Das Thema "Depression" oder eine psychische Erkrankung in den Mittelpunkt einer Filmhandlung zu stellen, birgt die Gefahr in sich, diese zu verharmlosen oder zu vereinfachen, da die fehlende Nachvollziehbarkeit im Handeln psychisch erkrankter Menschen ein häufiger Bestandteil dieser Krankheit ist - und damit im Gegensatz zu einer Story steht, die Wert auf genau diese Nachvollziehbarkeit legt. Nicht ohne Grund unterliegt dieses Thema nach wie vor einem gesellschaftlichen Tabu, da der so Erkrankte von seinen Mitmenschen schnell als verrückt oder faul angesehen wird, wenn er - obwohl alle äußeren Rahmenbedingen scheinbar stimmen - nicht mehr, wie gewohnt und erwartet, funktioniert.
Um beim Betrachter des Films Verständnis und Sympathien für einen psychisch erkrankten Protagonisten zu erzeugen, neigen die Macher deshalb dazu, mit Details aus der Kindheit oder sonstigen einschneidenden Erlebnissen dessen Entwicklung zu erklären. Selbst wenn der Erkrankte innerhalb des Films kein Wohlwollen oder Verständnis bei seinen Mitmenschen erfährt, die diese Kenntnisse nicht oder nur unvollständig haben, kann sich zumindest der Betrachter mit ihm solidarisieren. So emotional aufrüttelnd ein solcher Film sein kann, so sehr bleibt die Beschreibung der Krankheit Folklore, denn sie vermittelt den Eindruck, dass alles erklärbar ist und konfrontiert den Betrachter nicht mit der Krankheit selbst, sondern nur mit der Tragik des Erkrankten.
Das "Der Biber" diesen Fehler nicht begeht, macht einerseits dessen außergewöhnliche Qualität aus, ist aber auch gleichzeitig dessen Fluch, denn seine Story klingt so abstrus, dass sie den Betrachter schon davon abhält, ihn sich überhaupt erst anzusehen. Besonders die Wahl Mel Gibsons für die Rolle des Depressiven, verstärkt diesen Eindruck noch, denn der Mann steht normalerweise dafür, eine Sache cool im Griff zu haben und nicht mit einer Biber-Handpuppe am Arm herumzulaufen. Schon allein die Überlegung, ob Mel Gibson einen so Erkrankten spielen kann, geht in die falsche Richtung, denn damit wird das klassische Hineinversetzen in eine schwierig zu spielende Rolle erwartet, als ob ein depressiv Erkrankter bestimmte, wieder erkennbare Symptome aufweisen müsste. Tatsächlich spielt Mel Gibson in "Der Biber" wie immer - wirkt auch als Mittfünfziger präsent und stark, ist durchsetzungsfähig, selbstbewusst, sprachlich talentiert und sexuell aktiv - aber nur mit dem Spielzeug am Arm.
Bis es soweit ist, benötigt der Film wenige Minuten, denn er verzichtet auf jede ausführliche Herführung, sondern beschreibt nur die Tatsache, dass der erfolgreiche, wohlhabende Manager eines Spielzeugherstellers schon lange an der Krankheit leidet, die Familie endlich verlässt, angeblich um in Therapie zu gehen, sich aber nur nicht umbringt, weil ihn die Handpuppe, die er auf dem Müll findet, davon abhält. Keine vierundzwanzig Stunden, nachdem er seine Sachen gepackt hatte, steht der alte, selbstbewusste Walter Black (Mel Gibson) wieder vor der Haustür - nur, dass er nicht mehr selbst spricht, sondern mit verstellter Stimme als seine Handpuppe. Das ist schlicht genial, denn dadurch gelingt es dem Film, etwas zu versinnbildlichen, was in Worten nicht auszudrücken ist - und gleichzeitig beim Betrachter die unterschiedlichsten Emotionen auslöst.
Da es sich bei "Der Biber" trotz allem noch um einen unterhaltenden Film handelt, wird Walter Black mit drei beispielhaften Reaktionen konfrontiert. Sein kleiner Sohn Henry (Riley Thomas Stewart) freut sich über den Vater, der endlich wieder mit ihm spielt und hat entsprechend Spaß an der Puppe. Sein fast erwachsener Sohn Porter (Anton Yelchin), der schon länger mit seinem Vater in Konflikt steht, ist wütend, dass dieser einfach wieder auftaucht, als wäre er der Alte, nur das er mit dieser lächerlichen Puppe am Arm herum läuft. Er, der die Dinge intellektuell betrachtet, und auf der Highschool Geld damit verdient, dass er seinen Mitschülern Texte formuliert, versteht nicht, dass sein Vater sich nicht therapieren lässt, sondern so tut, als wäre alles wieder in Ordnung.
Jodie Foster als Walters Ehefrau Meredith würde wahrscheinlich ähnlich denken, wenn sie es sich erlauben würde. Erst einmal froh, dass ihr Mann zumindest äußerlich wieder funktioniert, lässt sie sich auf die Handpuppe ein, als wäre das eine vorüber gehende Marotte. Es ist natürlich ein erzählerischer Kniff, dass er Manager einer Spielzeugfirma ist, weshalb man dort sein skurriles Auftreten akzeptiert, da man die Handpuppe für eine witzige Werbe-Idee hält, die dann auch erfolgreich einschlägt. Dadurch erhält Walter Black Zeit, mit der Puppe am Arm herumzulaufen und erzeugt auch beim Betrachter die unterschiedlichsten Gefühle - von belustigt bis verständnislos, aber nie wirklich Sympathien für den Protagonisten erzeugend.
Auch "Der Biber" kann sich trotz dieser erstaunlichen Konsequenz nicht gänzlich der typischen Mechanismen eines Hollywood-Films verschließen, weshalb der Film eine Parallelhandlung erzählt über Walters Sohn Porter und seine Schulkameradin Norah (Jennifer Lawrence), mit der sich eine langsame Liebesgeschichte entwickelt. Hier geht der Film auf die Weise vor, auf die er bei Walter Black glücklicherweise verzichtet, denn die Auseinandersetzung zwischen Norah, die den frühen Tod ihres Bruder nicht verarbeitet, mit Porter, der lernen muss, das seine Art, Dinge rational begreifen zu wollen, auch nichts anderes als Verdrängung ist, funktioniert nach den üblichen psychologischen Regeln mit den zu erwartenden Fortschritten.
Das ist legitim, da es den Raum freilässt für die ungewöhnlich konsequente Beschreibung eines depressiven Menschen, die darauf verzichtet, etwas erklären oder lösen zu wollen. Gerade das "Der Biber" kein trauriger Film geworden ist, sondern trotz aller Ernsthaftigkeit auch voller Witz und Absurdität steckt, und zum Schluss noch ein wenig Trost spendet, verdeutlicht die Unabhängigkeit, mit der sich der Film diesem Thema widmet (8/10).