie wissen, dass sie damit die Existenzen derer, denen sie die Papiere andrehen, zerstören können, wichtiger ist ihnen die Prämie, die sie erhalten, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz binnen eines Tages verkaufen. Andere handeln aus Treue dem Unternehmen gegenüber, für das sie nun schon so lang tätig sind, auch wenn sich das Gewissen meldet. Die Unternehmensleitung reagiert kalt und kalkulierend, sie gehen praktisch über Leichen, um das Unternehmen zu retten, das sie selbst an die Grenze des Ruins manövriert haben. Die Frage, die sich aber durchaus stellt, ist die: Hätte man selbst anders gehandelt, hätte man hier die „richtige Wahl“ getroffen? Denn die Akteure handeln aus ihrer Sicht alle durchaus nachvollziehbar, auch wenn ihnen klar ist, was sie damit auslösen.
Die Figur, auf der sich die Konflikte zwischen dem Wohl des Unternehmens und dem Allgemeinwohl perfekt abbilden, wird von Kevin Spacey verkörpert. Er spielt einen ranghohen Mitarbeiter des Unternehmens, von dem aus es nur noch wenige Sprossen auf der Karriereleiter zum obersten Boss sind, auch wenn er diese nicht mehr nehmen wird. Er hat durchaus Skrupel, den Kurs seiner Vorgesetzten zu fahren, ist aber auch pflichtbewusst und der Firma bisher immer treu ergeben gewesen. Auch er handelt glaubwürdig und nachvollziehbar, er ist kein Monster, umso schockierender ist das, was er schließlich in Gang bringt. Tränen vergießt er nicht, weil er Millionen Menschen ins Elend stürzt, sondern lediglich um seinen toten Hund, er nimmt den Börsencrash trotz seiner Bedenken in Kauf, wirkt aber dennoch, vor allem in der letzten Szene, zutiefst menschlich. Zudem zeigt Spacey in der Rolle eine gewohnt grandiose Leistung, die durchaus mit einer Oscar-Nominierung zu würdigen wäre und wird beiden Facetten seiner Figur gerecht.
Die Stimmung ist dabei düster und bedrückend und gerade deshalb, weil die Vorgänge authentisch erscheinen, sind sie zutiefst schockierend. Die Musik bleibt im Hintergrund, die Atmosphäre bleibt aber auch ohne sie sehr dicht, da eine gewisse Grundspannung permanent spürbar ist. Vor allem in den Beratungsrunden ist die Spannung sehr hoch, was vor allem dem eiskalten Jeremy Irons geschuldet ist, der als oberster Boss permanent ein Gefühl von Angst und Schrecken verbreitet. Daneben macht auch der restliche Cast einen guten Job, Zachary Quinto trägt als Hauptdarsteller ordentlich durch den Film, wobei unter den Nebendarstellern besonders Stanley Tucci zu überzeugen weiß.
Fazit:
“Margin Call“ verteufelt seine Figuren nicht, vielmehr zeigt er Menschen, die um ihren Job oder ihre Position fürchten, die teilweise keine Wahl haben, die das Unternehmen mit aller Macht retten wollen. Die Akteure sind sich der Auswirkungen dessen, was sie tun, bewusst, nehmen sie aber billigend in Kauf, was glaubhaft und beängstigend erscheint. Mit dem hervorragenden Cast und der bedrückenden Atmosphäre ist dies somit ein Film, der zu den besten des Jahres gezählt werden kann, aber dennoch eher denen zu empfehlen ist, die dem Thema nicht ganz abgeneigt sind.
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