Bei Paul Haggis' neuestem Film "72 Stunden - The next three days" handelt es sich um eine Adaption des französischen Films "Pour elle" aus dem Jahr 2008. Interessant daran ist nicht die us-amerikanische Vorgehensweise, originelle fremdsprachige Filme für ein englischsprachiges Publikum neu zu drehen, die dann - oft im Gegensatz zum Original - auch in die deutschen Kinos kommen, sondern die Unterschiedlichkeit in der Gewichtung, die sich schon im Titel verbirgt. Der Verweis auf die nächsten drei Tage im englischen Titel, erzeugt den Eindruck von Aktionismus und Zeitdruck, der französische Titel "Für sie" nähert sich der psychologischen Seite der Story.
"Sie", die Ehefrau Lara (Elizabeth Banks), spielt faktisch nur eine Nebenrolle, obwohl ihr Schicksal der Auslöser des Geschehens ist. Rigoros wird sie von der Polizei aus ihrem bürgerlichen Alltag gerissen, um als Angeklagte eines Mordes im Gefängnis zu landen. Normalerweise genügt eine solche Vorgabe, um daraus einen kompletten Film zu entwickeln, aber "The next three days" interessiert sich weder für die Ermittlungen, noch dafür, ob Lara schuldig oder unschuldig ist. Keinen Moment erfährt der Betrachter genauere Hintergründe über den Tathergang, das Opfer oder die Gerichtsverhandlungen, bis der Anwalt nach dem Kampf durch die Distanzen nur noch feststellen kann, dass Lara auf Grund der eindeutigen Indizien lebenslänglich hinter Gittern bleiben wird.
Haggis ist in diesem Punkt reduzierter als das französische Original, wo es zumindest einen Bezug zwischen dem Opfer und der Verurteilten gibt, aber das steigert die Konsequenz seines Films noch, der anders als unzählige Fernsehserien und Filme, in denen Spezialisten noch der kleinsten Spur nachgehen, um so dem wahren Täter auf die Spur zu kommen, seine Story aus einer Abfolge von Unzulänglichkeiten heraus entwickelt, ohne diese zu ideologisieren. Nur durch den Verzicht auf die Darstellung von Polizeiarbeit oder der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft kann er Emotionen dieser Art vermeiden.
Denn anders als bei Rache - oder Selbstjustiz - Filmen, in denen der "Mann aus dem Volke" gezwungen wird, das Recht in eigene Hände zu nehmen, weil die Justiz aus seiner Sicht (und damit auch aus der des Zuschauers) versagt hat, wird Laras Ehemann John (Russel Crowe) nie durch seinen Hass auf die Institutionen motiviert, sondern nur durch das Leiden seiner Frau. Erst erlebt er deren Entfremdung von dem gemeinsamen, kleinen Sohn, der ihn auch nicht mehr zu den Besuchen im Gefängnis begleiten will, dann wird sie gerade noch bei einem Selbstmordversuch gerettet. Man spürt regelrecht wie der jungen Frau, deren Leben zuvor fest in der bürgerlichen Gesellschaft verankert war, der Lebenswille entgleitet.
Den Plan, sie aus dem Gefängnis zu befreien und mit ihr ins Ausland zu fliehen, fasst er vordergründig "für sie", aber die eigentliche Frage, die der Film verfolgt, liegt darin, ob er es nicht eher "für sich" tut? - Wer angesichts des Titels einen Actionfilm erwartet, wird zuerst entsprechend enttäuscht sein, denn Haggis lässt sich sehr viel Zeit, Johns Veränderung vom Lehrer und liebevollen Familienvater zu einem Mann zu schildern, der sich für einen kriminellen Weg entscheidet, den er in dem Moment betreten muss, wenn er eine verurteilte Straftäterin aus einem Bundesgefängnis befreien will. Russel Crowe gelingt es überzeugend diese Wandlung eines Mannes zu vermitteln, der sich gegen seine inneren Überzeugungen verhalten muss, der aber auch nie in der Lage sein wird, echte Kaltblütigkeit in seiner neuen Situation zu entwickeln.
Einzig Liam Neeson in einer kleinen Nebenrolle als Ausbrecher-König, der John zu Beginn diverse Grundlagen und Schwierigkeiten eines Ausbruchs erläutert, vermittelt so etwas wie Professionalität, während der Film seine Spannung vor allem daraus gewinnt, dass sich im Wettlauf mit der Zeit, Zufälle und Unzulänglichkeiten aneinander reihen - sowohl auf der Seite der Flüchtigen, als auch auf der ihrer Verfolger. Dass es überhaupt zu diesem Zeitdruck gekommen war, nachdem sich John schon lange in der Phase der Vorbereitung befand, lag an der plötzlichen Verlegung seiner Frau in ein anderes Gefängnis innerhalb der nächsten 72 Stunden. Obwohl noch nicht fertig, wird er dadurch gezwungen, zu handeln.
Im letzten Drittel wird "The next three days" zum erwarteten Actionfilm, allerdings verliert Haggis dabei die eigentliche Thematik, die den Film über die übliche Genre-Ware hinaus hob, etwas aus den Augen. Die Frage, warum John sich für einen kriminellen Weg entschieden hat, manifestiert sich in Laras Gesicht, als ihr Mann ihr plötzlich mit einer Waffe in der Hand gegenüber steht. Einmal sagt John, dass es nur eine Lösung gibt, aber das ist natürlich ebenso vorgeschoben, wie der Gedanke, es "für sie" getan zu haben. Haggis lässt diesen Konflikt, der darin liegt, gezwungen zu werden, aus einem bürgerlichen Leben auszusteigen, lange im Unentschiedenen schwelen, bevor er zum Ende hin doch ins Konventionelle abgleitet, aber das kann den guten Eindruck des Films nicht verwischen, der - für einen us-amerikanischen Film erstaunlich - es auch zum Schluss nicht nötig hat, sämtliche Unzulänglichkeiten aufzulösen (7,5/10).