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Es könnte ruhig mehr verfilmte Opern geben. Aber vermutlich gibt es einfach nicht genug Fans sowohl der Gattung Oper als auch des Mediums Film. Carl Maria von Webers "Freischütz" dürfte für Opern-Unerfahrene den Vorzug haben, dass es neben einigen einprägsamen Musiknummern wie etwa der Ouvertüre, markanten Arien wie "Durch die Wälder, durch die Auen", den charakteristischen Chören wie dem "Jungfernkranz"- und dem Jägerchor Dialoge statt Rezitative gibt, was das Musikerlebnis für den Neuling stärker strukturiert als es beispielsweise bei einer Wagneroper empfunden wird. Die religiös moralisierenden Schlussverse, gesungen von einem als göttlich beauftragter Schlichter plötzlich erscheinenden Einsiedler, treffen heute sicher nicht mehr jedermanns Geschmack, interessanter ist es, die Psychologie der ambivalenten Hauptfigur Max in Augenschein zu nehmen.

So eignet sich nicht nur die Oper für die Übertragung ins Medium Film nicht nur wegen dieser strukturellen Vorbedingung, sondern auch wegen ihrer maßvollen Spielzeit von gut zwei Stunden und natürlich einer Szene mit großem Kinopotenzial, die Rede ist natürlich von der unheimlichen Wolfsschlucht, in der die titelrelevanten "Freikugeln" gegossen werden. Gerade hier erwartet man natürlich insbesondere als Freund des unheimlichen Filmgenres die Einfälle des Regisseurs mit Spannung.

Allerdings spielt Regisseur Jens Neubert hier das Stoffpotenzial nicht ganz aus. Einem makabren schwarzmagischen Treiben mit allerhand herumliegenden Soldatenleichen (die Befreiungskriege sind in die Inszenierung einbezogen, man sieht in einer Szene sogar Napoleon rumlaufen, was allerdings etwas aufgesetzt wirkt) steht schließlich als vermeintlichter optischer Höhepunkt ein Pentagramm mit schwebendem CGI-Totenkopf gegenüber, was für eine Produktion von 2010 dann doch nicht mehr ganz frisch wirkt. Hier wäre man dann doch besser beim allgegenwärtigen Realismus geblieben, in dessen Sinne Neubert ein authentisches Landleben im Sachsen des frühen 19. Jahrhunderts einzufangen sucht.

Natürlich wirken die zwischen Solisten und Opernchor aufgeteilten Szenen auch in möglichst realistischen Kulissen noch nicht wie das wahre Leben, auch Duette und Terzette entsprechen keinen natürlichen Gesprächsbedingungen - Oper hat eben viel Unwirkliches, was visionäre Regisseure wie Wieland Wagner dazu animierte, von naturalistischen Bühnenbildern den Weg in die Abstraktion und die bildliche Zeitlosigkeit zu suchen. Später wurde es dann auf deutschsprachigen Bühnen leider üblich, mit platten Regie-Eingriffen angebliche Bezüge zur unmittelbaren Gegenwart vermitteln zu wollen, die aber meistens nur peinlich und parodistisch wirken. Aber dies nur am Rande. Neubert liegt das in seinem realistischen, historischen Zugriff eher fern. Sein Zugriff ist mehr von der Liebe zur Operntradition als von Experimentierfreude geprägt. Natürlich wäre eine abstrahierende, das Überzeitliche hervorhebende Inszenierung bei einer solchen Oper mit ihren märchenhaften, moralisierenden Zügen mindestens ebenso interessant.

Über die Interpreten gibt es hier wenig zu klagen. Michael König als Max und Michael Volle als Kaspar bringen die Zerrissenheit des ersteren und die finstere Berechnung des letzteren sehr charismatisch zum Ausdruck. Juliane Banse als Agathe bringt einen starken mimischen Ausdruck mit sich, was die starke Gewichtung ihrer Figur in der Inszenierung um so dankenswerter macht. Und die junge Schweizerin Regula Mühlemann ist eine überaus charmante, liebenswerte Erscheinung, wobei ihre Dialoge im Vergleich zu den anderen Darstellern etwas steifer sind - was dem für Schweizer ungewohnten Hochdeutsch geschuldet sein mag. Stimmlich sind alle hervorragend, es ist eine wahre Freude, ihnen zuzuhören. Darüber hinaus sind auch die kleineren Partien mit Sängern wie René Pape oder Olaf Bär sehr namhaft besetzt. Das London Symphony Orchestra und der Rundfunkchor Berlin sind tontechnisch - soweit ich das mit meinen schlichten Stereolautsprechern beurteilen kann - sehr gut eingefangen, klingen satt und plastisch.

Eine ansprechende, traditionelle Operninterpretation mit überzeugenden Interpreten, gerade für den Operneinsteiger sicher nicht das Schlechteste.

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