Der 22. Mai ist kein besonderer Tag, genauso wie es der 11. September vor 2001 war.
Vielleicht hat der Belgier Koen Mortier seinen Film deshalb so genannt, denn an jedem beliebigen Tag kann sich das Leben vieler Menschen mit einem Schlag ändern, wie dieses Drama in teilweise eindrucksvollen Bildern untermauert.
Sam arbeitet als Sicherheitsmann in einem Einkaufszentrum. Gerade als er vorm Eingang steht, explodiert im Innern eine Bombe. Zunächst versucht Sam die Opfer zu bergen und aus dem Gebäude zu ziehen, doch dann übermannt ihn der Schock und er rennt durch die Straßen.
Als er wenig später auf dem Asphalt erwacht, konfrontiert ihn die Mutter eines getöteten Kleinkindes mit dem Vorfall und vor allem der Frage nach Schuld und Verantwortung…
Mortier bettet das Sujet von vornherein in eine triste Umgebung ein, als er Sam bei den fast teilnahmslosen Vorbereitungen vor der Arbeit verfolgt: Zigarette, Thermoskanne, Brot, Bushaltestelle, kurze Begrüßung des Kollegen. Erst später erfahren wir, dass jene Teilnahmslosigkeit vom tödlichen Radunfall seiner Tochter herrührt und am titelgebenden Tag dazu beiträgt, den verdächtigen Attentäter schlicht zu ignorieren, als er am Eingang an Sam vorbei geht.
Nach der eher unspektakulär in Szene gesetzten Explosion verlagert sich die Erzählung in eine surreale Szenerie, bei der man wie in kleinen Schleifen etwas über die Wünsche, Sorgen und Sehnsüchte der Getöteten erfährt, die sich nach und nach mit Sam unterhalten.
Dabei fällt die exzellente Kamera bei einigen Szenen deutlich ins Auge; die menschenleeren Gassen, die einsamen Bahnhöfe und U-Bahn Stationen, aufbrechende Vogelscharen auf dem Dach untermauern vielerorts die Einsamkeit, welche mit der Trauerarbeit der „Geister“ einhergeht.
Dabei begegnet Sam einem Fotografen, einer Verkäuferin, einem perversen Kunden, einem Detektiv, aber auch dem Attentäter, dessen Motiv ein wenig aus der Luft gegriffen scheint und kaum politischer Natur ist.
Zwischenzeitlich kann man sich nicht mehr sicher sein, ob nicht auch Sam Opfer des Anschlags geworden ist, zumindest sprechen einige Bilder dafür, andere eher dagegen.
Im Verlauf kommt die Geschichte allerdings arg ins Stocken, denn nicht alle Schicksale sind tiefgründiger Natur und einige Persönlichkeiten erwecken kaum Interesse, so dass phasenweise etwas Leerlauf entsteht.
Auch Sam gerät zwischenzeitlich etwas außen vor, während der namenlose Fotograf stärker in den Vordergrund gerückt wird, obgleich er auf emotionaler Ebene kaum etwas beiträgt.
Erst am Ende laufen schließlich einige Fäden zusammen und lassen das Finale aufgrund Ultra-Zeitlupenaufnahmen der Explosion aus dem Innern des Gebäudes fast versöhnlich erscheinen, so erschreckend das auch klingen mag.
Insofern sind vor allem Arthouse Fans gefragt, die mit sperrigen Beiträgen etwas anfangen können und gewillt sind, mehrere Interpretationen des Gesehenen zuzulassen.
Auf audiovisueller Ebene bietet dieser belgische Streifen höchstes Niveau und auch darstellerisch ist nichts auszusetzen. Allerdings könnte die überaus ruhige Erzählweise mit einigen Zeitsprüngen, dem Wechsel der Perspektiven und der latent tristen Atmosphäre all jene abschrecken, die beim Thema „Explosion im Kaufhaus“ eher auf dramatische Bilder hoffen, denn jene spart Mortier weitestgehend aus.
6 von 10