Erinnert sich noch jemand an Mel Gibson?
Den Mann, der das Charlie-Sheen-Prinzip der medialen Selbstzerstörung begründete, mittels dessen man sich bei maximaler Medienpräsenz mit maximalem Alkoholpegel maximal in die Nesseln setzt. Gibson, der seine Sauftouren schon während der großen Zeiten in den 80ern nur mittels Religion und sieben Kindern bekämpfte, hatte sich nach der Jahrtausendwende so richtig beliebt gemacht: wieder öfter hackevoll, dann ein paar antisemitische Parolen, schließlich noch der eigenen Freundin vors Maul gehauen. Da kann man froh sein, wenn man zwischendurch noch vor eine Filmkamera darf. Und wenn man es darf, muß man sich lange zusammenreißen, sonst lagert die Produktionsfirma den Film nämlich ein...
So geschehen mit Jodie Fosters "The Beaver", der bereits 2009 gedreht wurde, aber aufgrund einer weiteren Eskapade seines Stars erstmal eine Weile im Lager landete und nun im "land of the free" nur engeren Arthauskinos seine Aufwartung machen darf.
Das ist schade, denn der Film wirft ein interessantes Licht psychologischer Natur auf seine Figuren und ein wenig auch auf seinen Protagonisten, dessen Beweggründe vermutlich eine gewisse Verwandtschaft zeitigen dürften. Zuvor waren Komödianten für die Hauptrolle im Gespräch, aber letztendlich erweist es sich als Glücksfall, daß die Geschichte des einst erfolgreichen Familienvaters und Spielzeugfirmenvaters, der nun unter zerstörerischen Depressionen leidet, nicht mit zu leichter Hand inszeniert wurde, denn schließlich kommt es auch hier auf die düsteren Untertöne an.
Gibson scheint seine eigene Katharsis nachzuspielen, wenn er ausgerechnet als Chef einer zuletzt eher erfolglosen Spielzeugfirma immer tiefer in das dunkle Loch aus Depressionen sinkt, das sowohl sein berufliches wie auch familiäres Leben nachhaltig zerstört. Dabei zerfällt seine Familie parallel zu ihm: seine Frau (Regisseurin Foster tritt selbst an) sieht sich hilflos und entfremdet, sein kleiner Sohn vermißt jegliche Bindung oder Vaterfigur und sein großer Sohn Porter, inzwischen High-School-Schüler hat hauptsächlich Angst, genauso wie sein Vater zu werden.
Daraus erwächst zwangsläufig eine Trennung, die droht, in einem Selbstmord zu enden. Im Suff hat Walter jedoch beim Wegwerfen seiner persönlichen Gegenstände eine alte Handpuppe aus einem Müllcontainer gefischt, die er sich während seines Alkoholexzesses überstreift. In einer Melange aus beißender Komik und schwarzer Abgründigkeit versucht er sich erst (erfolglos) zu erhängen, als sich sein Unterbewußtsein in dem Moment meldet, als er bereit ist, sich vom Balkon zu stürzen. Passenderweise dazu knockt ihn kurz darauf ein laufender Fernseher gänzlich aus.
Als Walter wieder erwacht, ist die bizarre Grundsituation, die den Film in der Werbung befremdlich macht, erreicht. Der Mensch geht, wie in den berühmten Bauchredner-Gruselfilmen, einen Pakt mit sich selbst ein, durch die Biberpuppe an der linken Hand sprechend, die von nun an alle Kommunikation anstelle seines depressiven Ichs übernimmt.
Damit wird Walter zu einem Kuriosum, das zunächst seine Familie irritiert, später zeitweise sogar begeistert, da seine andere, ältere Seite wieder zum Vorschein kommt. Aber die Puppe bleibt der Bezugspunkt, die auch beim Essen oder später (in einem erneuten Ausschlagen der Befremdlichkeit) beim ehelichen Beischlaf.
