Spanien 2010
Der Anfang erschlägt den Zuseher im ersten Moment. Man wird in das Gezeigte regelrecht hineingeworfen. Was geht da vor? Ein offensichtlich misshandelter Mann irrt durch die Gegend mit einer Plastiktüte, die über seinen Kopf gezogen ist. Er rennt orientierungslos vor ein Auto. Er bittet um Hilfe, tätigt ein Telefonat. Ihm wird klar, dass es zu spät ist.Was wir zu sehen bekommen, soll bestimmend sein für das vorherrschende Klima in diesem Film. Ein Gefühl der Unsicherheit wird ausgelöst. Das wird sich später im Film noch verstärken. Doch zuerst legt „Kidnapped“ wieder einen Gang zurück ein. Ein finanziell unabhängiger Mann fährt zu seinem neubezogenen, schmucken Haus in einer ruhigen Vorstadtgegend. Helfer sind noch damit beschäftigt sämtliche Habseligkeiten ins Haus zu schaffen. Vor Ort sind bereits Ehefrau und die etwas renitente Tochter. Die Familie schlägt sich noch
mit so manchen Widrigkeiten herum. Kein Internet, kein heißes Wasser. Sonst
scheint alles in Ordnung. Der größte Ärger dreht sich darum, ob die Tochter zur
gewünschten Party gehen darf oder nicht. Alles recht unbeschwert, bis es an der Tür klingelt. Davor: schwarz gekleidete, maskierte Unbekannte. Sofort als die Tür geöffnet wird, dringen sie mit brutaler Bestimmtheit ins Haus ein.
Die (ich nenne es mal so) Einleitung des Films ist ein wenig behäbig, nicht jedoch in einem Maße, dass es eine große Aufregung wert wäre. Es wird sich die Zeit genommen, um Normalität der Familie zu zeigen und unter welchen Umständen sie leben. Nicht ganz unwichtig, schließlich lebt der Film unter anderem davon. Zudem ist die vielfach erwähnte lange Dauer der Kameraeinstellung ein Stilmittel des Films.
Bei diesem Film halte ich das meist für ein interessantes Spiel. Nicht immer
gelingt alles, aber größtenteils zeigt es seine Wirkung. Ich sehe es weniger
als technische Herausforderung, eher als eine Intensivierung der von den Opfern erlebten Qualen und der Ausweitung des unmittelbar erlebten Empfindens.
Weiter in der Handlung: Die unbekannten Männer verlangen Geld. Zu diesem Zweck wird der Vater dazu gezwungen mit einem der Maskierten zu einem Geldautomaten zu fahren. In dieser Zeit halten zwei Mittäter die Mutter als auch die Tochter in Schach. Als an der Tür Besuch für das Mädchen klingelt, entgleitet den beiden verbliebenen Gangstern die Situation. Diese Gelegenheit wird von Mutter und Tochter dazu genutzt, um zu fliehen. Sie verschanzen sich, doch der Versuch misslingt. Sie bleiben in der Gewalt der Täter, die keinerlei Zweifel an ihrer Überlegenheit lassen. Die Lage eskaliert, als es zu Schwierigkeiten beim Geld abheben kommt..
Eines wird klar gemacht: die über weite Teile nicht erkennbaren Verbrecher sind keine Übermenschen, aber mangelnde Planung machen sie durch Gewissenlosigkeit wieder wett. Das entworfene Szenario ist bedrohlich und beunruhigend. Eines der schlimmsten Dinge, die man sich in unserer westlichen, behüteten Welt vorstellen kann, ist das gewaltsame Eindringen Fremder in die Wohnung oder das Haus. Jeder kann sich da hinein versetzen. Es ist nicht abstrakt und fördert das Mitleiden mit den Betroffenen. Allgemein sind die Charaktere – ob gut oder böse – realistisch gezeichnet. Hier gibt es weder einen Helden noch einen Superschurken.
Tatsächlich steigert sich die physische Gewalt, umso weiter der Film schreitet. Dem anfänglich bestimmten Verhalten folgt eine Entgleisung des Bedrohens hin zu unabschätzbaren, gewalttätigen Verhaltensmustern, ja Ausbrüchen. Je mehr die Kontrolle verloren wird, desto mehr beschleunigt sich diese Dynamik. Die Opfer greifen, um das eigene Überleben zu sichern, ebenfalls zu drastischen Mitteln. Dieses Wechselspiel wird gut beleuchtet.
Der Vater, in traditionellen Familienbildern der Beschützer, wird sehr schnell aus dem Geschehen genommen. Er wird degradiert und erscheint absolut rat- und hilflos. Das ist interessant, denn die Frauen müssen sich nun mit der konkreten Bedrohung auseinandersetzen und einen Weg raus finden. Der Mann ist abseits gestellt und kann lange Zeit nur flehen, bis die Ausweglosigkeit auch ihm bewusst wird. Doch selbst dann gelingt es ihm nicht die Oberhand zu gewinnen.
„Kidnapped“ ist natürlich kein Kuschel-Kino. Die Gewalt wird vorwiegend im Kopf erzeugt oder durch verbale Erniedrigungen, doch auch dies geht schon an die Nerven. Gerade, weil nicht irgendein Zombie zur Strecke gebracht wird. Später wird es nicht zimperlich.
Die Schauspieler (für mich No-Names) machen ihre Sache ziemlich gut. Die Ohnmacht, Verzweiflung und Angst wird sichtbar. Manchmal auch sehr laut hörbar – für meinen Geschmack zum Teil zu lange, letztlich nur ein kosmetischer Makel. Das Genre wird durch diesen spanischen Vertreter nicht neu erfunden. Er umsegelt die üblichen Schwächen solcher Filme recht gekonnt, das simple Konstrukt kann er trotzdem nicht verbergen. Aus der einfachen Story wurde einiges herausgeholt, viele Regisseure hätten wohl den Stoff wesentlich schlechter umgesetzt. Alles sitzt irgendwie am
rechten Fleck, ohne jedoch Begeisterungstürme auszulösen. Sofern man das
hierbei sagen kann, so ist das bessere Unterhaltung. 7/10