Review

Pauvre Pierrot (1892) von Emile Reynaud
Le Théâtre de Bob (1906), La maison ensorcelée (1908), El Hotel eléctrico (1908) von Segundo de Chomón
Humorous Phases of Funny Faces (1906) von John Stuart Blackton
Fantasmagorie (1908), Le Songe d'un garçon de café (1910), Mobilier fidèle (1910) von Emile Cohl
Mest kinematograficheskogo operatora (1912), La Voix du rossignol (1923), L'Horloge magique ou La petite fille qui voulait être princesse (1928), Fetiché (1934) von Wladyslaw Starewicz
La Guerra ed il sogno di Momi (1917) von Segundo de Chomón, Giuseppe Pastrone
Reineke Fuchs / Le Roman du Renard (1937/1941) von Wladyslaw & Irene Starewicz


Stop: Motion!
Ein paar Gedanken zum frühen Animationsfilm der Pioniere Reynaud, de Chomón, Blackton, Cohl und Starewicz

Dass die Geburtsstunde des Kinos im Jahre 1895 liegt, gehört zum gesunden Halbwissen; etwas weniger prominent sind die Daten der Vorläufer der Cinematographie, die man im Prinzip endlos weit zurückverfolgen kann, wenn man es denn will - James Monaco verfolgt in seiner (manchmal launigen) Filmabhandlung "How to Read a Film" (1977, 2009) die Vorgeschichte des Kinos bis in das Jahr 130 zurück. Von diesen Vorläufer-Daten ist unter anderem das Jahr 1888 bemerkenswert: 1888 hält Louis Le Prince ein paar Sekunden Straßenalltag und Gartenvergnügen auf Papierfilm fest, 1888 entwickelt aber auch Émile Reynaud sein Théâtre Optique. Mit dieser Erfindung wird er ab 1892 einige Bildergeschichten - dessins animés - aufführen: auf kleine Glasplättchen handgemalte Einzelbilder werden per Rückprojektion in (unterschiedlich) rascher Abfolge auf eine Leinwand geworfen. "Pauvre Pierrot" (1892) ist als einer der ersten dieser Filme auch heute noch (in einer 1992 restaurierten Fassung) erhalten.

"Pauvre Pierrot" handelt von einem bemitleidenswertem Pierrot, der - unwissentlich vor den Augen seines versteckten Nebenbuhlers Harlekin - am Balkon der Angebeteten ein Ständchen bringt, dann aber erfolglos von dannen zieht, woraufhin der Harlekin der Dame einen nächtlichen Besuch abstattet. Als einer der ältesten Animationsfilme überhaupt, hat "Pauvre Pierrot" sicherlich den Status des Meilensteins verdient, mutet dabei aber zugleich rührend primitiv an: einzig die drei Figuren bewegen sich in ansonsten vollkommen statischen Hinter- & Vordergründen - zudem fallen die Bewegungen freilich recht ruckelig aus, die Figuren  werden manchmal ansatzweise transparent und wenn sie hinter Objekten verschwinden, dann fallen diese Übergänge nicht immer sehr sauber aus. Es sind die üblichen Kinderkrankheiten der Pionierleistungen; aber vergleicht man "Pauvre Pierrot" mit den frühen Filmen der Lumieres oder den ersten Erfolgen von Méliès, dann gibt es gleich zwei Überraschungen zu bewundern: Zum einen präsentiert der Film nicht bloß eine kurz(weilig)e Situation, sondern gleich eine ganze - wenn auch simple - Geschichte samt Pointe, zum anderen wechselt Reynaud zweimal zwischen zwei verschiedenen Perspektiven (nämlich zwischen einer Totalen des Innenhofes und einer Großaufnahme des Balkons). Im Hinblick auf Dramaturgie und Montage war diese Bildergeschichte 1892 bereits weiter als der Realfilm zu dieser Zeit (oder drei Jahre darauf). Doch diese scheinbare Reife lässt sich wieder relativieren, wenn man die Ursprünge dieser Bildergeschichten berücksichtigt: Erzählungen mit unterschiedlichen Schauplätzen waren schon in Laterna Magica-Zeiten fest verankert und auch die zahlreichen Comic-Vorläufer (vom Bänkelsänger-Instrumentarium bis hin zu Wilhelm Busch) haben den Zeichentrick-Bereich zur Pionierzeit vor 1895 ganz anders geprägt, als etwa die Photographie den Realfilm. [7/10]

Während dieser Zeichen-Trick wie alle nachfolgenden Zeichentrickfilme damit arbeitet, dass Stadien gezeichnet werden, die in ihrer Abfolge eine bestenfalls vollkommen flüssige Bewegung von Bildern ergeben, hält der Realfilm stattdessen Stadien einer tatsächlichen Bewegung fest, die als Abfolge wieder eine Abbildung dieser Bewegung erzeugen. Der stop motion-Film mutet dagegen wie ein Mittelding an: Grundsätzlich ist jeder Film ein Animationsfilm, insofern immer Einzelbilder als statisches Material in Bewegung gebracht werden. Während die Einzelbilder des Zeichentrickfilms jedoch frei ausgewählt werden können, sind die Abbilder des Realfilms immer durch die Bewegungen der Vor-Bilder bestimmt, welche mit einer festen Anzahl von Einzelbildern pro Sekunde relativ unverändert übernommen werden. Der stop motion-Film, dem der Zeichentrickfilm quasi untergeordnet ist, bietet die Möglichkeit, mit der Einzelbildbelichtung reale Vor-Bilder mit derartigen Unterbrechungen abzufilmen, so dass die Abbilder des fertigen Films keine vorgefundene Bewegung wiedergeben, sondern eine quasi gefälschte Bewegung präsentieren.
