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So langsam aber sicher haben sich die Spanier als europäischer Tabellenführer für Grusel und Thriller eingeschossen und wie weilend im Fußball immer gern alles auf Real Madrid oder Barca zurückgeführt wird, wuchert man in bella iberia eben gern mit Guillermo del Toro, der das gewisse Näschen für brauchbare Stoffe hat (anders etwa als Wes Craven, dessen Schriftzug inclusive "presents" nicht eben für Qualität bürgt) und deswegen einen potenten Reißer nach dem anderen verziert.

Auch bei "Los ojos de Julia" hat er seine Finger im Topf und die Verpflichtung von Belén Rueda als Hauptdarstellerin, die schon "The Orphanage" zu einem Leckerbissen macht, sorgt schon für dramatische Vorfreude.
Guillem Morales Film ist jedoch insofern eine Ausnahme von der Regel, da er keine übernatürlichen Elemente beinhaltet, stattdessen auf das scheinbar abgegraste Thrillerterrain setzt und dort Klassikern wie "Warte, bis es dunkel ist" ein immerhin respektvolles Anheben der Augenbrauen abtrotzt.

Am Anfang steht eine Mischung aus Mord und Selbstmord, speziell der von Sara (Rueda), die sich im Keller erhängt, bzw. dabei unterstützt wird, ohne daß der Täter/Motivator im Bild ist. Sara war aufgrund einer degenerativen Nervenerkrankung erblindet und das gleiche Schicksal steht ihrer Zwillingsschwester Julia bevor, die bereits ein Viertel Sehkraft eingebüßt hat.
Natürlich wird der Todesfall zum Gegenstand erhöhtem Unglaubens und zahlreiche Hinweise und Auffälligkeiten (die natürlich nur Julia als solche interpretiert) deuten der Protagonistin die dem Zuschauer bereits bekannte Wahrheit an, daß hinter dem Selbstmord mehr steckt.
Ungefährt zur Halbzeit (um Minute 50 herum) wird Julia schließlich ganz erblindet sein, der Stress und das Ankämpfen gegen den Unglauben ihres Ehemannes haben das Übrige getan, noch dazu verwischt der Täter recht radikal seine Spuren und auch der Ehegatte baumelt bald von der Decke...

Man spürt es schon, "Julia's Eyes" ist kein typischer Whodunit-Thriller und soll auch nicht Unsicherheit darüber verbreiten, ob die Hauptfigur nun spinnert ist oder als einzige Recht behält - stattdessen sind die Pferde schon in der Titelsequenz gesattelt, allerdings muß man hübsch lange warten, bis der Vorhang sich hebt.
Die zunächst konventionelle Spurensuche wird zum Wettlauf mit der Zeit und Morales kennt keine Verwandten, läßt den Verlust der Sehkraft mittels POV-Shots immer hübsch illustrieren und präsentiert die Auswahl an Innenräumen wahlweise in düster-dunkel oder entsättigt grau, selbst wenn die selten scheinende Sonne sich mal durchs Fenster zeigt (dürfte der spanische Film mit der meisten Bewölkung und dem häufigsten Regen sein). Sobald Julia dann das Schicksal ihrer Schwester teilt, greift Morales zu einem geschickten Kunstgriff und präsentiert dem Publikum alle sie umgebenden Menschen maximal bis zur Halskrause, Gesichter hat die Welt für sie nicht mehr und man muß den Stimmen vertrauen, während sie sich mühsam mit Hilfe eines Pflegers durchs Haus tastet.
Natürlich denkt man da als Erstes an den wahren Täter, aber ganz einfach macht es uns das vielschichtige Drehbuch nicht, das mit erheblicher Perfidität alle 10 Minuten die Richtung wechselt und immer neue Überraschungen aus dem Schatzkästlein zaubert, von der Augen-OP über das mehrfache Ausgeliefertsein bis hin zu ausgedehnten Suspensesequenzen, in der man eben nicht sehen darf, was man eigentlich längst wieder sieht.
Das Finale ist dann ehrerbietiges Händeschütteln in Richtung auf den Klassiker mit Audrey Hepburn und bietet einen fulminanten Abschluß zu so vielen Plotpoints und Twists, die die Thrillerkost aufwerten sollen.

Etwas Zeit und Geduld sollte man allerdings mitbringen, denn bei 112 Minuten Laufzeit braucht es schon eine Menge Handlungselemente und so manche (vor allem im ersten Drittel) kommen etwas abgedroschen daher, der ewig zweifelnde Ehemann nervt genauso wie die typisch abwinkende Polizei und nur die schiere Ansammlung an Spuren und Verfolgung läßt den roten Faden halten. Später, wenn der Täter und sein eigenes Syndrom in den Mittelpunkt rücken, wirkt der Film natürlich etwas überkonstruiert, aber das wird der Genredramatik einfach notgedrungen geopfert - schließlich kann man hier in der zweiten Hälfte ausnahmsweise mal nicht sofort ahnen, was als Nächstes kommt und immer wenn man nah dran ist, ändert Morales (der auch am Drehbuch mitschrieb) wieder die Richtung.

Belén Rueda gibt auch in diesem Film wieder alles und sorgt dafür, daß die Emotionen des Zuschauers im Spiel bleiben, dafür verzichtet man über weite Strecken auf exzessive Gewalt, bis im letzten Drittel dann doch einige graphische Effekte ausgepackt werden, die wortwörtlich ins Auge gehen.
Alles in allem sicher kein perfekter, weil zurecht geschmiedeter Thriller, aber ein lohnenswertes Stück europäisches Spannungskino, wie man nicht überall bekommt und das man nicht mit dem Terminus "Frauengrusler" abtun sollte.
Wenn Spanien augenblicklich in der Krise ist, dann scheint das der cineastischen Kreativität nur gut zu tun...(7,5/10)

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