Review

Und wieder ein Bergman. Und was für einer!

Zur Handlung: Isak Borg(überragend: Victor Sjöström) ist ein Medizinprofessor im Ruhestand. Der 78-jährige genießt hohes Ansehen, sodass ihn seine Universität in Lund sogar anlässlich des 50. Jahrestags seiner Promotion ehren will. Nachdem er die Nacht zuvor einen beängstigenden Alptraum hatte, tritt Isak zusammen mit seiner Schwiegertochter Marianne(großartig: Ingrid Thulin) die Reise mit dem Auto an. Da das Verhältnis der beiden recht unterkühlt ist, kommt es alsbald zu Spannungen. Isak ist nach und nach gezwungen, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, wobei er regelrecht in seine Erinnerungen eintaucht. Doch auf was er dabei zurückblickt, ist alles andere als ein erfülltes Leben...

Es lässt sich kaum in Worte fassen, welche Wirkung "Wilde Erdbeeren" auf den Zuschauer hat. Der Film ist dermaßen reich an verschlungener, aber niemals deplazierter oder gar überladen wirkender Symbolik, dass man sich dem Dargebotenen nicht entziehen kann. Dabei setzt Ingmar Bergman auf Subtilität und Gefühl, ohne auch nur in die Nähe des Kitsches zu gelangen. Unterstützt wird er von allesamt erstklassigen Darstellern, wobei neben Sjöström und Thulin, auch noch die wunderbare Bibi Andersson und besonders der grandiose, hier kaum wiederzuerkennende Gunnar Björnstrand (hervorragend gegen den Strich besetzt, da für einmal in einer nicht mal ansatzweise komischen Rolle) erwähnt werden müssen. Bergman hat klasse gearbeitet und eine Perle geschaffen, die auch heute noch, ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung, so frisch wie damals wirkt. Daran hat die Handlung natürlich ihren Anteil, da sie auf das hinweist, was uns letzten Endes alle angeht: das Leben an sich. Glücklicherweise verzichtet Bergman darauf, seinen Film philosophisch zu überfrachten. Im Gegenteil: die Inszenierung entfernt sich keinen Augenblick von den Figuren und der Bodenständigkeit der Geschichte, welche trotz Alptraumsequenzen und Rückblicken stets gewahrt bleibt. Das Besondere des Films ist seine Vielschichtigkeit, da er viele Themen unter einen Hut bringt, ohne dabei den Faden zu verlieren oder unentschlossen zu wirken. Wie bei einem Gemälde, so ist auch hier die Sichtweise des Einzelnen entscheidend: Ist es ein Film über das Altern? Über die Einsamkeit und Entfremdung? Oder geht es hier in erster Linie um Lebenslügen? Vielleicht ist es ja auch die Geschichte eines "Blinden", der endlich zu "sehen" beginnt...  Bergman hat jedenfalls gut daran getan, all diese Bestandteile gleichwertig in den Film aufzunehmen, sodass die Entscheidung letztlich ganz und gar beim Betrachter liegt. Apropos "betrachten": wieder einmal sind die Kamerabilder so erlesen, dass man sich am Liebsten in ihnen verlieren möchte. Doch auch der Score fällt überraschend hochwertig aus.
Ganz entscheidend natürlich, das tolle Skript von Bergman selbst. Es sorgt stets dafür, dass die Stimmung ausgewogen bleibt. Denn wieder einmal sorgen gut plazierte, witzige Momente dafür, dass es nie zu bedrückend wird. Allerdings muss man schon sagen, dass der Film weitaus melancholischer ausgefallen ist, als frühere Werke Bergmans. Wobei es sogar einige Momente gibt, die von tiefer Traurigkeit gekennzeichnet sind. Vor allem die Erinnerung Mariannes an das Gespräch mit ihrem Mann, dürfte noch lange nachwirken, da diese Szene durch das Zusammenspiel von Figurenzeichnung, Dialog und natürlich den Darsteller mitten ins Herz trifft.

Und genau das ist es, was "Wilde Erdbeeren" schließlich tut. Der Film nimmt den Zuschauer ganz und gar gefangen. Es ist fast so als wäre man ebenfalls Teil dieser immer bunter werdenden Reisegesellschaft, die sich im Laufe der Geschichte zu Isak und Marianne gesellt. Denn auch man selbst wird sich unweigerlich Fragen zu seinem eigenen Leben stellen, was "Wilde Erdbeeren" tatsächlich zu einer (filmischen)Offenbarung macht.
Kurzum: Ein kleiner Film- mit großer, lang anhaltender Wirkung. Definitiv sehenswert- und zumindest auf meiner Liste der All Time Favorites ganz weit oben!
9/10 Punkten

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