Méliès entdeckt als einer der ersten (nicht als der erste!) den Stopptrick und dreht fast 20 Jahre lang immer wieder neue Filme über phantastische Verwandlungen, die mit diesem Trick arbeiten. Reine stop motion-Filme hat Méliès hingegen kaum geliefert; Méliès' Vorliebe scheint dieser Animationsform nie so ganz gegolten zu haben: so präsentiert er etwa in "Le Roi du maquillage" (1904) den (natürlichen) Entstehungsprozess einfacher Skizzen auf einer Kreidetafel, dann jedoch lässt er nicht etwa diese Skizzen (um deren Künstlichkeit das Publikum definitiv weiß) in Bewegung geraten, sondern der (echte, lebendige) Zeichner ändert je nach Skizze durch Überblendungstricks seine Gestalt. Das schien für Méliès - aufgrund der zweifelsfreien Echtheit der menschlichen Darsteller und der Künstlichkeit von Zeichnungen - die spannendere Wahl zu sein. Und wenn er mal einige Werbeplakat-Figuren auf ihrer Reklametafel lebendig werden lässt, dann vor allem dadurch, dass er - wie in "Les Affiches en goguettes" (1905) - über den Stopptrick alle Zeichnungen kurzerhand durch menschliche Darsteller austauscht. Zu dieser Zeit (in der ersten Hälfter der 00er Jahre) geht es aber auch anderen Filmemacher kaum anders: selbst dann, wenn es explizit daraum geht, Porträts aus Teig oder Lehm in Bewegung zu versetzen, dient nur der Stoptrick als nuanciert eingesetztes Hilfsmittel, während ein formender Künstler vor der Kamera den größten Einfluss auf das Material ausübt: Edwin S. Porters "Fun in a Bakery Shop" (1902) und Segundo de Chomóns "Le sculpteur express" (1907) wären in dieser Hinsicht zu nennen.
Während der Stopptrick bis zuletzt für Méliès ein dauerhafter Bezugspunkt war, ist die daraus hervorgegangene stop motion-Ästhetik keinesfalls charakteristisch für ihn - auch nicht im Spätwerk. Und dennoch ist Méliès für die Entwicklung des stop motion-Films durchaus von Bedeutung: nicht allein wegen der andauernden Erprobung des Stopptricks, sondern auch wegen seiner Erzählungen, die später von anderen Regisseuren mit den Mitteln des stop motion-Verfahrens, welches sich für die erzielten Effekte bestens eignete, neu umgesetzt worden sind.

Sowohl John Stuart Blackton, als auch Segundo de Chomón - dessen Lebensgefährtin und mehrfache Hauptdarstellerin Julienne Mathieu einige Jahre für Méliès gearbeitet hat - haben beispielsweise von Méliès' frühem "L'auberge ensorcelée" (1897) neue Versionen (weder Remakes, noch Plagiate, sondern einfach bloß neue Versionen, wie es im frühen Stummfilm eine Selbstverständlichkeit war!) angefertigt, die sich verstärkt der stop motion bedienen. Während bei Méliès ein Reisender in seiner Unterkunft mit erscheinenden, verschwindenden oder umherfliegenden Kleidungsstücken und Möbeln konfrontiert wird, die Méliès mittels Stopptricks und tatsächlichen Bewegungen in Szene setzt, da geraten die Protagonisten von Blackton und de Chomón knapp zehn Jahre später in "The Haunted Hotel" (1907) oder "La maison ensorcelée" (1908) in Räume, in denen sich das Geschirr und die Lebensmittel in einminütigen stop motion-Szenen selbstständig zum Verzehr anordnen. Gerade de Chomón, der sich ganz besonders auf neue Versionen anderer Filme spezialisiert hat und hier natürlich von Blacktons Publikumserfolg beeinflusst worden ist, schmückt seine stop motion-Szene mit einigen liebevollen, kleinen Details aus: so flieht etwa eine widerspenstige Wurstscheibe mehrfach vor dem schneidenden und ordnenden Messer, welches sie immer wieder zurück auf den Essteller befördert. Diese Esstisch-Episode mit ihrer stop motion-Ästhetik gehört zu den beeindruckenden Höhepunkten des recht klamaukigen Films, der sich ansonsten auf bizarre Masken und altbekannte Stoptricks konzentriert, um die episodenhaften Stationen eines Spukhaus-Aufenthaltes zu bebildern. [7,5/10] Im gleichen Jahr reizt de Chomón diese Ästhetik weiter aus und lässt in "El Hotel eléctrico" (1908) ein junges Paar ein Hotel betreten, in dem von den Schuhbürsten bis zum Mobiliar alles automatisch in Bewegung gerät und sich um die Protagonisten herumbewegt.
