„Jeder Mensch hat Illusionen…“
Mit dem von Wilm ten Haaf („Schwarzwaldmädel“) nach einem Drehbuch Konrad Sabrautzkys inszenierten „Tatort: Schlußverkauf“ feiert der Münchner Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) ein kleines Jubiläum, handelt es sich doch um seinen zehnten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Für ten Haaf war es die vierte „Tatort“-Regiearbeit, drei weitere sollten folgen. Die Erstausstrahlung erfolgte am 21. Mai 1978.
Inmitten des Winterschlussverkaufs eines Münchner Kaufhauses wird der Mitarbeiter Manfred Spränger durch einen gezielten Messerstich in den Rücken ermordet, vom Täter keine Spur. Veigl, Lenz (Helmut Fischer) und Brettschneider (Willy Harlander) von der Münchner Mordkommission befragen diverse Menschen, die mit Spränger in Kontakt standen, doch kaum jemand scheint ihn wirklich gekannt zu haben. Direktor Haslauer (Hans-Dieter Asner, „Raumpatrouille Orion“) berichtet, Spränger sei erst vor einem halben Jahr von Hamburg nach München gekommen, um Abteilungsleiter Karl Rothermund (Alexander May, „Tätowierung“) abzulösen, vom dem man sich wegen Vorteilsnahme habe trennen müssen. Rothermund hasste Spränger daraufhin und habe ihn einst sogar attackiert – doch ist ihm auch ein Mord zuzutrauen? Die Polizei ermittelt weiter in alle Richtungen. Ein Darlehen kommt schließlich als mögliches Motiv infrage, das zu Familie Wagner führt…
Der Auftakt ist ein grandioses Zeitdokument, zeigt er doch einen Winterschlussverkauf, wie er damals nicht unüblich war: sich im Konsumrausch drängelnde Menschenmassen, Hektik und latente Aggression. Bis einer mit einem Messer im Rücken tot liegenbleibt. Haben wir es also mit einem klugen konsumkritischen Fall zu tun, in dem jemand im WSV-Wahn überschnappt und eventuell für das letzte heruntergesetzte Exemplar eines Hemds in seiner Größe tötet? Leider nein. Ausgerechnet Veigls Jubiläumsepisode erweist sich als einer der bisher zähesten der Reihe. Veigl informiert die Mutter des Opfers (Ida Ehre, „Die toten Augen von London“) und besucht Rothermund bei ihm zu Hause, der zunächst einmal der Hauptverdächtige ist. Doch anstatt dramaturgisch etwas zu wagen, bleibt man nahezu unterbrechungs- und auflockerungslos bei diesen Frage-und-Antwort-Spielchen mit etlichen Figuren im immer gleichen Tempo, bis Veigl herausfindet, dass Petra, die 18-jährige Tochter (Mijou Kovacs, „Aufforderung zum Tanz“) Eva-Maria Wagners (Kyra Mladeck, „Bauern, Bonzen und Bomben“), wiederum eine ehemalige Arbeitskollegin Sprängers, verschwunden ist.
Petras Bruder ist niemand Geringerer als Werner Schulze-Erdel („Zeit der Bewährung“) und Ruck Zuck wird der Fall zum Familienduell. Denn der Tote hatte etwas mit Petra, Werner, Entschuldigung, Uwe möchte aus dem Leben treten, und, besonders pikant: Spränger hatte zuvor etwas mit Petras Mutter. Veigl macht Petra ausfindig, ein ausgesprochen attraktives Madl und damit ein kurzer Lichtblick. Es ist mir ein Rätsel, wie man einen sich zu einem zunächst einmal nicht uninteressanten Familiendrama amouröser und libidinöser Ausrichtung entwickelnden Fall, der eigentlich in einen Mutter-Tochter-Konflikt kulminieren und die Verantwortungsfrage des Mannes in derartigen Konstellationen diskutieren müsste, stoisch weiterhin derart bieder inszenieren kann, dass einem nach diesem kurzen Aufmerken gleich wieder die Äuglein zuzufallen drohen.
„Schlußverkauf“ ist leider ein dröger Laber-„Tatort“, beinahe bar jeglicher Schauwerte, Spannung oder irgendeiner Form von Relevanz, der einem zudem nach der Hälfte plötzlich mit einem irritierend fröhlichen Soundtrack in den Ohren liegt. Ein weiteres Negativbeispiel innerhalb des Veigl-Zweigs der Serie, das beweist, wie durchwachsen dieser war.