In einem parallelen Handlungsstrang durchlebt sein älterer Sohn den Prozess in einer abgewandelten Form: als guter Schüler mit nicht allzu ausgeprägtem sozialem Unterbau, verdient er Geld mittels des Schreibens von Schularbeiten, indem er sich geradezu perfekt in die Stimme, den Ausdruck und das Gebaren seiner Mitschüler beim Schreibprozess einarbeitet: erfolgreich ist er nur, wenn er ein Anderer ist. Und das wirkt sich auch auf die zaghafte erblühende Freundschaft zu seiner (reichen) Mitschülerin Norah (Jennifer Lawrence) aus.
Mit gerade mal 85 Minuten reiner Laufzeit kann so ein Thema natürlich nicht erschöpfend behandelt werden, ausreichend analysiert oder psychologischen Feinheiten versehen. Was Foster an dem Thema gereizt hat, mag vielleicht nur die interessante Versuchsanordnung sein, die in relativ kurzer Zeit das Ausbreiten von Klischees dadurch vermeidet, daß es die typischen Phasen einer solchen Entwicklung auf das Angenehmste rafft. Der Film teilt sich komplett in Walters und Porters Handlungsstränge auf, wobei Anton Yelchin erneut eine sensible Performance bietet, während Walters depressiver Dad, der beruflich wieder zu neuem Leben erwacht, eher ein typischer Standard ist.
Außergewöhnlich wird "Der Biber" nur durch die Wahl seines Hauptdarstellers, der sich praktisch selbst spielt und den man stetig in Beziehung zu seinem womöglichen tatsächlichen Ich setzt, wie er unter Wodka ein Hotelzimmer zugrunde richtet, um dann später in der Firma (praktisch "mit dem Affen auf der Schulter") wieder den Showman mit den frischen Ideen zu geben. Zum Glück vermeidet Kyle Killens Skript eine einfache Lösung, indem er die dunklen Aspekte eines Abtrennens von Persönlichkeitsteilen bzw. das Verdrängen derselben relativ früh mildert. Die Handpuppe, die nie wirklich niedlich wirkt, sondern lediglich agil und konstruktiv, hat schon sehr früh das Flair des Bedrohlichen, das sich später immer stärker auswirkt. Wenn Walter am Hochzeitstag die Puppe abnehmen will, tritt sein altes Ich wieder hervor, das daraus resultierende Essen ist eine schmerzhafte Abfolge von Rückfällen.
Das so etwas nicht eben glücklich enden kann, ist da schon längst klar, auch wenn die Krankheitsentwicklung und der "Genesungsprozeß" mit der Puppe natürlich im schnellen Vorlauf etwas kolportagehaft geschnitten wirken, während Yelchins Teenagerliebe mitsamt all seinen Schwierigkeiten eher vorhersehbar auf psychologische Tiefen verzichten.
Am Ende bietet der Film keine Alternativen, keine Lösungen, sondern plädiert in seinen Handlungsteilen (die übrigens erst im latent sülzigen Finale einmal zusammen finden) sowohl für eine radikale wie auch für eine emotionale Lösung, die jedoch niemals den Bereich des Heilbaren streichen - soviel Realismus hat man sich bewahrt, wenn das Leben im Schlußbild (etwas platt) als Achterbahn definiert wird.
Empfehlenswert bleibt der "Biber" vor allem eben wegen Gibsons Portrait seiner selbst, das sich, wenn auch oberflächlich, immerhin gut mit dem Thema Depressionen auseinandersetzt und verschiedene Varianten schildert. Gibsons und Yelchins Performances sind den Film definitiv wert, der dramaturgisch das Auf und Ab einer unausgeglichenen emotionalen Persönlichkeit nachstellt, wobei der in der Werbung abstruse Gedanke, den Star durch eine Handpuppe sprechen zu lassen, im Film selbst bald der Natürlichkeit weicht. Gerade weil Gibson diesen Mann spielt, ist der Film glaubhaft geworden und läßt das Publikum mit einem ambivalenten Gefühl zurück, das nicht mit der Lächerlichkeit zu tun hat, die man der Storyidee vielleicht unterstellen würde. (7/10)