Sowohl Blackton als auch de Chomón hatten jeweils kurz zuvor umfassende Erfahrungen mit dem stop motion-Verfahren gesammelt: Letzterer hat mit "Le Théâtre de Bob" (1906) einen fünfminütigen Kurzfilm vorgelegt, dessen stop motion-Hauptteil aus einer vierminütigen Aufführung besteht, in der in vier Nummern kleine Puppen ihre Aktionen aufführen - sie fechten und ringen miteinander, sie liefern sich Boxkämpfe, führen kleine, akrobatische Kunststückchen auf und turnen am Barren. Zwar fallen diese Animationen bisweilen etwas holperig aus (wenn man sie mit denen des folgenden Jahrzehnts vergleicht), sind aber andererseits detailreich ausgeschmückt und drehen sich zudem nicht um lebendig gewordene Möbel oder Haushaltsgegenstände, sondern um individuelle Figuren - und zudem gerät die Animation zum dominierenden Element, das abgesehen von einem Prolog 80% des Films ausfüllt. De Chomón hat sich mit diesem und einigen weiteren stop motion-haltigen Filmen als kleiner Meisterregisseur des Puppentrickfilms hervorgetan: in der Regel beschränkten sich seine stop motion-Effekte jedoch auf animierte Figuren innerhalb von längeren Realfilmen - der wundervolle, märchenhafte "L'Araignée d'or" (1908) ist dafür ein herausragendes Beispiel. Und dennoch war der Ruf, den er sich auf diesem Gebiet erarbeitet hat, so groß, dass Giuseppe Pastrone - für den de Chomón (nach dem Ende seiner Karriere als Regisseur) als Kameramann arbeitete - ihn den umfangreichen Animationsteil seines "La Guerra ed il sogno di Momi" (1917) inszenieren ließ. [7/10]
Blacktons früher Ausflug in den Animationsfilm tendiert dagegen stärker in die Richtung des Zeichentrickfilms - ohne jedoch ein reiner Zeichentrickfilm zu sein: In "Humorous Phases of Funny Faces" (1906) zeichnet Blackton mit Kreide Figuren auf eine Tafel, die - sobald vervollkommnet - in Bewegung geraten; sie werfen sich Blicke zu, verziehen ihre Mimik, blasen sich Rauch (in Form verwischter Kreideflecke) entgegen, jonglieren mit anderen gezeichneten Objekten und werden wieder weggewischt. Andere Szenen lässt Blackton rückwärts ablaufen: auf einer verwischten Fläche werden allmählich klar umrissene Zeichnungen sichtbar, die kurz darauf immer mehr Details einbüßen und letztlich wieder vollkommen verschwinden.[1] Im Vergleich mit diesem frühen stop motion-Beitrag mutet der knapp zwei Jahre zuvor entstandene "Le Roi du maquillage" von Méliès geradezu rückständig an. Aber ähnlich wie de Chomón, der seinen Puppentrickfilm nur im Rahmen eines Realfilms ganz explizit als Puppentheater-Aufführung umzusetzen weiß[2], traut sich Blackton nicht so recht, sich den Bereich des Animationsfilms vollkommen zu erschließen: die zeichnende Hand, die sich immer wieder mal in das Geschehen einmischt, gehört immerhin zu den Hauptakteuren des Films. (Auch in anderen zeitgleich entstehenden Zeichentrick-Vorläufern kann man diese Scheu vor der Animation ohne Realfilm-Rahmen durchaus anmerken - selbst der große Klassiker "Gertie the Dinosaur" (1914) konfrontiert noch ein knappes Jahrzehnt später die Zeichnung mit dem Zeichner. Vom Zeichen-Trick eines Emile Reynaud war der tatsächlich auf Filmmaterial vorliegende Zeichentrickfilm noch weit entfernt - als ob mit der Etablierung des Realfilms ab 1895 all die früheren, animierten dessins animés als rückständig gegolten und ausschließlich im Rahmen des Realfilms noch einen Platz gefunden hätten.) [7,5/10]

Ein Filmemacher, der (von Reynaud abgesehen) als erster Zeichentrickfilme ohne jede Realfilm-Rahmung inszenierte, war Emile Cohl; vielleicht war es Cohls Herkunft aus der Arts Incohérents-Bewegung, die ihn die Arbeiten Blacktons - die bei ihm deutlich anklingen - radikalisieren ließen: In einer Zeit, zu der Animationsfilme immer auch Realfilm-Elemente enthielten und den Vorgang des Animierens zumindest andeutungsweise mitdachten, da waren Cohls weitestgehend zusammenhangslos agierenden Strichmännchen kaum weniger gewagt als die Arts Incohérents-Werke. "Fantasmagorie" (1908) jedoch, der gerne als erster, echter Zeichentrickfilm betitelt wird, kann noch nicht auf den Realfilm verzichten: Zu Beginn und gegen Ende erscheinen die Hände des Zeichners, die die Figuren entstehen und vergehen lassen. Als wäre das nicht gewohnt selbstreflektiv genug, beginnt die eigentliche Handlung dieser episodenhaften Phantasmagorie auch noch in einem Kino, wo ein genervter, fettleibiger Herr der Dame auf dem Platz davor die Federn aus ihrem - jede Sicht versperrenden - Hut rupft.[3] Ein Clown unterbricht die Situation und durchläuft einige weitere, relativ zusammenhangslose Ereignisse, in denen er oftmals die übrigen Strichmännchen packt und umgestaltet. Nach einer knappen Minute kommt es dann unerwartet zu einem tödlichen Sturz, an dessen Ende der Clown seinen Kopf verliert. Die Hände des Zeichners tauchen wieder auf und scheinen die Körperteile zu greifen und neu zusammenzusetzen. [6,5/10]
