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Mit 22. MAI erreicht uns ein heiß erwarteter Film aus Belgien. Dies hat er dem Umstand zu verdanken, dass bei ihm ein gewisser Koen Mortier auf dem Regiestuhl saß, der uns zuletzt mit dem alles in den Schatten stellenden Punker-Splatterdrama EX DRUMMER bezirzte.

Der 22.Mai ist für den Sicherheitsdienstbeamten Sam zunächst ein Tag wie jeder andere. Er wacht in seinem schäbigen Ein-Zimmer-Apartment auf, isst kurz zu Frühstück, putzt sich die Zähne und fährt dann mit der U-Bahn zu dem Einkaufszentrum, in dem er arbeitet. In der Umkleidekabine legt er die Dienstuniform an. Dann begibt er sich zu seinem Einsatzort, dem Eingangsbereich. Wächter in einem Kaufhaus ist kein übermäßig anspruchsvoller Beruf. Sam gähnt zunächst mal ausgiebig seinem Arbeitsbeginn entgegen, beobachtet die Kunden eintrudeln, verscheucht eine Obdachlose, steht Passanten mit Orientierungsschwierigkeiten mit Rat zur Seite. Doch plötzlich: Peng! Eine Druckwelle reißt Sam zu Boden. In seinen Ohren ein schrilles Pfeifen. Die Luft ist erfüllt von Rauch und Staub. Bevor er sich versieht und weiß, was geschehen ist, macht er intuitiv das Richtige und zerrt Verletzte aus dem Gebäude, das nun nur noch aus Trümmern besteht. Doch dann: eine Kurzschlussreaktion. Sam bahnt sich seinen Weg durch die Staubfassade und spurtet wie von Sinnen auf und davon. Während seines Sprints begegnet er den Geistern der Opfer des Unglücks, die ihn zur Rede stellen, warum er nicht verhindert hat, dass sich ein Selbstmordattentäter in dem Kaufhaus in die Luft gesprengte und sie mit sich riss…

22. MAI ist also ein Film über einen Selbstmordanschlag. Ein knochentrockenes, bitter ernstes Drama mit leider akutem Realitätsbezug. Wächter Sam dröselt mit den Geistern der Verstorbenen die Geschehnisse noch einmal auf: Hat er wirklich alles richtig gemacht? War er wachsam genug bei der Kontrolle der Kaufhausbesucher? Oder hat er etwa bei Verdächtigen absichtlich weggesehen, um keine Scherereien zu haben?
In einer Art bildlich gemachtem inneren Monolog geht der Wächter mit sich selbst ins Kreuzverhör. Gewissenbisse plagen ihn, und wie sich herausstellt, zu Recht.
Der Film ist Kritik an der Schnelllebigkeit unserer Zeit, die uns dazu bringt, durch unsere Welt wie mit Scheuklappen zu läuft. Ein Fingerzeig darauf, dass sich vor unseren Augen Dinge ereignen, ohne das wir sie sehen oder registrieren. Eine drastische Erinnerung daran, welch ungemein hohes Maß an Verantwortung wir gegenüber unseren Mitmenschen tragen.
Dabei ackert der Film rückblickend die Geschehnisse des 22. Mais durch, beleuchtet mehrere involvierte Charaktere mitsamt den persönlichen Schicksalen, die sie an diesem Tag mit sich herum schleppten, die sie mitunter zu dem Besuch des Kaufhauses bewegten. Der eine bringt seiner Ex-Frau den Hausstand vorbei. Ein anderer geht zum wichsen in eine Umkleidekabine. Eine junge Mutter verbummelt einfach den Tag. Der Film wechselt mehrmals die Perspektive und schlüpft in die Haut des jeweiligen Opfers. Dies ist für den Zuschauer kein Zuckerschlecken, mitunter sogar mühselig. Emotionale Beteiligung wird nicht erzwungen, zumal nicht auf die Tränendrüse gedrückt wird, stellt sich aber mitunter automatisch ein.

Interessant wird es, wenn der Film den Attentäter, einen jungen verzweifelten Mann, unter die Lupe nimmt. Sehr positiv ist, dass jener nicht als kompletter Unsympath oder Wahnsinniger dargestellt wird, sondern von der menschlichen Seite beäugt wird. Auch sind seine Motive nicht politischen, sondern persönlichen, ideellen Ursprungs. Der Film liefert glücklicherweise keine klare Erklärung dafür, wie und warum ein normaler Mensch plötzlich zum Amoktäter wird. Alles andere wäre hochgradiger Schwachsinn gewesen.
Etwas enttäuschend, ja geradezu ernüchternd für den Zuschauer ist jedoch, dass der Film mit keiner konkreten Moral schließt, mit keiner Anleitung, wie man den Alltag ein bisschen herzlicher gestalten kann, um dieser inneren Erfrorenheit zu entgehen, sondern sogar mit dem Schlusssatz endet, dass manchmal gar nichts verhindern kann, selbst wenn man sich anstrengt. Im Nachhinein ist man immer schlauer. So oder so ähnlich dürfte auch George W. Bush den 11. September kommentiert haben.
Rein technisch ist 22. MAI überaus versiert. Die Schauspieler (einige davon kennt man aus EX DRUMMER) machen ihren Job gut. Kamera und Licht bieten die eine oder andere Finesse. Wer mit durch und durch tristen, mitunter etwas sperrigen Filmen etwas anzufangen weiß, sollte also durchaus einen Blick riskieren.

Unterhaltungswert: (+)(-)(-)(-)(-)
Tiefgang: (+)(+)(+)(+)(-)
Aussage: (+)(+)(-)(-)(-)

Fazit:
Eine Fallstudie gegen Gleichgültigkeit und das Wegsehen. Nicht wirklich super gut, aber definitiv sehenswert.
Wie vielen Menschen, denen man am Tag begegnet, sieht man eigentlich tatsächlich ins Gesicht?

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