Ein Zeichentrickfilm Cohls, der tatsächlich von Anfang bis Ende ausschließlich als Animationsfilm daherkommt und der stop motion ein neues Gebiet abzuringen versteht, wäre dagegen "Le Songe d'un garçon de café" (1910). Der Protagonist dieses beinahe bloß einminütigen Kurzfilms sitzt im Schwarzen, während vor ihm in einer weißen Kugel allerlei Alkoholica & Alkoholiker, Verlockungen und Abschreckungen auftauchen; am Ende erstrahlt schließlich alles in gleißendem Weiß, in welchem der arme Kerl völlig aus der Fassung gerät, um sich - als bestünde er aus Gummi - zu strecken und zu verbiegen. Wie schon in "Fantasmagorie" spielt Cohl auch hier mit der Verformbarkeit und Wandelbarkeit der Objekte und Figuren im Animationsfilm (allerdings auf einem deutlich schlichteren Niveau als die knapp zwei Jahrzehnte später auftauchenden Mickey Mouse- und Betty Boop-Cartoons); und darüber hinaus ist hier der Animationsfilm auch vollkommen befreit vom klammernden Griff des Realfilms, der nach Reynaud und ab 1895 die bewegten Bilder völlig dominierte. [7/10]
Aber auch fernab des Zeichentrickfilms widmete sich Cohl der stop motion: "Mobilier fidèle" (1910) scheint eine Fortführung von de Chomóns "El Hotel eléctrico" zu sein, setzt sich doch auch hier das Mobiliar in Bewegung. Die knapp sechsminütige Geschichte handelt von gepfändeten, versteigerten Möbelstücken, die ihren neuen Besitzern übel mitspielen, um ganz treuherzig wieder zum niedergeschlagenen Vorbesitzer zurückzukehren. Gewiss gab es auch schon in diesem Jahr spannendere Szenenwechsel (bei D. W. Griffith oder Urban Gad beispielsweise), aber die Stärke dieses phantastischen Kurzfilms konzentriert sich voll und ganz auf die stop motion-Aufnahmen, in denen Spiegeltüren nach eitelen Hausfrauen schlagen, ein Teppich wie eine Raupe umherkriecht oder sich um sein Opfer rollt, ein Bett einen Schlafenden verspeist, Bilderrahmen die Wand hinaufklettern oder ein Drehschemel seinem neuen Besitzer einen Drehwurm verpasst. Besonderes Interesse verdient der Film aber vor allem, weil die stop motion auch nicht vor den Menschen haltmacht, die Cohl in einigen Szenen ebenfalls mittels Einzelbildbelichtung in Szene setzt - "Mobilier fidèle" zählt damit zu einer der ersten Pixilation-Arbeiten.[8/10] Aber auch "El Hotel eléctrico" konfrontierte sein Publikum bereits mit dieser Technik, die sich dort auch teilweise etwas wirksamer entfaltetete: eine Großaufnahme des Stiefelsputzens in stop motion-Ästhetik bleibt zwar aufgrund des weitestgehend statischen Verharrens der Beine wenig beeindruckend, die Großaufnahmen der Gesichter des jungen Paares bei der automatischen Haarpflege und der automatischen Rasur bieten allerdings schon etwas mehr Schaueffekte - und schließlich kulminiert die Pixilation-Technik in einem technischen Defekt, der alle Möbel und die im Schlaf überraschten Figuren wild durcheinanderwirbelt. (Auch inhaltlich eine hübsche Wendung, die dem optimistischen Vertrauen in die Technik dann doch noch ein ängstliches Misstrauen an die Seite stellt.) Dagegen tritt die Pixilation-Technik bei Cohl ein wenig hinter die stop motion-Animation des Mobiliars zurück, das Kreisen des Mannes auf dem Drehschemel jedoch wirkt in seiner deutlich wahrnehmbaren und sehr nachvollziehbaren Bewegung dann doch wieder etwas fortschrittlicher als die relativ starren Großaufnahmen oder das hektische Durcheinander bei de Chomón. [7,5/10] Eine von Romeo Bosetti inszenierte neue Version des Cohl-Klassikers mit dem Titel "Mobelier fidele" (1911) mutete wie ein kleiner Rückschritt an: die selbstständig einen Umzug meisternden Möbelstücke werden durchaus liebevoll per stop motion animiert, Pixilation-Aspekte fehlen vollkommen (und überhaupt tritt nur eine einzige Figur für wenige Sekunden auf).

Ebenso wie Cohl der stop motion den eigenständigen Zeichentrickfilm abgerungen hat, so hat Wladyslaw Starewicz, der Cohls Schaffen sehr geschätzt haben soll, den eigenständigen Puppentrickfilm - wie de Chomón ihn bereits einige Male angedeutet hat, ohne ihn völlig vom Realfilm abzuspalten - geprägt. Im Gegensatz zu den Realfilmen Starewiczs, die - wie ein großer Teil des vergleichsweise spät entstandenen russischen Films in seiner Anfangsphase - von eher mäßiger Qualität sind, konnte Starewicz mit seinen stop motion-Filmen weltweit Erfolge verbuchen. Von den Filmen die der in Polen geborene Sohn litauischer Eltern in Russland inszenierte, gehört "Mest kinematograficheskogo operatora" (1911) - sein erster Puppentrickfilm in Russland nach einigen (verschollenen) Lehrfilmen für das litauische Naturkundemuseum in Kaunas - zu seinen bekanntesten: Auch dieser relativ populäre stop motion-Klassiker handelt noch von einem Kameramann und einer Filmvorführung. Die durchaus recht komplexe Handlung mit ihren vielfachen Schauplatzwechseln und Hauptfiguren erzählt im Grunde eine konventionelle Dreiecksbeziehung mit unkonventioneller Pointe: Ein Käfergatte macht regelmäßig Ausflüge in die Stadt, wo er in einem Nachtclub die von einem Frosch angekündigten Auftritte einer Libellenschönheit beäugt. Als das Heuschreckenmännchen am Nebentisch ein Auge auf die Libellendame wirft, vertrimmt er den Nebenbuhler und zieht mit der Libelle kurzerhand ins nächstbeste Hôtel d'Amour: Doch die verprellte Heuschrecke sinnt auf Rache und filmt in ihrer Funktion als Kameramann heimlich das Liebesspiel durchs Schlüsselloch. Derweil vergnügt sich die gehörnte Käferdame ebenfalls mit einem heimlichen Liebhaber - eine Künstlerbekanntschaft, die regelmäßig Hausbesuch abstattet, sobald der Käfergatte in der großen Stadt umherstrolcht. Diesmal jedoch wird der Liebhaber ertappt und vom Gatten vermöbelt; der Käfergattin jedoch vergibt der Gehörnte und führt sie zur Versöhnung ins nächstbeste Kino aus: da dort die Heuschrecke den zuvor gedrehten Schlüsselloch-Seitensprungsfilm vorführt, kommt es zur Schlägerei, nach welcher Gatte und Gattin zwar erst einmal im Gefängnis sitzen, sich aber zugleich auch wieder näher gekommen sind. Die realistischen Insekten mit den flexiblen Gelenken machen in Verbindung mit hochsensibel gestalteten stop motion-Aufnahmen, einer durchaus stimmigen Dramaturgie und vielen Gags am Rande aus diesem Film einen der ersten großen Höhepunkte des Puppentrickfilms. Starewicz baut seinen Stil in den nächsten Filmen immer weiter aus und vergößert sein Repertoire enorm: "Rozhdestvo obitateley lesa" (1911) gesellt zu den sorgsam präparierten Insekten und Fröschen noch Porzellan- & Stoffpuppen, sowie Rauchwolken und andere Details hinzu und verbindet auch ein paar aufgeführte Zauberkunststückchen mit den sonstigen stop motion-Aufnahmen. Den großen künstlerischen Erfolg machte er allerdings vor allem in seiner Zeit in Frankreich, wo er von 1920 bis 1958 eine Reihe wunderschöner, preisgekrönter Puppenfilme anfertigt - bisweilen mit der Hilfe seiner Tochter Irina Starewicz. [8/10]
In Frankreich füllt er damit die Lücke aus, die nach de Chomóns Beendigung seiner Regie-Karriere (in der er sich ohnehin nur teilweise dem stop motion- & Puppentrickfilm widmete) und seinem (auf ein Zwischenspiel in seinem Heimatland Spanien folgenden) Umzug nach Italien entstanden ist, wo er 1917 noch einmal für Pastrone Regie führte. "La Guerra ed il sogno di Momi" ist de Chomóns endgültige Abschiedsvorstellung als Regisseur und gleichzeitig eine spannende Reaktion auf die Erfahrungen des ersten Weltkriegs - und es ist womöglich Italiens erster Puppentrickfilm. Der kleine Momi lauscht mit der Mutter einem vom Großvater verlesenen Brief des Vaters aus den Schützengräben des Krieges: die beschriebenen Ereignisse und die Situation des Vorlesens wechseln einander ab, ehe dann in der zweiten Hälfte des Films Momi seine Spielzeugfiguren das Kriegsgeschehen nachspielen lässt, dabei jedoch einschläft und schließlich von einer Schlacht der Spielzeugfiguren träumt, die de Chomòn als Puppentrick-Spektakel in Szene setzt. Momis Lieblingsspielzeugheld Trik überlebt dabei als unsterbliches, belebtes Holzfigürchen die Malträtierung durch die Puppe Trak, setzt seine Einzelteile neu zusammen und bläst mit einer zusammengestellten Spielzeugsoldaten-Armee zum Angriff. Zu Fuß und zu Pferde, mit Flugzeugen, mit Säbeln, Kanonen, Bomben und Giftgas entbrennt ein gewaltiges Kriegsgeschehen: eine fixe Idee, mittels Kultur ein Ende des Krieges zu erwirken, geht nicht auf - und so blickt man am Ende stolz auf die zertrümmerten Dörfer der Umgebung. Dann bricht der Traum ab: eine Nadel sticht dem Schlafenden in den Podex, der in dem Grenzgebiet zwischen Traum und Erwachen einen peinigenden Bajonettstich darin vermutet. Mit dem Trost durch Mutter und Großvater und einem frommen Gebet endet der Film schließlich. Die anfängliche Verlockung des Kriegsspiels weicht am Ende einem alptraumhaften Schrecken: der Schrecken jedoch wird als makaberes Puppentheater mit halb infantilem, halb zynischem Humor vorgeführt und durch die kindliche Perspektive der Realität entrückt. Inhaltlich mutet dieser Kommentar zum Weltkrieg recht innovativ an: dem späteren Franco-Regime in de Chomóns Heimatland sollten sich - etwa ein halbes Jahrhundert später - ähnlich ausgerichtete (wenngleich deutlich subtilere, komplexere und subversivere) Filme mit einer kindlichen Perspektive auf die Grausamkeit der politischen Situation annähern. Auf formaler Seite lässt sich eine Schwerpunktverlagerung von de Chomóns Puppentrick-Arbeit kaum übersehen: Im Hinblick auf flüssige Bewegungen hat ihn Starewicz schon längst eingeholt, stärker entwickelt hat sich allerdings eine Einbindung von Spezialeffekten in die stop motion-Aufnahmen. In seiner Zeit als Kameramann und Trickspezialist unter Pastrone - vor allem der Monumentalfilmklassiker "Cabiria" (1914) wäre zu nennen! - hat de Chomón ganz offensichtlich genug Erfahrungen mit Kamerabewegungen, pyrotechnischen und anderen Trickeffekten gesammelt, um hier mit einigen Schauwerten aufwarten zu können. Auch die von Pastrone inszenierte Realfilmhandlung weist - wie sollte es anders sein! - ein hohes inszenatorisches Niveau und eine sorgsam konzipierte Kameraarbeit aus. [8/10]

Starewicz gelingt es kurze Zeit darauf in Frankreich einige der ganz großen Klassiker des Puppentrickfilms zu entwickeln. Von seinen frühen Filmen aus den 20er Jahren entfaltet bereits "La Voix du rossignol" (1923) Starewiczs schrullig-verspielte Phantasie. In dem Episodenfilm ersetzt ein junges Mädchen (Starewiczs zweite Tochter Janina) ihre zerstörte Puppe durch eine zeitgleich in eine Falle geratene Nachtigall: Der Vogel singt ihr in aufeinanderfolgenden Nächten seine Lieder vor, die sich in den Träumen des Kindes zu lehrreichen Geschichten über Gefangschaft umwandeln. Nach dieser Lektion lässt das Mädchen den Vogel frei, der zurück zu Frau und Kind fliegt: als Gegenleistung hat er dem Mädchen seinen bezaubernden Gesang gelehrt. Zu großen Teilen ist "La Voix du rossignol" zwar ein Realfilm, lässt Starewicz aber in seiner knapp viertelstündigen Laufzeit genug Raum, sein ganzes Talent zu entfalten: naturgetreue Käfer, Grashüpfer, Spinnen, Ratten (die sich nach einer Verwandlung als Vögel entpuppen), Vögel, Puppen, Pusteblumen, Rosen, Schmetterlinge, Libellen werden penibel animiert, die Bildkomposition ist in nahezu jeder Einstellung beachtlich, Überblendungen werden zielgerichtet und unauffällig eingesetzt und die Bilder wurden allesamt liebevoll mehrfarbig handbemalt. Eine sehr durchdachte, in sich geschlossene Handlung rundet den positiven Eindruck ab, den Starewicz in den kommenden zehn Jahren dennoch perfektionieren konnte. [8,5/10]
Neben einigen Fabeln in der Tradition Aesops - etwa die reinen Puppentrickfilme "Les Grenouilles qui demandent un roi" (1922) oder "Le Rat de ville et le rat des champs" (1927) - sticht in den 20er Jahren noch ganz besonders das märchenhafte Phantasiestück "L'Horloge magique ou La petite fille qui voulait être princesse" (1928) hervor: In dieser knapp 45minütigen Mischung aus Puppentrick- und Realfilm hat ein alter Uhrmacher sein Meisterstück entwickelt - eine alte Standuhr mit automatischem Figurenspiel. In ihrem Inneren scheinen diese Figuren jedoch zu wahrem Leben zu geraten: ein komplettes mittelalterliches Fantasie-Dorf tummelt sich im Innenleben der Uhr - samt König, guten Rittern, bösem Ritter (samt Skelett-Schädel), Drachen, Riesen, Hofnarren usw. Und natürlich tummeln sich dort ebenfalls die Frösche, Vögel, Käfer und lebenden Blumen (und Bäume), wie man sie aus anderen Starewiczfilmen kennt. In ihrem Traum reist des Uhrmachers junge Tochter Yolanda - der das in der ersten Hälfte vorgeführte Uhren-Automatenspiel des Vaters wenig behagt - in das sonderbare Reich der Uhr, begegnet den ungewöhnlichen Lebewesen und wird in einem Moment höchster Gefahr vom weißen Ritter gerettet, während ein Satyr und ein Unterwassermensch über das Schicksal dieser füreinander bestimmten Figuren wachen. Nicht nur, dass Starewicz gewohnt gute stop motion-Aufnahmen abliefert (wobei die Mimik der Figuren hier ganz neue Höhepunkte erreicht): zusätzlich zu dieser Qualität nimmt auch das Miteinander von echten Darstellern und animierten Puppen eine neue Dimension an, die sich auch in einigen stop motion-Kamerafahrten ausdrückt. Das gelegentliche Spiel mit reflektierenden Wasserflächen und eine mit Überblendungsspielchen angestrebte, traumhafte Atmosphäre intensivieren den verspielten Gesamteindruck zusätzlich. [8,5/10]
Anfang bis Mitte der 30er - zu einer Zeit also, in der in Russland Aleksandr Ptushko mit seinen frühen Puppentrickfilmen ("Novyy Gulliver" (1935), "Zolotoj Kljuchik" (1939)) in Starewiczs Fußstapfen trat, während sich in Deutschland die Gebrüder Diehl (dank Unterstützung Lotte Reinigers) mit ihren Puppentrickfilmen ("Kalif Storch" (1935), "Die sieben Raben" (1937))  hervortaten und in den USA Willis H. O'Brien nach seinen Erfolgen in "The Ghost of Slumber Mountain" (1918) und "The Lost World" (1925) mit seinen Effekten für "King Kong" (1933) dem stop motion-Effekt zum absoluten Durchbruch verhalf - legte Starewicz seine beiden Meisterwerke vor: den knapp halbstündigen Puppentrick-/Realfilm-Mix "Fetiché" (1934) und den einstündigen, reinen Puppentrickfilm "Reineke Fuchs / Le Roman du Renard" (1937/1941).
"Reineke Fuchs / Le Roman du Renard" hatte Starewicz bereits 1929 in Angriff genommen - als der Film dann jedoch weitestgehend vollendet war, standen die Mittel zur Synchronisation nicht mehr zur Verfügung: Im Nazideutschland besorgte schließlich die UFA für die - nicht zuletzt an Goethes "Reineke Fuchs" (1754) orientierte - Filmversion des altfranzösischen "Roman de Renard" eine deutsche Tonspur. "Reineke Fuchs" kam dann vier Jahre darauf auch als als französische Version mit dem Titel "Le Roman du Renard" in die Kinos. Die Vielzahl der Puppen (darunter auch mehrere Figuren aus früheren Filmen) dieses abenfüllenden Animationsfilms ist überwältigend - ebenso die inzwischen sehr flexibel gewordenen Gesichtszüge dieser Figuren: Wangen, Mundwinkel, Lippen, Augen, Augenbrauen, Stirnfalten, Nasenlöcher und Ohren bewegen sich so detailliert wie nie zuvor bei Starewicz... und selbst das Herzpochen wird bisweilen imitiert. Die Synchronisation unterstützt den lebendigen Eindruck der Animationen zusätzlich, da man die Figuren nun auch reden hört. Und dass auch höchst aufwendige Bewegungen nicht gescheut worden sind, wertet - zusammen mit immer wieder auftretenden überraschenden Motiven, originellen Einfälle und einer vollkommen routinierten Montage - den Gesamteindruck zusätzlich auf. Mit der umfangreichen Geschichte des gerissenen Fuchses, auf den - wegen seiner listigen Streiche - der Löwenkönig samt restlicher Tierwelt (erfolglos) Jagd macht, und mit der vergleichsweise langen Laufzeit von etwas mehr als 60 Minuten kann Starewiczs eine tiefere emotionale Bindung an die Charaktere erzielen als jemals zuvor. Herausgekommen ist ein bis heute nahezu unübertroffener Puppentrickfilm, dessen Bekanntheitsgrad zu Unrecht hinter dem zeitgleich herausgekommenen Zeichentrickfilmklassiker "Snow White and the Seven Dwarfs" (1937) aus den Disney Studios zurückgeblieben ist.[4] [10/10]
"Fetiché" ist - früher veröffentlicht, aber in seinen Animationen später angefertigt - sicherlich der visuell noch etwas einfallsreichere Film, der allerdings in dramaturgischer Hinsicht dem "Reineke Fuchs / Le Roman du Renard" nicht ganz das Wasser reichen kann; vielleicht liegt es an diesem ungeheuerlichen Einfallsreichtum (und den bisweilen düsteren Motiven), dass "Fetiché" zu einem der Animationsfilm-Favoriten Terry Gilliams zählt. Das halbstündige Werk beginnt als Realfilm: ein kränkelndes Mädchen liegt im Bett und wünscht sich eine Orange, die unermüdlich an verkaufbaren Plüschtieren arbeitende Mutter erwidert, dass das Geld dafür nicht ausreiche. Zwei Tränen der Mutter sind kurz zuvor unbemerkt in das Futter eines Plüschhundes gefallen, den sie gleich darauf vernäht - woraufhin das Herz des Hundes zu schlagen beginnt. Als er zusammen mit dem restlichen Spielzeug in einen Wagen verladen und seinem Verkauf entgegengeführt wird, ergreifen die meisten Puppen die Flucht. Er allein lässt sich verkaufen und hängt bald darauf als Maskottchen im Inneren eines Wagens; als er jedoch während der Fahrt seine Schöpferin in der Menge erblickt, macht er sich davon - immer auf der Suche nach einer Orange... diese treibt er zwar auch recht schnell auf einem Marktplatz auf, gerät dann allerdings in das nächtliche Fest des Leibhaftigen, das von allerlei Hexen, Skeletten, ausgeschnittenen Papierfigürchen, Monstern, schwebenden Fischgräten, Clowns mit Kürbisköpfen, wandelnden Vogelscheuchen, fliegenden Teufelchen und ein paar bösartigen Spielzeugfiguren besucht wird - unter ihnen auch die Ganovenpuppe, die auf der Autofahrt zu Beginn den Ausbruch ermöglicht hat und nun auf der wilden Feier den Leibhaftigen absticht, dem zu seinem Leidwesen sein gesamtes Füllmaterial aus dem Leib rutscht. Sie alle wollen freilich an die saftige Orange - aber letztlich kann der Plüschhund diese dem kränkelnden Mädchen aushändigen, das ihn sogleich als Lieblingskuscheltier behält. Die Moral mag etwas simpel und die Dramaturgie reichlich willkürlich sein - aber genau diese Umstände lassen Starewicz genug Raum, um allerlei Gags und bizarre Einfälle einzubauen. In dieser Hinsicht zieht er diesmal alle Register und steht mit "Fetiché" bisweilen den frühen Mickey Mouse- und Betty Boop-Filmchen nahe: etwa denn, wenn ein Blasinstrumente spielender Luftballon beim Ein- & Ausatmen zusammenschrumpft oder sich bis aufs Äußerste ausdehnt, wenn dem Leibhaftigen die enorme Nase außer Kontrolle gerät, wenn sich Figurengruppen rhythmisch zur Musik umherbewegen, wenn halbe  Eierschalen auf Kükenbeinchen davonrennen oder wenn einem Affen (bei einem Griff durch den Mund in den Magen) der Hals unnatürlich lang gezogen wird. Hinzu kommt ein wahrlich bizarres Figurenarsenal, dass Selick und Burton bei ihrem "Nightmare before Christmas" (1994) durchaus im Hinterköpfchen gehabt haben dürften. [9/10]

Mit Starewicz hat der stop motion-Film in den frühen 30er Jahren seine Perfektionierung erfahren: weder Starewiczs Vorläufer, noch die zeitgenössischen Kollegen Diehl oder Ptushko haben dieses hohe Niveau erreichen können. Bis heute gibt es wenig Konkurrenz[5]: stop motion fand in der Regel bloß als vereinzelter Spezialeffekt in Realfilmen Verwendung (O'Brien und Ray Harryhausen haben in dieser Hinsicht ebenfalls ein hohes Niveau erreichen können) und der Animationsfilm setzte überwiegend auf den speziellen Fall des Zeichentrickfilms oder - in jüngerer Zeit - gleich auf die Computeranimation. Zwar ist der stop motion-Animationsfilm nicht völlig tot (das beweisen die entsprechenden Publikumserfolge von Burton, Selick oder Wes Anderson), dass sich aber die kommende Großproduktion "The Lego Movie" (2014) dem stop motion-Phänomen mit einer günstigeren und weniger aufwändigen Computeranimation anzunähern scheint, dass auf stop motion fixierte Regisseure wie Svankmajer oder die Quay Brothers nur wenig Aufmerksamkeit erfahren, weist aber zugleich auf die überwiegend doch eher geringe Breitenwirksamkeit dieses Mediums hin, welches sich in der Regel in Form von Liebhaberprojekten an Nostalgiker zu richten scheint.


1.) Blackton selbst hat sechs Jahre zuvor bereits eine frühe Fingerübung vorgelegt: In "The Enchanted Drawing" (1900) zeichnet Blackton einen Mann mit Zylinder samt Wein und Zigarre auf einen großen Zeichenblock, um mit der gezeichneten Figur diese Gegenstände immer wieder auszutauschen. Zwar gilt das Werk bereits als einer der frühen Animationsfilme, Blackton nutzt hier jedoch eher Stoptricks und weniger stop motion- oder Zeichentrick-Sequenzen: schlagartig wechselt die eine statische Mimik der gezeichneten Figur gegen eine andere statische Mimik, per Stoptrick wird die Zeichnung einer Zigarre zu einer echten Zigarre und umgekehrt...
2.) Immerhin: die Puppentheater-Aufführung nimmt zumindest phantastische Züge an, insofern das Spielzeug ein Eigenleben entwickelt. Der Film, der im französischen Original noch recht poesievoll eine kindliche Perspektive einnimmt und womöglich durch E. T. A. Hoffmanns phantastisches Kunstmärchen und dessen Tschaikowsky-Vertonung inspiriert ist, wurde in den USA unterschwellig als Science Fiction Film ausgegeben: Der Titel "Bob's Electric Theatre" bewirkt diese Verschiebung.
3.) Man könnte davon sprechen, dass der metafilmische Ansatz, der im Realfilm zu dieser Zeit eher unüblich war, im Animationsfilm beinahe ein Muss darstellte, um die Animationen zu rechtfertigen. Erst als die Animation auch zur Konvention des Kinos zählte, konnte man ohne Umwege die reine Animation zelebrieren.
4.) Immerhin spricht einiges dafür, dass Wes Andersons Dahl-Verfilmung "Fantastic Mr. Fox" (2009) mitunter durchaus als Verbeugung vor Starewiczs Klassiker zu sehen ist.
5.) Jiri Trnka, Jan Svankmajer und die Quay Brothers wären sicherlich als ernsthafte Konkurrenten zu nennen; auch an Jiri Barta, Christiane Cegavske, Tim Burton, Henry Selick oder den zu früh verstorbenen Paul Berry ließe sich denken, wobei einige von ihnen nicht konsequent auf die stop motion-Technik beschränkt bleiben.

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